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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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Die Regierung verhält sich keineswegs passiv hiebei, sondern sucht allen Einfluß,
den sie besonders dnrch ihre Beamten auf die unteren, mehr von ihr abhän¬
gigen Stände auszuüben vermag, dazu zu benutzen, um sich möglichst viel folg¬
same Abgeordnete zu verschaffen. Daher sind auch die Verhandlungen bei den
Wahlprüfungen in der würtembergischen zweiten Kammer oft ziemlich lebhaft. In
uoch viel höherem Grade ist dies in dem benachbarten Baden der Fall, besonders
als nach Auflösung des Landtages im Februar vorigen Jahres alle Parteien ohne
Ausnahme jeden nur möglichen Hebel ansetzten, um bei den Wahlen so viel Kan¬
didaten, als es irgend anginge, für sich zu gewinnen. Hier ist es denn oft sehr
bunt zugegangen und Mittel sind gebraucht worden, um sich die Majorität zu
verschaffen, die wir gerade uicht billigen können. Mit offener Gerechtigkeit muß
man bekennen, daß weder die ultraconscrvative, noch die radikale Seite bei
diesen Wahlintriguen sich das Mindeste vergaben. Daher boten die ersten Sitzun¬
gen der zweiten badischen Kammer Anfang Mai vorigen Jahres, wo die Wahl¬
prüfungen stattfanden, ein in jeder Weise unerfreuliches Bild dar, beide schroff
sich gegenüberstehende Parteien sorgten uach besten Kräften dafür, sich gegenseitig
so viel als möglich in der öffentlichen Meinung zu schaden, indem sie sich Wahl¬
umtriebe aller Art vorwarfen.

Weniger heftige Bewegungen gehen den Wahlen in der zweiten Hessen-darm-
städtischen Kammer voran; ausgenommen in der Provinz Rheinhessen, wo allein
ein lebhaftes politisches Leben stattfindet, was namentlich in letzter Zeit ganz un¬
gemein zugenommen hat. In den beiden übrigen Landestheilen der Provinzen
ist die Theilnahme des Volkes, sogar an den Angelegenheiten der Kammer, ziemlich
gering. Sehr viele Wähler folgen fast unbedingt dem Urtheile ihrer Beamten
und geben ohne Bedenken ihre Stimme dem jungen Kandidaten, der ihnen von
diesen als der passendste vorgeschlagen wird. Besonders in den armen Gegenden
des Landes ist dies der Fall, weniger hingegen dort, wo eine schon wohlhabendere
und daher auch in materieller Hinsicht unabhängigere und dabei intelligentere Be¬
völkerung wohnt, wo z. B. einzelne Städte, namentlich Offenbach, Gießen, dann
der Bezirk Ballenberg, freisinnige Abgeordnete geschickt haben. In Rheinhessen
hat die Regierung bei den Wahlen sehr geringen Einfluß. Diese Verhältnisse
machen, daß die Wahlprüfungeu in Darmstadt bisher ohne besondere Schwierig¬
keiten vorübergingen.

Die Bestimmungen des Wahlsystems haben natürlich großen Einfluß auf die
Zusammensetzung der Kammern selbst. Die zweite badische Kammer zählt bei der
wenigen Beschränkung der Wahlordnung eine Menge von Abgeordneten, welche
förmlich einen Lebensberuf ans diesen Stellen gemacht haben, und sowohl vor wie
nach jedem Landtage sich dazu vorzubereiten suchen. Namentlich unabhängige Ad¬
vokaten, Gelehrte und pensionirte Beamte zählt dieselbe sehr viel, und besonders
die radikale Opposition ist fast größtenteils aus denselben zusammengesetzt. Es


Die Regierung verhält sich keineswegs passiv hiebei, sondern sucht allen Einfluß,
den sie besonders dnrch ihre Beamten auf die unteren, mehr von ihr abhän¬
gigen Stände auszuüben vermag, dazu zu benutzen, um sich möglichst viel folg¬
same Abgeordnete zu verschaffen. Daher sind auch die Verhandlungen bei den
Wahlprüfungen in der würtembergischen zweiten Kammer oft ziemlich lebhaft. In
uoch viel höherem Grade ist dies in dem benachbarten Baden der Fall, besonders
als nach Auflösung des Landtages im Februar vorigen Jahres alle Parteien ohne
Ausnahme jeden nur möglichen Hebel ansetzten, um bei den Wahlen so viel Kan¬
didaten, als es irgend anginge, für sich zu gewinnen. Hier ist es denn oft sehr
bunt zugegangen und Mittel sind gebraucht worden, um sich die Majorität zu
verschaffen, die wir gerade uicht billigen können. Mit offener Gerechtigkeit muß
man bekennen, daß weder die ultraconscrvative, noch die radikale Seite bei
diesen Wahlintriguen sich das Mindeste vergaben. Daher boten die ersten Sitzun¬
gen der zweiten badischen Kammer Anfang Mai vorigen Jahres, wo die Wahl¬
prüfungen stattfanden, ein in jeder Weise unerfreuliches Bild dar, beide schroff
sich gegenüberstehende Parteien sorgten uach besten Kräften dafür, sich gegenseitig
so viel als möglich in der öffentlichen Meinung zu schaden, indem sie sich Wahl¬
umtriebe aller Art vorwarfen.

