Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Vater verrenkte ihn fast die kleinen Finger und stellte die verschiedenartigsten Ver¬
suche mit dem Unglücklichen an.

"Der Herr Inspector haben gesagt," theilte Herr Weise heut' seinem Sohn
mit, "daß Du im nächsten Monat bei uns Deine Carriere beginnen sollst. Ich
habe dem Herrn Inspector einige Proben Deiner Handschrist vorgelegt, der Herr
Inspector haben dieselben belobt, und selbige dem Herrn Präsidenten gezeigt. Herr
Präsident haben gesagt, daß Du einmal ein guter Canzellist werden würdest.
Junge! freue Dich, für Deine Zukunft ist gesorgt -- das hast Du mir zu ver¬
danken. Vermögen habe ich vou meinem Gehalte nicht ersparen können, ich hin¬
terlasse Euch also, wenn ick) sterbe, principaliter nichts, als meinen guten Namen
und diejenige Bildung, respective Stellung in der Welt, welche ich Euch zu ver-
schaffen gewußt habe. Eventualiter werdet Ihr ans dieser Bahn zu meiner Ehre
weiterschreiten, und als die Descendenten eines braven Vaters und getreuen Dieners
Sr. Majestät des Königs Euch desjenigen Vertrauens würdig erweisen, welches
ich in Euch setze, meine Kinder! -- Laßt uus dem Herrn nun danken, daß er
uns wiederum satt gemacht habe."

Damit stand der Hausherr auf, faltete die Hände und sprach ein Gebet. Frie¬
drich hatte während dessen noch beide Backen voll, aber er durfte, so lange die
Andacht währte, nicht kauen, wie es ihm denn überhaupt recht ungelegen kam, daß
die Mahlzeit schon als beendet angesehen werden mußte. Er hatte noch lange
nicht genug gegessen.

"Albertine soll abdecken, sogleich!" rief Herr Weise, "Was soll das bedeu¬
ten, daß Sie stundenlang damit zögert? Albertine!"

Die Magd kam. Der Herr stellte sich dicht vor sie hin, hob drohend seinen
Finger und sagte, indem er sie scharf und finster anblickte: "Wir werden, wenn Du
Dich nicht an eine geregelte und prompte Dieustführung gewöhust, Dir eventua¬
liter den Abschied geben müssen. Ordnung ist die erste Bürgerpflicht, und ich be¬
fehle Dir hiermit, diesen Grundsatz unverbrüchlich zu halten. Im Uebertretungs-
falle werde ich diejenige" Maßnahmen zu treffen wissen, welche geeignet erscheinen
möchten, die Ordnung, selbst unter Anwendung von Gewalt, zuvörderst wieder
herzustellen. Nun kannst Dn Dich entfernen!" -- "Eleonore! ich bemerke auf mei¬
nem Rock verschiedene Flecke; das darf nicht sein -- Du bist mir verantwortlich
für jeden Schaden, welcher daraus erwachsen möchte. Zu welchem Endzwecke habe
ich Dich das Schneidern lehren lassen? -- Ist das Recht, Eleonore, daß Du
Deinen Vater --" -- "Ach Gott!" sagte das Mädchen, "der Nock ist schon gar
zu abgetragen, ich kann diesen schlimmen Fleck, ohne das Zeug zu zerreißen, nicht
ausreiben." -- "Stille!" befahl Herr Weise und erhob wiederum den breiten, von
Tinte geschwärzten Zeigefinger seiner rechten Hand. Dieser Finger hatte schon
auf manche Feder gedrückt; heute aber war er doch schwärzlicher als gewöhnlich
in der Hitze des Kampfes geworden. Herr Weise bemerkte dies mit einigem Ver-


Vater verrenkte ihn fast die kleinen Finger und stellte die verschiedenartigsten Ver¬
suche mit dem Unglücklichen an.

„Der Herr Inspector haben gesagt," theilte Herr Weise heut' seinem Sohn
mit, „daß Du im nächsten Monat bei uns Deine Carriere beginnen sollst. Ich
habe dem Herrn Inspector einige Proben Deiner Handschrist vorgelegt, der Herr
Inspector haben dieselben belobt, und selbige dem Herrn Präsidenten gezeigt. Herr
Präsident haben gesagt, daß Du einmal ein guter Canzellist werden würdest.
Junge! freue Dich, für Deine Zukunft ist gesorgt — das hast Du mir zu ver¬
danken. Vermögen habe ich vou meinem Gehalte nicht ersparen können, ich hin¬
terlasse Euch also, wenn ick) sterbe, principaliter nichts, als meinen guten Namen
und diejenige Bildung, respective Stellung in der Welt, welche ich Euch zu ver-
schaffen gewußt habe. Eventualiter werdet Ihr ans dieser Bahn zu meiner Ehre
weiterschreiten, und als die Descendenten eines braven Vaters und getreuen Dieners
Sr. Majestät des Königs Euch desjenigen Vertrauens würdig erweisen, welches
ich in Euch setze, meine Kinder! — Laßt uus dem Herrn nun danken, daß er
uns wiederum satt gemacht habe."

