Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.Unklarheit und Befangenheit, Vorliebe für Fremdes und Verachtung des Heimischen, Dieses geheimniß volle Gesetz wird nun wohl auch durch diese Darstellung Die letzte Abhandlung, von K. F. Naumann, welche den englisch-persischen Krieg Aus der Geschichte springen wir in den leichtfertigeren Kreis der Novelle über. Unklarheit und Befangenheit, Vorliebe für Fremdes und Verachtung des Heimischen, Dieses geheimniß volle Gesetz wird nun wohl auch durch diese Darstellung Die letzte Abhandlung, von K. F. Naumann, welche den englisch-persischen Krieg Aus der Geschichte springen wir in den leichtfertigeren Kreis der Novelle über. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0180" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/184944"/> <p xml:id="ID_610" prev="#ID_609"> Unklarheit und Befangenheit, Vorliebe für Fremdes und Verachtung des Heimischen,<lb/> Sympathien für das Ausland und verrätherische Hingebung der Person an dasselbe;<lb/> Mangel an Gründen für allgemeine Begeisterung und für Erhebung zu vaterländischen<lb/> Zwecken, scheinbare Leerheit des staatsbürgerlichen Lebens und enthusiastische Erwär¬<lb/> mung für die Interessen fremder Völker, selbstsüchtiges Streben der Territvrialherrschast<lb/> im Gegensatz der SclbstentänßeruugSpflicht für Volkseinheit, vererbte Abneigung nach¬<lb/> barlicher Stämme, und Äawpf der ständischen Berechtigung gegeneinander, der kirchliche<lb/> Zwiespalt, welcher näheres Verhältniß zum undeutschen Glaubensgenossen als zum an¬<lb/> dersgläubigen Landsmann führte; endlich die tausendfach sich durchkreuzende Berechnung<lb/> örtlicher persönlicher Vortheile; ungeachtet so unzählige innere und äußere Zerwürfnisse<lb/> die nationalen Kräfte centrifugal zerstäuben; so ist das deutsche Volksganze dennoch<lb/> nicht metevrsteinartig aus seinem Mittelpunkte zersprengt. Ein geheimnißvoll es<lb/> Gesetz heißt dasselbe einen Mittelpunkt des Seins immer wiederum suchen, im geisti¬<lb/> gen Lichthungcr einer Centralsonne sich zuwenden, welche zu fliehen die Praxis des<lb/> Lebens zu gebieten scheint. Diese Centripetalkraft, welcher unsere Vorfahren auch un¬<lb/> ter der geistigen Axencrschütterung der Reformationszeit sich uicht entziehen konnten, zu<lb/> ahnen und frische Hoffnung im trüben Gewirre der Gegenwart zu nähren, sollen die<lb/> Geschichten unseres BrüdcrpaarcS dienen, deren unbefangene, unbewußte Verirrung nicht<lb/> ihr Jahrhundert allein kenntlich macht."</p><lb/> <p xml:id="ID_611"> Dieses geheimniß volle Gesetz wird nun wohl auch durch diese Darstellung<lb/> nicht klar, vielleicht eben weil es ein geheimnißvolles sein soll; desto anschaulicher aber<lb/> wird die heillose Verwirrung, die chaotische Unsittlichreit der sittlichen Verhältnisse, die<lb/> wir als „die gute alte Zeit" zu verehren gewohnt sind. Jedenfalls gewinnt die histo¬<lb/> rische Einsicht durch solche einfache aber gründliche Darstellungen unendlich mehr, als<lb/> durch zwanzig historische Romane in der Manier Walter Scott's, die das geschichtliche<lb/> Interesse an das Abenteuerliche und Romantische knüpfen.</p><lb/> <p xml:id="ID_612"> Die letzte Abhandlung, von K. F. Naumann, welche den englisch-persischen Krieg<lb/> von 1839—42 behandelt, hat den Titel: Das Trauerspiel in Afghanistan. Schon<lb/> diese Ueberschrift verräth die Tendenz aus das Gefühl und das Amüsement des Publi¬<lb/> kums einzuwirken, und wenn wir auch keineswegs behaupten wollen, daß dies Bestre¬<lb/> ben, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden vou Nachtheil gewesen sei für<lb/> den eigentlichen Gehalt der Arbeit, so ist es immer zu wünschen, daß eine histori¬<lb/> sche Darstellung so einfach und anspruchslos als möglich auftrete, namentlich wenn der<lb/> Stoff ohnehin von so großem Interesse ist, wie der gegenwärtige. Im Uebrigen ist die<lb/> Erzählung höchst anschaulich, und der Gegenstand — eine uns fremde Welt im Verhältniß<lb/> zu den uns wohlbekannten Interessen — bedeutend genug, um eine lebendige Theilnahme<lb/> aller Leser zu erregen.</p><lb/> <p xml:id="ID_613" next="#ID_614"> Aus der Geschichte springen wir in den leichtfertigeren Kreis der Novelle über.<lb/> Zwei novellistische Taschenbücher: Urania, 10. Jahrgang, und Penelope von Th.<lb/> Hell, eröffnen den Neigen. Da nämlich beide in Leipzig selbst erscheinen, haben sie<lb/> vor den andern den Vortheil voraus, früher versendet werden zu können. Sie enthal¬<lb/> ten keine Gedichte und keine Recensionen, und sollen dafür Dank haben! Therese, die<lb/> Verfasserin der „Briefe ans dem Süden," hat in jedes der beiden Taschenbücher eine No¬<lb/> velle geliefert: „Sigismund" und „Stilleben." Die erste macht das Unglück<lb/> einer Ehe zwischen heterogenen Personen an zwei Beispielen anschaulich. Dieses Thein<lb/> d«r häuslichen Miseren hat etwas Widerwärtiges, namentlich da in der Regel einige Uebc-<lb/> svanntheit in den Ansprüchen die Veranlassung ist, daß sich zwei Seelen nicht veröde/n;</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0180]
