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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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die weiße Halsbinde umlegen und den Frack anziehn." -- "Nein, nein, Sie sollen
nur so kommen, wie Sie sind," sagte der Bote.

Nach einigem Zögern verstand sich der Canzcllist dazu, dem mächtigen Be¬
fehle Folge zu leisten. Wie klopfte ihm die Brust, als er die Treppe hinabstieg;
der Herr Inspector sind schon eine Art von Gott für ihn, nun gar der Herr
Präsident! Es muß etwas Besonderes vorgefallen sein! Er stand still, zupfte an
seiner Halskrause und wischte die Fasern von seinen Beinkleidern. Am Eingange
des PräsidialzimmcrS machte er wiederum Halt, putzte sich die Füße auf der
Strohdcckc wiederholt ab, strich mit der glatten Hand über sein weniges Haar
und zog dann leise das Taschentuch, um sich die Nase zu schnauben, aber nicht
laut. Nun Herz gefaßt! er klopfte leise an, und fuhr dann horchend von der
Thür zurück. Wahrscheinlich sind der Herr Präsident in der Arbeit sehr vertieft,
und haben das Klopfen nicht vernommen; man muß es daher wiederholen, aber
nicht zu bald, erst nach einigen Minuten, und dann etwas stärker. "Herein!"
erschallte es nun drinnen, jetzt war keine Wahl mehr, Herr Weise öffnete zagend
die Thür. Dort hielt ihn ein tiefer, ehrerbietiger, nicht redender Bückling fest.

"Lieber Weise," redete ihn der Präsident an, "es ist ans ihren Personalak¬
ten nicht mit Zuverlässigkeit zu ersehen, an welchem Tage Sie in den Dienst ge¬
treten sind. Jedenfalls ist es vor 50 Jahren ungefähr um diese Zeit geschehen,
und ich habe daher Veranlassung genommen, Ihretwegen an das hohe Ministerin"!
zu berichten. Se. Exellenz haben in Anerkennung Ihrer langjährigen Dienste zu
JhreiU funfzigjährigen Jubiläum Ihnen den Titel "Geheimer Canzcllci-Secretair"
ausnahmsweise zu verleihen die Gnade gehabt, hier ist ihre Bestallung! ich wün¬
sche, daß Sie sich auch in Zukunft einer dauerhaften Gesundheit erfreuen und
die Segnungen einer langen pflichtgetrcnen Dienstsührung in vollem Maße genie¬
ßen mögen."

Der Canzcllist stand sprachlos; er stammelte einige Worte des Danks, der
Herr Präsident schüttelte ihm die Rechte, gratulirte ihm noch einmal, und eine
leichte Handbewegung desselben deutete dem Ueberraschten an, daß er entlassen sei.
Herr Weise rannte trotz seiner 65 Jahre wie ein Jüngling die Treppe wieder in
die Höhe, und zeigte mit glänzendem, freudestrahlendem Antlitz seine Bestallung
in der Canzellei vor. Er empfing von Allen herzliche Glückwünsche, und auch der
Herr Inspektor reichte ihm die Hand.

"Eleonore!" sagte Herr Weise, als er zu Haus in die Stube trat, freundlich
aber doch würdevoll, "kaufe eine Flasche Wein, hier sind 10 Silbergroschen dazu!
Friedrich! Dn begibst Dich zum Conditor, hier sind 5 Groschen, hole Kuchen!"

Friedrich ließ sich das nicht zweimal sagen, er rannte davon; aber Eleonore
zögerte noch, und sah den Vater verwundert an. Sie mußte durch Nähen und
Stricken den kärglichen Haushalt unterstützen, -- wie manchen Stich erforderte es,
bis 10 Sgr. verdient waren.


die weiße Halsbinde umlegen und den Frack anziehn." — „Nein, nein, Sie sollen
nur so kommen, wie Sie sind," sagte der Bote.

Nach einigem Zögern verstand sich der Canzcllist dazu, dem mächtigen Be¬
fehle Folge zu leisten. Wie klopfte ihm die Brust, als er die Treppe hinabstieg;
der Herr Inspector sind schon eine Art von Gott für ihn, nun gar der Herr
Präsident! Es muß etwas Besonderes vorgefallen sein! Er stand still, zupfte an
seiner Halskrause und wischte die Fasern von seinen Beinkleidern. Am Eingange
des PräsidialzimmcrS machte er wiederum Halt, putzte sich die Füße auf der
Strohdcckc wiederholt ab, strich mit der glatten Hand über sein weniges Haar
und zog dann leise das Taschentuch, um sich die Nase zu schnauben, aber nicht
laut. Nun Herz gefaßt! er klopfte leise an, und fuhr dann horchend von der
Thür zurück. Wahrscheinlich sind der Herr Präsident in der Arbeit sehr vertieft,
und haben das Klopfen nicht vernommen; man muß es daher wiederholen, aber
nicht zu bald, erst nach einigen Minuten, und dann etwas stärker. „Herein!"
erschallte es nun drinnen, jetzt war keine Wahl mehr, Herr Weise öffnete zagend
die Thür. Dort hielt ihn ein tiefer, ehrerbietiger, nicht redender Bückling fest.

„Lieber Weise," redete ihn der Präsident an, „es ist ans ihren Personalak¬
ten nicht mit Zuverlässigkeit zu ersehen, an welchem Tage Sie in den Dienst ge¬
treten sind. Jedenfalls ist es vor 50 Jahren ungefähr um diese Zeit geschehen,
und ich habe daher Veranlassung genommen, Ihretwegen an das hohe Ministerin»!
zu berichten. Se. Exellenz haben in Anerkennung Ihrer langjährigen Dienste zu
JhreiU funfzigjährigen Jubiläum Ihnen den Titel „Geheimer Canzcllci-Secretair"
ausnahmsweise zu verleihen die Gnade gehabt, hier ist ihre Bestallung! ich wün¬
sche, daß Sie sich auch in Zukunft einer dauerhaften Gesundheit erfreuen und
die Segnungen einer langen pflichtgetrcnen Dienstsührung in vollem Maße genie¬
ßen mögen."

Der Canzcllist stand sprachlos; er stammelte einige Worte des Danks, der
Herr Präsident schüttelte ihm die Rechte, gratulirte ihm noch einmal, und eine
leichte Handbewegung desselben deutete dem Ueberraschten an, daß er entlassen sei.
Herr Weise rannte trotz seiner 65 Jahre wie ein Jüngling die Treppe wieder in
die Höhe, und zeigte mit glänzendem, freudestrahlendem Antlitz seine Bestallung
in der Canzellei vor. Er empfing von Allen herzliche Glückwünsche, und auch der
Herr Inspektor reichte ihm die Hand.

„Eleonore!" sagte Herr Weise, als er zu Haus in die Stube trat, freundlich
aber doch würdevoll, „kaufe eine Flasche Wein, hier sind 10 Silbergroschen dazu!
Friedrich! Dn begibst Dich zum Conditor, hier sind 5 Groschen, hole Kuchen!"

Friedrich ließ sich das nicht zweimal sagen, er rannte davon; aber Eleonore
zögerte noch, und sah den Vater verwundert an. Sie mußte durch Nähen und
Stricken den kärglichen Haushalt unterstützen, — wie manchen Stich erforderte es,
bis 10 Sgr. verdient waren.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/165>, abgerufen am 24.08.2024.