Damit stand der Hausherr auf, faltete die Hände und sprach ein Gebet. Frie¬
drich hatte während dessen noch beide Backen voll, aber er durfte, so lange die
Andacht währte, nicht kauen, wie es ihm denn überhaupt recht ungelegen kam, daß
die Mahlzeit schon als beendet angesehen werden mußte. Er hatte noch lange
nicht genug gegessen.

„Albertine soll abdecken, sogleich!" rief Herr Weise, „Was soll das bedeu¬
ten, daß Sie stundenlang damit zögert? Albertine!"

Die Magd kam. Der Herr stellte sich dicht vor sie hin, hob drohend seinen
Finger und sagte, indem er sie scharf und finster anblickte: „Wir werden, wenn Du
Dich nicht an eine geregelte und prompte Dieustführung gewöhust, Dir eventua¬
liter den Abschied geben müssen. Ordnung ist die erste Bürgerpflicht, und ich be¬
fehle Dir hiermit, diesen Grundsatz unverbrüchlich zu halten. Im Uebertretungs-
falle werde ich diejenige» Maßnahmen zu treffen wissen, welche geeignet erscheinen
möchten, die Ordnung, selbst unter Anwendung von Gewalt, zuvörderst wieder
herzustellen. Nun kannst Dn Dich entfernen!" — „Eleonore! ich bemerke auf mei¬
nem Rock verschiedene Flecke; das darf nicht sein — Du bist mir verantwortlich
für jeden Schaden, welcher daraus erwachsen möchte. Zu welchem Endzwecke habe
ich Dich das Schneidern lehren lassen? — Ist das Recht, Eleonore, daß Du
Deinen Vater —" — „Ach Gott!" sagte das Mädchen, „der Nock ist schon gar
zu abgetragen, ich kann diesen schlimmen Fleck, ohne das Zeug zu zerreißen, nicht
ausreiben." — „Stille!" befahl Herr Weise und erhob wiederum den breiten, von
Tinte geschwärzten Zeigefinger seiner rechten Hand. Dieser Finger hatte schon
auf manche Feder gedrückt; heute aber war er doch schwärzlicher als gewöhnlich
in der Hitze des Kampfes geworden. Herr Weise bemerkte dies mit einigem Ver-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0163" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/184927"/>
          <p xml:id="ID_537" prev="#ID_536"> Vater verrenkte ihn fast die kleinen Finger und stellte die verschiedenartigsten Ver¬<lb/>
suche mit dem Unglücklichen an.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_538"> &#x201E;Der Herr Inspector haben gesagt," theilte Herr Weise heut' seinem Sohn<lb/>
mit, &#x201E;daß Du im nächsten Monat bei uns Deine Carriere beginnen sollst. Ich<lb/>
habe dem Herrn Inspector einige Proben Deiner Handschrist vorgelegt, der Herr<lb/>
Inspector haben dieselben belobt, und selbige dem Herrn Präsidenten gezeigt. Herr<lb/>
Präsident haben gesagt, daß Du einmal ein guter Canzellist werden würdest.<lb/>
Junge! freue Dich, für Deine Zukunft ist gesorgt &#x2014; das hast Du mir zu ver¬<lb/>
danken. Vermögen habe ich vou meinem Gehalte nicht ersparen können, ich hin¬<lb/>
terlasse Euch also, wenn ick) sterbe, principaliter nichts, als meinen guten Namen<lb/>
und diejenige Bildung, respective Stellung in der Welt, welche ich Euch zu ver-<lb/>
schaffen gewußt habe. Eventualiter werdet Ihr ans dieser Bahn zu meiner Ehre<lb/>
weiterschreiten, und als die Descendenten eines braven Vaters und getreuen Dieners<lb/>
Sr. Majestät des Königs Euch desjenigen Vertrauens würdig erweisen, welches<lb/>
ich in Euch setze, meine Kinder! &#x2014; Laßt uus dem Herrn nun danken, daß er<lb/>
uns wiederum satt gemacht habe."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_539"> Damit stand der Hausherr auf, faltete die Hände und sprach ein Gebet. Frie¬<lb/>
drich hatte während dessen noch beide Backen voll, aber er durfte, so lange die<lb/>
Andacht währte, nicht kauen, wie es ihm denn überhaupt recht ungelegen kam, daß<lb/>
die Mahlzeit schon als beendet angesehen werden mußte. Er hatte noch lange<lb/>
nicht genug gegessen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_540"> &#x201E;Albertine soll abdecken, sogleich!" rief Herr Weise, &#x201E;Was soll das bedeu¬<lb/>
ten, daß Sie stundenlang damit zögert? Albertine!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_541" next="#ID_542"> Die Magd kam. Der Herr stellte sich dicht vor sie hin, hob drohend seinen<lb/>
Finger und sagte, indem er sie scharf und finster anblickte: &#x201E;Wir werden, wenn Du<lb/>
Dich nicht an eine geregelte und prompte Dieustführung gewöhust, Dir eventua¬<lb/>
liter den Abschied geben müssen. Ordnung ist die erste Bürgerpflicht, und ich be¬<lb/>
