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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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seinem zwölften Jahre ab dem Schreibfache, zu dem er schon in der Wiege be¬
stimmt worden, gewidmet, und es mit vielem Talente zu einer nicht gewöhnlichen
Vollkommenheit darin gebracht. Durch die Konnexionen seines Vaters, welcher
ebenfalls im Bureau einer hohen Behörde fungirte, war es ihm gelungen, schon
in seinem fünfzehnten Jahre eine Anstellung als Hülfsschreiber bei der Ortspolizci-
behvrde zu erlangen. Die Wahl traf keinen Unwürdigen, -- er hat es ein langes
Leben hindurch bewiesen. Von einem nie erkaltenden Amtseifer beseelt, stieg er
von Stufe zu Stufe, und war schon seit 20 Jahren wirklicher Canzcllist am Ober¬
gerichte mit einem baaren Gehalte von :?N0 Thalern. Das ist nichts Kleines! er
schrieb aber anch eine Hand, wie "in Kupfer gestochen!" und plauderte die Geheim¬
nisse der Verwaltung, in welche beim Copiren einen Blick zu thun ihm vergönnt
war, niemals aus und war ein durchaus loyaler Unterthan. Wir dürfen nicht
unerwähnt lassen, daß er uach und nach bei den verschiedensten Behörden gear¬
beitet und sich dadurch, wie er selbst zu sagen pflegte, "einen recht hübschen Ueber¬
blick über das ganze Finanz-, Administrations- und Gerichtswesen, genng über
alle Zweige des Geschäftslebens" erworben hatte. Kurz und gut, man konnte ihn
in seinem Fache "ein Genie" nennen.

Freilich, seine Persönlichkeit hatte nichts Ausgezeichnetes; er war von mitt¬
lerer Statur und ein wenig dünnbeinig; spärliche graue Haare umschwankten sei¬
neu kahlen Scheitel, und die Brille mit den mächtigen runden Augengläsern thronte
auf einer spitzen, etwas gerötheten Nase. Er beobachtete die größte Regelmäßig¬
keit in seinen Verrichtungen, und seine Nachbarn erinnerten sich seit dem Jahre
1806 keines Tages, an dem er nach dem Mittagsmahle nicht eine Stunde lang
spazieren gegangen wäre, was dem durch das viele Sitzen in Stockung gerathenen
Blutumlaufe förderlich erachtet wurde.

Als er vor 20 Jahren die Anstellung als wirklicher Canzcllist und damit die
Mittel erhielt, einen bescheidenen Haushalt zu führen, so überkam ihn die Lust zu
heirathen noch in seinem fünf und vierzigsten Jahre. Die gute sanfte Frau, welche
er erwählte, und deren getreues Abbild Eleonore war, starb sehr bald; böse Zun¬
gen meinten, er habe sie mit einem pedantischen und tyrannischen Wesen zu Tode
gequält. Nach ihren: Heimgange hatten deren Hinterbliebene, nämlich die beiden
Kinder und ein Dienstmädchen, die Herrschaft des strengen Mannes allein zu tra¬
gen. Die Tochter, welche nach der Gattin des verstorbenen Herrn Canzellei-Jn-
spectors den Namen Eleonore trug, war überaus demüthig, sanft und bescheiden;
Friedrich, der Sohn, dagegen hatte die ausgezeichnetste Anlage zu einem Tauge¬
nichts, wie der Vater meinte. Dieser wünschte ihn für sein Fach zu erziehen, aber
der Bursche konnte das Stillsitzen nicht "ertragen; so wie der Alte den Rücken
wandte, husch! war er hinaus und suchte, sich mit seinen Genossen besser zu Ver¬
gnügen. Er war auch schlimm daran, der arme Junge! denn alle Methoden des
Schreibens, Federschneidens u. s. w. wurden unbarmherzig an ihm erprobt; der


seinem zwölften Jahre ab dem Schreibfache, zu dem er schon in der Wiege be¬
stimmt worden, gewidmet, und es mit vielem Talente zu einer nicht gewöhnlichen
Vollkommenheit darin gebracht. Durch die Konnexionen seines Vaters, welcher
ebenfalls im Bureau einer hohen Behörde fungirte, war es ihm gelungen, schon
in seinem fünfzehnten Jahre eine Anstellung als Hülfsschreiber bei der Ortspolizci-
behvrde zu erlangen. Die Wahl traf keinen Unwürdigen, — er hat es ein langes
Leben hindurch bewiesen. Von einem nie erkaltenden Amtseifer beseelt, stieg er
von Stufe zu Stufe, und war schon seit 20 Jahren wirklicher Canzcllist am Ober¬
gerichte mit einem baaren Gehalte von :?N0 Thalern. Das ist nichts Kleines! er
schrieb aber anch eine Hand, wie „in Kupfer gestochen!" und plauderte die Geheim¬
nisse der Verwaltung, in welche beim Copiren einen Blick zu thun ihm vergönnt
war, niemals aus und war ein durchaus loyaler Unterthan. Wir dürfen nicht
unerwähnt lassen, daß er uach und nach bei den verschiedensten Behörden gear¬
beitet und sich dadurch, wie er selbst zu sagen pflegte, „einen recht hübschen Ueber¬
blick über das ganze Finanz-, Administrations- und Gerichtswesen, genng über
alle Zweige des Geschäftslebens" erworben hatte. Kurz und gut, man konnte ihn
in seinem Fache „ein Genie" nennen.

Freilich, seine Persönlichkeit hatte nichts Ausgezeichnetes; er war von mitt¬
lerer Statur und ein wenig dünnbeinig; spärliche graue Haare umschwankten sei¬
neu kahlen Scheitel, und die Brille mit den mächtigen runden Augengläsern thronte
auf einer spitzen, etwas gerötheten Nase. Er beobachtete die größte Regelmäßig¬
keit in seinen Verrichtungen, und seine Nachbarn erinnerten sich seit dem Jahre
1806 keines Tages, an dem er nach dem Mittagsmahle nicht eine Stunde lang
spazieren gegangen wäre, was dem durch das viele Sitzen in Stockung gerathenen
Blutumlaufe förderlich erachtet wurde.

Als er vor 20 Jahren die Anstellung als wirklicher Canzcllist und damit die
Mittel erhielt, einen bescheidenen Haushalt zu führen, so überkam ihn die Lust zu
heirathen noch in seinem fünf und vierzigsten Jahre. Die gute sanfte Frau, welche
er erwählte, und deren getreues Abbild Eleonore war, starb sehr bald; böse Zun¬
gen meinten, er habe sie mit einem pedantischen und tyrannischen Wesen zu Tode
gequält. Nach ihren: Heimgange hatten deren Hinterbliebene, nämlich die beiden
Kinder und ein Dienstmädchen, die Herrschaft des strengen Mannes allein zu tra¬
gen. Die Tochter, welche nach der Gattin des verstorbenen Herrn Canzellei-Jn-
spectors den Namen Eleonore trug, war überaus demüthig, sanft und bescheiden;
Friedrich, der Sohn, dagegen hatte die ausgezeichnetste Anlage zu einem Tauge¬
nichts, wie der Vater meinte. Dieser wünschte ihn für sein Fach zu erziehen, aber
der Bursche konnte das Stillsitzen nicht »ertragen; so wie der Alte den Rücken
wandte, husch! war er hinaus und suchte, sich mit seinen Genossen besser zu Ver¬
gnügen. Er war auch schlimm daran, der arme Junge! denn alle Methoden des
Schreibens, Federschneidens u. s. w. wurden unbarmherzig an ihm erprobt; der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/162>, abgerufen am 22.07.2024.