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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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"Nun?! ich ersuche, daß meinen Anordnungen die nöthige Folge gegeben
werde!" sagte der Vater, als sie nicht sogleich ging, ungewöhnlich milde. "Heute
ist ein großer Tag für uns, mein Kind!" -- Sie durste nun nicht länger säumen.

Als das Verlangte ans dem Tische stand, entsiegelte Herr Weise die Flasche,
schenkte sich ein Glas ein und goß noch zwei andere Gläser halb und ein viertes
zum dritten Theile voll. Als es nun an die Vertheilung der Kuchen ging, hatte
Friedrich seinen begehrlichen Blick schon auf eine Sahnentorte gerichtet, aber --
er irrte sich, -- der Vater reichte ihm nach einigem Besinnen zwei kleine Kuchen
hin, einer desgleichen ward für das Dienstmädchen, das zu dem Familienfeste zu¬
gezogen werden mußte, bestimmt, Eleonore empfing einen großen, und Hr. Weise
selbst behielt zwei große und einen kleinen Kuchen; so wird die Sache etwa rich¬
tig und angemessen sein: es ging doch nicht an, daß die Kinder eben so viel erhiel¬
ten, als ihr Vater und Ernährer.

Albertine ward gerufen, ein Jedes nahm sein Glas zur Hand, Herr Weise
erhob sich feierlich und redete folgendermaßen:

"Es sind nunmehr 50 Jahre her, seit ich meine Laufbahn als Staatsdiener
betrat, 50 Jahre, -- ein lauger Zeitraum! Wie viel Freude und Leid, wie viel
Sorge und Glück schließt dieser Zeitraum eines vielbewegten, vielgeprüften, aber
auch wirksamen und segensreichen Lebens in sich! Ich kann wohl sagen, daß es
keine Stunde gegeben hat, rücksichtlich deren ich in Betreff des mir anvertrauten
Amtes nicht Rechenschaft abzulegen vermöchte, hier und -- dort."

Herr Weise richtete seinen Blick aufwärts, und fuhr nach einer Pause fort:
"Ich habe die ganze schwere Franzosenzeit mitgemacht, -- ich bin unerschüttert
und fest, allen Gefahren trotzbietend, von dem mir übertragenen Posten am Schreib¬
tisch nicht gewichen, getreu dem Eidschwur ^ den ich Sr. Majestät dem Könige ge¬
leistet. Die wichtigsten Dokumente der verschiedenen Behörden sind durch meine
Hände gegangen, und ich habe mich stets der Achtung und Liebe meiner Vorge¬
setzten und Untergebenen zu erfreuen gehabt. Laßt mich hinzufügen, daß ich wäh¬
rend der gedachten 50 Jahre nur einmal, und das nur auf acht Tage, Urlaub
gehabt habe, um darzuthun, daß ich den Pflichten meines Amts alle persönlichen
Rücksichten stets hintenau zu setzen gewußt habe. Dies wird gegenwärtig aner¬
kannt. Freilich dürfte ich über kurz oder lang vielleicht dahin eingehn müssen,
rücksichtlich dessen Alles eventualiter aufhört; -- jedoch ich hoffe, daß ich uoch ei¬
nige Jahre unter meinen Lieben verweilen werde, wozu auch Aussicht vorhanden
zu sein scheint. Denn mein Kopf ist noch immer klar und frei, und mein Magen,
Gott sei Dank, gut; nur das Zittern meiner Hände beunruhigt mich zuweilen ein
wenig. Doch übergehn wir dieses! ich empfange nunmehr den Lohn für meine
langjährige getreue Dienftfnhrung. Nicht allein, daß mir im Kreise meiner beiden
Descendenten zu leben vergönnt ist, -- ich feiere auch hente am 20. April currvntis
mein 50jähriges Amtsjubiläum, respective Standeserhöhung. Ja, meine Freunde!


„Nun?! ich ersuche, daß meinen Anordnungen die nöthige Folge gegeben
werde!" sagte der Vater, als sie nicht sogleich ging, ungewöhnlich milde. „Heute
ist ein großer Tag für uns, mein Kind!" — Sie durste nun nicht länger säumen.

Als das Verlangte ans dem Tische stand, entsiegelte Herr Weise die Flasche,
schenkte sich ein Glas ein und goß noch zwei andere Gläser halb und ein viertes
zum dritten Theile voll. Als es nun an die Vertheilung der Kuchen ging, hatte
Friedrich seinen begehrlichen Blick schon auf eine Sahnentorte gerichtet, aber —
er irrte sich, — der Vater reichte ihm nach einigem Besinnen zwei kleine Kuchen
hin, einer desgleichen ward für das Dienstmädchen, das zu dem Familienfeste zu¬
gezogen werden mußte, bestimmt, Eleonore empfing einen großen, und Hr. Weise
selbst behielt zwei große und einen kleinen Kuchen; so wird die Sache etwa rich¬
tig und angemessen sein: es ging doch nicht an, daß die Kinder eben so viel erhiel¬
ten, als ihr Vater und Ernährer.

Albertine ward gerufen, ein Jedes nahm sein Glas zur Hand, Herr Weise
erhob sich feierlich und redete folgendermaßen:

„Es sind nunmehr 50 Jahre her, seit ich meine Laufbahn als Staatsdiener
betrat, 50 Jahre, — ein lauger Zeitraum! Wie viel Freude und Leid, wie viel
Sorge und Glück schließt dieser Zeitraum eines vielbewegten, vielgeprüften, aber
auch wirksamen und segensreichen Lebens in sich! Ich kann wohl sagen, daß es
keine Stunde gegeben hat, rücksichtlich deren ich in Betreff des mir anvertrauten
Amtes nicht Rechenschaft abzulegen vermöchte, hier und — dort."

Herr Weise richtete seinen Blick aufwärts, und fuhr nach einer Pause fort:
„Ich habe die ganze schwere Franzosenzeit mitgemacht, — ich bin unerschüttert
und fest, allen Gefahren trotzbietend, von dem mir übertragenen Posten am Schreib¬
tisch nicht gewichen, getreu dem Eidschwur ^ den ich Sr. Majestät dem Könige ge¬
leistet. Die wichtigsten Dokumente der verschiedenen Behörden sind durch meine
Hände gegangen, und ich habe mich stets der Achtung und Liebe meiner Vorge¬
setzten und Untergebenen zu erfreuen gehabt. Laßt mich hinzufügen, daß ich wäh¬
rend der gedachten 50 Jahre nur einmal, und das nur auf acht Tage, Urlaub
gehabt habe, um darzuthun, daß ich den Pflichten meines Amts alle persönlichen
Rücksichten stets hintenau zu setzen gewußt habe. Dies wird gegenwärtig aner¬
kannt. Freilich dürfte ich über kurz oder lang vielleicht dahin eingehn müssen,
rücksichtlich dessen Alles eventualiter aufhört; — jedoch ich hoffe, daß ich uoch ei¬
nige Jahre unter meinen Lieben verweilen werde, wozu auch Aussicht vorhanden
zu sein scheint. Denn mein Kopf ist noch immer klar und frei, und mein Magen,
Gott sei Dank, gut; nur das Zittern meiner Hände beunruhigt mich zuweilen ein
wenig. Doch übergehn wir dieses! ich empfange nunmehr den Lohn für meine
langjährige getreue Dienftfnhrung. Nicht allein, daß mir im Kreise meiner beiden
Descendenten zu leben vergönnt ist, — ich feiere auch hente am 20. April currvntis
mein 50jähriges Amtsjubiläum, respective Standeserhöhung. Ja, meine Freunde!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/166>, abgerufen am 22.07.2024.