fehle Dir hiermit, diesen Grundsatz unverbrüchlich zu halten. Im Uebertretungs-<lb/>
falle werde ich diejenige» Maßnahmen zu treffen wissen, welche geeignet erscheinen<lb/>
möchten, die Ordnung, selbst unter Anwendung von Gewalt, zuvörderst wieder<lb/>
herzustellen. Nun kannst Dn Dich entfernen!" &#x2014; &#x201E;Eleonore! ich bemerke auf mei¬<lb/>
nem Rock verschiedene Flecke; das darf nicht sein &#x2014; Du bist mir verantwortlich<lb/>
für jeden Schaden, welcher daraus erwachsen möchte. Zu welchem Endzwecke habe<lb/>
ich Dich das Schneidern lehren lassen? &#x2014; Ist das Recht, Eleonore, daß Du<lb/>
Deinen Vater &#x2014;" &#x2014; &#x201E;Ach Gott!" sagte das Mädchen, &#x201E;der Nock ist schon gar<lb/>
zu abgetragen, ich kann diesen schlimmen Fleck, ohne das Zeug zu zerreißen, nicht<lb/>
ausreiben." &#x2014; &#x201E;Stille!" befahl Herr Weise und erhob wiederum den breiten, von<lb/>
Tinte geschwärzten Zeigefinger seiner rechten Hand. Dieser Finger hatte schon<lb/>
auf manche Feder gedrückt; heute aber war er doch schwärzlicher als gewöhnlich<lb/>
in der Hitze des Kampfes geworden. Herr Weise bemerkte dies mit einigem Ver-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0163] Vater verrenkte ihn fast die kleinen Finger und stellte die verschiedenartigsten Ver¬ suche mit dem Unglücklichen an. „Der Herr Inspector haben gesagt," theilte Herr Weise heut' seinem Sohn mit, „daß Du im nächsten Monat bei uns Deine Carriere beginnen sollst. Ich habe dem Herrn Inspector einige Proben Deiner Handschrist vorgelegt, der Herr Inspector haben dieselben belobt, und selbige dem Herrn Präsidenten gezeigt. Herr Präsident haben gesagt, daß Du einmal ein guter Canzellist werden würdest. Junge! freue Dich, für Deine Zukunft ist gesorgt — das hast Du mir zu ver¬ danken. Vermögen habe ich vou meinem Gehalte nicht ersparen können, ich hin¬ terlasse Euch also, wenn ick) sterbe, principaliter nichts, als meinen guten Namen und diejenige Bildung, respective Stellung in der Welt, welche ich Euch zu ver- schaffen gewußt habe. Eventualiter werdet Ihr ans dieser Bahn zu meiner Ehre weiterschreiten, und als die Descendenten eines braven Vaters und getreuen Dieners Sr. Majestät des Königs Euch desjenigen Vertrauens würdig erweisen, welches ich in Euch setze, meine Kinder! — Laßt uus dem Herrn nun danken, daß er uns wiederum satt gemacht habe." Damit stand der Hausherr auf, faltete die Hände und sprach ein Gebet. Frie¬ drich hatte während dessen noch beide Backen voll, aber er durfte, so lange die Andacht währte, nicht kauen, wie es ihm denn überhaupt recht ungelegen kam, daß die Mahlzeit schon als beendet angesehen werden mußte. Er hatte noch lange nicht genug gegessen. „Albertine soll abdecken, sogleich!" rief Herr Weise, „Was soll das bedeu¬ ten, daß Sie stundenlang damit zögert? Albertine!" Die Magd kam. Der Herr stellte sich dicht vor sie hin, hob drohend seinen Finger und sagte, indem er sie scharf und finster anblickte: „Wir werden, wenn Du Dich nicht an eine geregelte und prompte Dieustführung gewöhust, Dir eventua¬ liter den Abschied geben müssen. Ordnung ist die erste Bürgerpflicht, und ich be¬ fehle Dir hiermit, diesen Grundsatz unverbrüchlich zu halten. Im Uebertretungs- falle werde ich diejenige» Maßnahmen zu treffen wissen, welche geeignet erscheinen möchten, die Ordnung, selbst unter Anwendung von Gewalt, zuvörderst wieder herzustellen. Nun kannst Dn Dich entfernen!" — „Eleonore! ich bemerke auf mei¬ nem Rock verschiedene Flecke; das darf nicht sein — Du bist mir verantwortlich für jeden Schaden, welcher daraus erwachsen möchte. Zu welchem Endzwecke habe ich Dich das Schneidern lehren lassen? — Ist das Recht, Eleonore, daß Du Deinen Vater —" — „Ach Gott!" sagte das Mädchen, „der Nock ist schon gar zu abgetragen, ich kann diesen schlimmen Fleck, ohne das Zeug zu zerreißen, nicht ausreiben." — „Stille!" befahl Herr Weise und erhob wiederum den breiten, von Tinte geschwärzten Zeigefinger seiner rechten Hand. Dieser Finger hatte schon auf manche Feder gedrückt; heute aber war er doch schwärzlicher als gewöhnlich in der Hitze des Kampfes geworden. Herr Weise bemerkte dies mit einigem Ver-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/163
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/163>, abgerufen am 22.07.2024.