Unklarheit und Befangenheit, Vorliebe für Fremdes und Verachtung des Heimischen,
Sympathien für das Ausland und verrätherische Hingebung der Person an dasselbe;
Mangel an Gründen für allgemeine Begeisterung und für Erhebung zu vaterländischen
Zwecken, scheinbare Leerheit des staatsbürgerlichen Lebens und enthusiastische Erwär¬
mung für die Interessen fremder Völker, selbstsüchtiges Streben der Territvrialherrschast
im Gegensatz der SclbstentänßeruugSpflicht für Volkseinheit, vererbte Abneigung nach¬
barlicher Stämme, und Äawpf der ständischen Berechtigung gegeneinander, der kirchliche
Zwiespalt, welcher näheres Verhältniß zum undeutschen Glaubensgenossen als zum an¬
dersgläubigen Landsmann führte; endlich die tausendfach sich durchkreuzende Berechnung
örtlicher persönlicher Vortheile; ungeachtet so unzählige innere und äußere Zerwürfnisse
die nationalen Kräfte centrifugal zerstäuben; so ist das deutsche Volksganze dennoch
nicht metevrsteinartig aus seinem Mittelpunkte zersprengt. Ein geheimnißvoll es
Gesetz heißt dasselbe einen Mittelpunkt des Seins immer wiederum suchen, im geisti¬
gen Lichthungcr einer Centralsonne sich zuwenden, welche zu fliehen die Praxis des
Lebens zu gebieten scheint. Diese Centripetalkraft, welcher unsere Vorfahren auch un¬
ter der geistigen Axencrschütterung der Reformationszeit sich uicht entziehen konnten, zu
ahnen und frische Hoffnung im trüben Gewirre der Gegenwart zu nähren, sollen die
Geschichten unseres BrüdcrpaarcS dienen, deren unbefangene, unbewußte Verirrung nicht
ihr Jahrhundert allein kenntlich macht."
Dieses geheimniß volle Gesetz wird nun wohl auch durch diese Darstellung
nicht klar, vielleicht eben weil es ein geheimnißvolles sein soll; desto anschaulicher aber
wird die heillose Verwirrung, die chaotische Unsittlichreit der sittlichen Verhältnisse, die
wir als „die gute alte Zeit" zu verehren gewohnt sind. Jedenfalls gewinnt die histo¬
rische Einsicht durch solche einfache aber gründliche Darstellungen unendlich mehr, als
durch zwanzig historische Romane in der Manier Walter Scott's, die das geschichtliche
Interesse an das Abenteuerliche und Romantische knüpfen.
Die letzte Abhandlung, von K. F. Naumann, welche den englisch-persischen Krieg
von 1839—42 behandelt, hat den Titel: Das Trauerspiel in Afghanistan. Schon
diese Ueberschrift verräth die Tendenz aus das Gefühl und das Amüsement des Publi¬
kums einzuwirken, und wenn wir auch keineswegs behaupten wollen, daß dies Bestre¬
ben, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden vou Nachtheil gewesen sei für
den eigentlichen Gehalt der Arbeit, so ist es immer zu wünschen, daß eine histori¬
sche Darstellung so einfach und anspruchslos als möglich auftrete, namentlich wenn der
Stoff ohnehin von so großem Interesse ist, wie der gegenwärtige. Im Uebrigen ist die
Erzählung höchst anschaulich, und der Gegenstand — eine uns fremde Welt im Verhältniß
zu den uns wohlbekannten Interessen — bedeutend genug, um eine lebendige Theilnahme
aller Leser zu erregen.
Aus der Geschichte springen wir in den leichtfertigeren Kreis der Novelle über.
Zwei novellistische Taschenbücher: Urania, 10. Jahrgang, und Penelope von Th.
Hell, eröffnen den Neigen. Da nämlich beide in Leipzig selbst erscheinen, haben sie
vor den andern den Vortheil voraus, früher versendet werden zu können. Sie enthal¬
ten keine Gedichte und keine Recensionen, und sollen dafür Dank haben! Therese, die
Verfasserin der „Briefe ans dem Süden," hat in jedes der beiden Taschenbücher eine No¬
velle geliefert: „Sigismund" und „Stilleben." Die erste macht das Unglück
einer Ehe zwischen heterogenen Personen an zwei Beispielen anschaulich. Dieses Thein
d«r häuslichen Miseren hat etwas Widerwärtiges, namentlich da in der Regel einige Uebc-
svanntheit in den Ansprüchen die Veranlassung ist, daß sich zwei Seelen nicht veröde/n;
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