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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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drnß; er steckte daher den fraglichen Finger in den Mund, um ihn zu benetzen,
und rieb dann mit geschickter rascher Bewegung auf seinen dunklen Beinkleidern die
außergewöhnliche Schwärze ab. -- "Ich verlange unbedingten Gehorsam," fuhr
er dann strenge fort, "und lasse keine dergleichen völlig unmotivirte Ausreden gelten."

Demnächst entfernte er sich und ließ die Seinen in Furcht und Zittern zurück.

Ju der Canzellci, welch' eine tiefe, fast athemlose Stille! Das Knistern voll
hundert feinen Federspitzen und das unheimliche Rauschen des Papieres, wenn
ein Blatt umgeschlagen oder ein Bogen neu gefaltet wurde, dnrchflüsterte die ge¬
räumigen Zimmer. Nur dann und wann unterbrach ein tiefer Athemzug oder das
Niesen eiues Beamten die sonst lautlose Stille. Draußen lachte schon der Früh¬
ling mit seinen Blüthen und seinem warmen Sonnenschein, und die Lerche schmet¬
terte ihr Helles Lied in die blaue, erquickende Luft. In der Canzellei war aber
noch gründlich eingeheizt; eine ganz eigenthümliche Atmosphäre wehte schwül und
drückend durch diese Räume, in welche anßer den Schreibenden nur Tinte, Feder,
Papier, Licht und Schnupftabak hinein dringen durften.

"Herr Weise!" rief der Canzellei-Inspector dem alten Manne zu, welcher auf
dein ersten Platze der vordersten Bank mit der Enträthselung eines fast unleser¬
licher Conceptes beschäftigt war, "Herr Weise! Sie haben heute Alles in Allein
erst fünf Bogen geschrieben, und es ist bald Mittag, -- wie kommt das?" --
"Meine Augen wollen nicht mehr so recht vorwärts," entgegnete der Angeredete --
"das Concept hier ist gar zu klein und kritzlich geschrieben."

Der Inspector trat heran, überflog das Papier und rief: "Wie kommen Sie
denn dazu, dies zu kopiren, Herr Weise? Sie wissen ja, daß nur Herr Lange
diese Handschrift lesen kann, und daß er ausdrücklich angewiesen ist, alle Verfügun¬
gen des Herrn Pupillenraths ausschließlich allein zu kopiren." -- "Das Concept
lag auf meinem Platze, wo es der Herr Inspector selbst hingelegt haben müssen,"
entschuldigte sich der Canzellist; "ich bitte sehr, um Verzeihung dies eine Mal."

Ein strenger Blick des Herrn Jnspectors wies den Widersprechenden in seine
Schranken zurück. "Ueberdies," fuhr der Vorgesetzte fort, "Sie müssen sich den
Fortschritten der Zeit durchaus mehr accvmodiren, Ihre Buchstaben sind so alt¬
fränkisch, so schreibt kein Mensch mehr, und ich bemerke auch seit längerer Zeit,
daß Sie außerordentlich viel Tintenflecke ans die Munda machen, und die Hälfte
des Papiers, welches Ihnen zur Anfertigung der Abschriften übergeben wird, ver¬
derben." -- "Meine Hand zittert schon ein wenig!" entgegnete kleinlaut der Canzel¬
list, welchen diese Vorwürfe an den Grundfesten seiner Ehre und seiner Existenz
zu erschüttern schienen. "Doch wo das Leben Wunden schlägt, da hat es auch
den Balsam des Trostes, sie zu heilen." Ein Bote erschien und überbrachte Herrn
Weise den Befehl, sofort vor dem Herrn Präsidenten zu erscheinen. "Vor dem
Herrn Präsidenten?! unmöglich, -- so muß Herr Weise erst nach Hause laufen,


drnß; er steckte daher den fraglichen Finger in den Mund, um ihn zu benetzen,
und rieb dann mit geschickter rascher Bewegung auf seinen dunklen Beinkleidern die
außergewöhnliche Schwärze ab. — „Ich verlange unbedingten Gehorsam," fuhr
er dann strenge fort, „und lasse keine dergleichen völlig unmotivirte Ausreden gelten."

Demnächst entfernte er sich und ließ die Seinen in Furcht und Zittern zurück.

Ju der Canzellci, welch' eine tiefe, fast athemlose Stille! Das Knistern voll
hundert feinen Federspitzen und das unheimliche Rauschen des Papieres, wenn
ein Blatt umgeschlagen oder ein Bogen neu gefaltet wurde, dnrchflüsterte die ge¬
räumigen Zimmer. Nur dann und wann unterbrach ein tiefer Athemzug oder das
Niesen eiues Beamten die sonst lautlose Stille. Draußen lachte schon der Früh¬
ling mit seinen Blüthen und seinem warmen Sonnenschein, und die Lerche schmet¬
terte ihr Helles Lied in die blaue, erquickende Luft. In der Canzellei war aber
noch gründlich eingeheizt; eine ganz eigenthümliche Atmosphäre wehte schwül und
drückend durch diese Räume, in welche anßer den Schreibenden nur Tinte, Feder,
Papier, Licht und Schnupftabak hinein dringen durften.

„Herr Weise!" rief der Canzellei-Inspector dem alten Manne zu, welcher auf
dein ersten Platze der vordersten Bank mit der Enträthselung eines fast unleser¬
licher Conceptes beschäftigt war, „Herr Weise! Sie haben heute Alles in Allein
erst fünf Bogen geschrieben, und es ist bald Mittag, — wie kommt das?" —
„Meine Augen wollen nicht mehr so recht vorwärts," entgegnete der Angeredete —
„das Concept hier ist gar zu klein und kritzlich geschrieben."

Der Inspector trat heran, überflog das Papier und rief: „Wie kommen Sie
denn dazu, dies zu kopiren, Herr Weise? Sie wissen ja, daß nur Herr Lange
diese Handschrift lesen kann, und daß er ausdrücklich angewiesen ist, alle Verfügun¬
gen des Herrn Pupillenraths ausschließlich allein zu kopiren." — „Das Concept
lag auf meinem Platze, wo es der Herr Inspector selbst hingelegt haben müssen,"
entschuldigte sich der Canzellist; „ich bitte sehr, um Verzeihung dies eine Mal."

Ein strenger Blick des Herrn Jnspectors wies den Widersprechenden in seine
Schranken zurück. „Ueberdies," fuhr der Vorgesetzte fort, „Sie müssen sich den
Fortschritten der Zeit durchaus mehr accvmodiren, Ihre Buchstaben sind so alt¬
fränkisch, so schreibt kein Mensch mehr, und ich bemerke auch seit längerer Zeit,
daß Sie außerordentlich viel Tintenflecke ans die Munda machen, und die Hälfte
des Papiers, welches Ihnen zur Anfertigung der Abschriften übergeben wird, ver¬
derben." — „Meine Hand zittert schon ein wenig!" entgegnete kleinlaut der Canzel¬
list, welchen diese Vorwürfe an den Grundfesten seiner Ehre und seiner Existenz
zu erschüttern schienen. „Doch wo das Leben Wunden schlägt, da hat es auch
den Balsam des Trostes, sie zu heilen." Ein Bote erschien und überbrachte Herrn
Weise den Befehl, sofort vor dem Herrn Präsidenten zu erscheinen. „Vor dem
Herrn Präsidenten?! unmöglich, — so muß Herr Weise erst nach Hause laufen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/164>, abgerufen am 24.08.2024.