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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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des Herzens und dein Recht der Wirklichkeit das tragische Interesse liege, daß das
Bewußtsein: in dem Gesetz der Natur geht der sittliche Geist zu Grunde, und doch
ist er in seinem Recht, erhebender sei, als die sogenannte poetische Gerechtigkeit,
wo sich die Tugend zu Tische setzt, wenn sich das Laster erbricht. Das Herz wird
nun gebildet, sich zu bescheiden und Resignation ist die Weisheit des Lebens. In
den vollendetsten Dichtungen Goethe's und Schiller's gewinnt diese Resignation
eine plastische Gestalt, und was Schiller in seinen Briefen über die "ästhetische
Erziehung des Menschengeschlechts," in seinen "Göttern Griechenlands," seinen "Künst¬
lern," seinen "Idealen" u. s. w. zur theoretischen Klarheit ausführte, hat Goethe in
den edelsten seiner Gestalten -- der Prinzessin, Iphigenie:c. -- zur reinen
Form der Schönheit erhoben.

Dieser theoretischen Entwickelung ist Humboldt in Gemeinschaft mit seinen
Freunden mit dem lebendigsten Antheil gefolgt, darum kehrt er mit ihnen zur
classischen Welt zurück, in welcher das Maaß die erste Tugend und der Leitton
der übrigen war; darum entwickelte er in den Briefen über Goethe's Hermann
und Dorothee, der schöusten Darstellung jeuer sittlichen Bescheidung, seine ästhe¬
tischen Ansichten überhaupt.

Diese theoretische Entwickelung ist bei ihm in Fleisch und Blut übergegangen,
und wir können in den vorliegenden Briefen als eine heitere Stimmung des Ge¬
müths verfolgen, was als Frucht einer reifen Bildung in einer wohlgeschasseuen
Seele aufblühe.

Der Grundzug dieser Weltanschauung ist die Resignation. Ich erinnere
noch einmal an den Gedankengang in Schiller's Idealen, in denen das Herz zu¬
erst mit seinen subjectiven Forderungen -- Wahrheit, Liebe, Ruhm, Glück --
dem Naturzusammenhang entgegentritt, aber am Schluß, enttäuscht über die Recht-
mäßigkeit der blos subjectiven Geinüthsausprüche, sich zu bescheiden lernt, in rast¬
loser Thätigkeit, die nie ermattet, den Gegensatz des Herzens gegen die Welt,
den eS nicht überwinden konnte, wenigstens vergißt, und von den Genien des
Lebens nur noch die Freundschaft hegt, die Möglichkeit, in Stunden der Samm¬
lung mit Freiheit und Vertrauen sich auszusprechen.

Die Resignation ist zunächst theoretisch. Faust will alle Schätze des Wissens
in sich vereinigen, wenn er aber zur Besinnung kommt, so wird er finden, daß
er so nur todte Schätze aufspeichern würde, daß wahres Wissen nud Selbsterkennt-
niß ist. "Das aber ist wirklich Pflicht nud ist auch dem natürlichen Streben jedes
nicht blos an der irdischen Welt, ihrem Gewirre und Tand hängenden Menschen
eigen, in den Kreis von Begriffen, den er besitzt, Klarheit, Bestimmtheit und
Deutlichkeit zu bringen, und nichts darin zu dulden, was nicht auf diese Weise
begründet ist. Das kann man wohl das Denken des Menschen nennen. Dazu
ist das Wissen nur das Material. Es hat keinen absoluten Werth in sich,
sondern nur einen relativen in Beziehung auf das Denken. Der Mensch sollte


des Herzens und dein Recht der Wirklichkeit das tragische Interesse liege, daß das
Bewußtsein: in dem Gesetz der Natur geht der sittliche Geist zu Grunde, und doch
ist er in seinem Recht, erhebender sei, als die sogenannte poetische Gerechtigkeit,
wo sich die Tugend zu Tische setzt, wenn sich das Laster erbricht. Das Herz wird
nun gebildet, sich zu bescheiden und Resignation ist die Weisheit des Lebens. In
den vollendetsten Dichtungen Goethe's und Schiller's gewinnt diese Resignation
eine plastische Gestalt, und was Schiller in seinen Briefen über die „ästhetische
Erziehung des Menschengeschlechts," in seinen „Göttern Griechenlands," seinen „Künst¬
lern," seinen „Idealen" u. s. w. zur theoretischen Klarheit ausführte, hat Goethe in
den edelsten seiner Gestalten — der Prinzessin, Iphigenie:c. — zur reinen
Form der Schönheit erhoben.

Dieser theoretischen Entwickelung ist Humboldt in Gemeinschaft mit seinen
Freunden mit dem lebendigsten Antheil gefolgt, darum kehrt er mit ihnen zur
classischen Welt zurück, in welcher das Maaß die erste Tugend und der Leitton
der übrigen war; darum entwickelte er in den Briefen über Goethe's Hermann
und Dorothee, der schöusten Darstellung jeuer sittlichen Bescheidung, seine ästhe¬
tischen Ansichten überhaupt.

Diese theoretische Entwickelung ist bei ihm in Fleisch und Blut übergegangen,
und wir können in den vorliegenden Briefen als eine heitere Stimmung des Ge¬
müths verfolgen, was als Frucht einer reifen Bildung in einer wohlgeschasseuen
Seele aufblühe.

Der Grundzug dieser Weltanschauung ist die Resignation. Ich erinnere
noch einmal an den Gedankengang in Schiller's Idealen, in denen das Herz zu¬
erst mit seinen subjectiven Forderungen — Wahrheit, Liebe, Ruhm, Glück —
dem Naturzusammenhang entgegentritt, aber am Schluß, enttäuscht über die Recht-
mäßigkeit der blos subjectiven Geinüthsausprüche, sich zu bescheiden lernt, in rast¬
loser Thätigkeit, die nie ermattet, den Gegensatz des Herzens gegen die Welt,
den eS nicht überwinden konnte, wenigstens vergißt, und von den Genien des
Lebens nur noch die Freundschaft hegt, die Möglichkeit, in Stunden der Samm¬
lung mit Freiheit und Vertrauen sich auszusprechen.

Die Resignation ist zunächst theoretisch. Faust will alle Schätze des Wissens
in sich vereinigen, wenn er aber zur Besinnung kommt, so wird er finden, daß
er so nur todte Schätze aufspeichern würde, daß wahres Wissen nud Selbsterkennt-
niß ist. „Das aber ist wirklich Pflicht nud ist auch dem natürlichen Streben jedes
nicht blos an der irdischen Welt, ihrem Gewirre und Tand hängenden Menschen
eigen, in den Kreis von Begriffen, den er besitzt, Klarheit, Bestimmtheit und
Deutlichkeit zu bringen, und nichts darin zu dulden, was nicht auf diese Weise
begründet ist. Das kann man wohl das Denken des Menschen nennen. Dazu
ist das Wissen nur das Material. Es hat keinen absoluten Werth in sich,
sondern nur einen relativen in Beziehung auf das Denken. Der Mensch sollte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/152>, abgerufen am 12.12.2024.