Weniger heftige Bewegungen gehen den Wahlen in der zweiten Hessen-darm-
städtischen Kammer voran; ausgenommen in der Provinz Rheinhessen, wo allein
ein lebhaftes politisches Leben stattfindet, was namentlich in letzter Zeit ganz un¬
gemein zugenommen hat. In den beiden übrigen Landestheilen der Provinzen
ist die Theilnahme des Volkes, sogar an den Angelegenheiten der Kammer, ziemlich
gering. Sehr viele Wähler folgen fast unbedingt dem Urtheile ihrer Beamten
und geben ohne Bedenken ihre Stimme dem jungen Kandidaten, der ihnen von
diesen als der passendste vorgeschlagen wird. Besonders in den armen Gegenden
des Landes ist dies der Fall, weniger hingegen dort, wo eine schon wohlhabendere
und daher auch in materieller Hinsicht unabhängigere und dabei intelligentere Be¬
völkerung wohnt, wo z. B. einzelne Städte, namentlich Offenbach, Gießen, dann
der Bezirk Ballenberg, freisinnige Abgeordnete geschickt haben. In Rheinhessen
hat die Regierung bei den Wahlen sehr geringen Einfluß. Diese Verhältnisse
machen, daß die Wahlprüfungeu in Darmstadt bisher ohne besondere Schwierig¬
keiten vorübergingen.

Die Bestimmungen des Wahlsystems haben natürlich großen Einfluß auf die
Zusammensetzung der Kammern selbst. Die zweite badische Kammer zählt bei der
wenigen Beschränkung der Wahlordnung eine Menge von Abgeordneten, welche
förmlich einen Lebensberuf ans diesen Stellen gemacht haben, und sowohl vor wie
nach jedem Landtage sich dazu vorzubereiten suchen. Namentlich unabhängige Ad¬
vokaten, Gelehrte und pensionirte Beamte zählt dieselbe sehr viel, und besonders
die radikale Opposition ist fast größtenteils aus denselben zusammengesetzt. Es


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[0197] Die Regierung verhält sich keineswegs passiv hiebei, sondern sucht allen Einfluß, den sie besonders dnrch ihre Beamten auf die unteren, mehr von ihr abhän¬ gigen Stände auszuüben vermag, dazu zu benutzen, um sich möglichst viel folg¬ same Abgeordnete zu verschaffen. Daher sind auch die Verhandlungen bei den Wahlprüfungen in der würtembergischen zweiten Kammer oft ziemlich lebhaft. In uoch viel höherem Grade ist dies in dem benachbarten Baden der Fall, besonders als nach Auflösung des Landtages im Februar vorigen Jahres alle Parteien ohne Ausnahme jeden nur möglichen Hebel ansetzten, um bei den Wahlen so viel Kan¬ didaten, als es irgend anginge, für sich zu gewinnen. Hier ist es denn oft sehr bunt zugegangen und Mittel sind gebraucht worden, um sich die Majorität zu verschaffen, die wir gerade uicht billigen können. Mit offener Gerechtigkeit muß man bekennen, daß weder die ultraconscrvative, noch die radikale Seite bei diesen Wahlintriguen sich das Mindeste vergaben. Daher boten die ersten Sitzun¬ gen der zweiten badischen Kammer Anfang Mai vorigen Jahres, wo die Wahl¬ prüfungen stattfanden, ein in jeder Weise unerfreuliches Bild dar, beide schroff sich gegenüberstehende Parteien sorgten uach besten Kräften dafür, sich gegenseitig so viel als möglich in der öffentlichen Meinung zu schaden, indem sie sich Wahl¬ umtriebe aller Art vorwarfen. Weniger heftige Bewegungen gehen den Wahlen in der zweiten Hessen-darm- städtischen Kammer voran; ausgenommen in der Provinz Rheinhessen, wo allein ein lebhaftes politisches Leben stattfindet, was namentlich in letzter Zeit ganz un¬ gemein zugenommen hat. In den beiden übrigen Landestheilen der Provinzen ist die Theilnahme des Volkes, sogar an den Angelegenheiten der Kammer, ziemlich gering. Sehr viele Wähler folgen fast unbedingt dem Urtheile ihrer Beamten und geben ohne Bedenken ihre Stimme dem jungen Kandidaten, der ihnen von diesen als der passendste vorgeschlagen wird. Besonders in den armen Gegenden des Landes ist dies der Fall, weniger hingegen dort, wo eine schon wohlhabendere und daher auch in materieller Hinsicht unabhängigere und dabei intelligentere Be¬ völkerung wohnt, wo z. B. einzelne Städte, namentlich Offenbach, Gießen, dann der Bezirk Ballenberg, freisinnige Abgeordnete geschickt haben. In Rheinhessen hat die Regierung bei den Wahlen sehr geringen Einfluß. Diese Verhältnisse machen, daß die Wahlprüfungeu in Darmstadt bisher ohne besondere Schwierig¬ keiten vorübergingen. Die Bestimmungen des Wahlsystems haben natürlich großen Einfluß auf die Zusammensetzung der Kammern selbst. Die zweite badische Kammer zählt bei der wenigen Beschränkung der Wahlordnung eine Menge von Abgeordneten, welche förmlich einen Lebensberuf ans diesen Stellen gemacht haben, und sowohl vor wie nach jedem Landtage sich dazu vorzubereiten suchen. Namentlich unabhängige Ad¬ vokaten, Gelehrte und pensionirte Beamte zählt dieselbe sehr viel, und besonders die radikale Opposition ist fast größtenteils aus denselben zusammengesetzt. Es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/197>, abgerufen am 22.07.2024.