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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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nicht anders lernen, als um sein Denken zu erweitern und zu üben, und Denken
und Wissen sollte immer gleichen Schritt halten. Das Wissen bleibt sonst todt
und unfruchtbar/' Die Fragen, die über das unmittelbare Leben hinausgehen,
weist er von sich, weil sie ihn seinem Kreise entfremden. "Mir ist es immer als
das sicherste Mittel vorgekommen, sich in inniger Demuth auf die unerforschliche,
aber sichere Weisheit der göttlichen Rathschläge und ans die natürliche Betrachtung
zu beschränken, daß wir in diesem Leben nur einen so kurzen Theil des mensch¬
lichen Daseins übersehen, daß derselbe gar kein Urtheil über das Ganze zuläßt."
Der Idealismus, der in seiner ursprünglichen Gewalt die Welt aus den Fuge"
heben will, wird jetzt Beschaulichkeit, Zurückziehen in die innere, ideale Welt, die
ihren Frieden in sich selbst hat. "Solchen Genuß der Phantasie rechne ich zu den
höchsten, die den Menschen gegeben sind, und in vieler Rücksicht ziehe ich ihn der
Wirklichkeit vor. In diese kann immer leicht etwas störend eintreten, aber jene
nähert sich den Ideen, und das Größte und Schönste, das Menschen zu erkennen
im Stande sind, bleiben doch die reinen, nur mit dem innern Blick erkennbaren
Ideen. In ihnen zu leben ist eigentlich der wahre Genuß, das Glück, was man
ohne Beimischung einer Trübheit in sich aufnimmt." Es ist das kein pietistisches
Brüten in den dunkeln Geheimnissen der Seele, keine mystische Schwelgerei in
gestaltlos zerfließenden Bildern -- obgleich die Resignation so weit geht, die Mög¬
lichkeit einer mystisch übersinnlichen Welt nicht anfechten zu wollen, wenn sie sich
auch jeder unmittelbaren Berührung entzieht -- es ist die Lust an der frommen
Hingebung an eine Welt, die ganz in der Seele liegt, und die so klar ist, wie
die Seele selber. "Wenn ich also von Beschäftigungen mit Ideen, Vertiefung in
sie, Richten auf einen Punkt rede, so meine ich damit nichts Einzelnes, aber das
Beschäftigen mit Nachdenken selbst, das Entkleiden der Dinge von ihrem Schein,
das Prüfen seiner selbst und Anderer, und das Sammeln aller Gedanken auf das,
was allein seine Vortrefflichkeit in sich selbst trägt, was auch im vergänglichen
Menschen nicht untergehen kann, weil es nicht ans dem Menschen stammt, und
was nach richtigem Maßstab erwogen allein verdient, daß der Mensch sich ihm
M>z und bedingungslos hingebe."

Diese Vertiefung in die innere Welt ist an ihrer Stelle in einer Zeit, wo
der Mensch das Seinige gethan hat, wo eine edle, segensreiche Wirksamkeit ein
Recht zur Sammlung gibt. "Das Alter ist im Grunde, wo es schön und kräftig
empfunden wird, nichts anders, als ein Hinaussehen ans dem Leben, ein
Steigern des Gefühls, daß mau die Dinge verlassen wird, ohne sie zu entbehren,
indem man doch zugleich sie liebt und mit Heiterkeit auf sie hinblickt, und mit
Antheil in Gedanken bei ihnen verweilt. Selbst ohne auch religiöse Gedanken an
den Anblick des Himmels zu knüpfen, hat es etwas unbeschreiblich Bewegendes,
sich in der Unendlichkeit des Luftraums zu verlieren, und benimmt so auf einmal
aller kleinlichen Sorgen und Begehrungen des Lebens, und der Wirklichkeit ihre


<i>in>zbot"n. IV. 1847. 1i)

nicht anders lernen, als um sein Denken zu erweitern und zu üben, und Denken
und Wissen sollte immer gleichen Schritt halten. Das Wissen bleibt sonst todt
und unfruchtbar/' Die Fragen, die über das unmittelbare Leben hinausgehen,
weist er von sich, weil sie ihn seinem Kreise entfremden. „Mir ist es immer als
das sicherste Mittel vorgekommen, sich in inniger Demuth auf die unerforschliche,
aber sichere Weisheit der göttlichen Rathschläge und ans die natürliche Betrachtung
zu beschränken, daß wir in diesem Leben nur einen so kurzen Theil des mensch¬
lichen Daseins übersehen, daß derselbe gar kein Urtheil über das Ganze zuläßt."
Der Idealismus, der in seiner ursprünglichen Gewalt die Welt aus den Fuge»
heben will, wird jetzt Beschaulichkeit, Zurückziehen in die innere, ideale Welt, die
ihren Frieden in sich selbst hat. „Solchen Genuß der Phantasie rechne ich zu den
höchsten, die den Menschen gegeben sind, und in vieler Rücksicht ziehe ich ihn der
Wirklichkeit vor. In diese kann immer leicht etwas störend eintreten, aber jene
nähert sich den Ideen, und das Größte und Schönste, das Menschen zu erkennen
im Stande sind, bleiben doch die reinen, nur mit dem innern Blick erkennbaren
Ideen. In ihnen zu leben ist eigentlich der wahre Genuß, das Glück, was man
ohne Beimischung einer Trübheit in sich aufnimmt." Es ist das kein pietistisches
Brüten in den dunkeln Geheimnissen der Seele, keine mystische Schwelgerei in
gestaltlos zerfließenden Bildern — obgleich die Resignation so weit geht, die Mög¬
lichkeit einer mystisch übersinnlichen Welt nicht anfechten zu wollen, wenn sie sich
auch jeder unmittelbaren Berührung entzieht — es ist die Lust an der frommen
Hingebung an eine Welt, die ganz in der Seele liegt, und die so klar ist, wie
die Seele selber. „Wenn ich also von Beschäftigungen mit Ideen, Vertiefung in
sie, Richten auf einen Punkt rede, so meine ich damit nichts Einzelnes, aber das
Beschäftigen mit Nachdenken selbst, das Entkleiden der Dinge von ihrem Schein,
das Prüfen seiner selbst und Anderer, und das Sammeln aller Gedanken auf das,
was allein seine Vortrefflichkeit in sich selbst trägt, was auch im vergänglichen
Menschen nicht untergehen kann, weil es nicht ans dem Menschen stammt, und
was nach richtigem Maßstab erwogen allein verdient, daß der Mensch sich ihm
M>z und bedingungslos hingebe."

Diese Vertiefung in die innere Welt ist an ihrer Stelle in einer Zeit, wo
der Mensch das Seinige gethan hat, wo eine edle, segensreiche Wirksamkeit ein
Recht zur Sammlung gibt. „Das Alter ist im Grunde, wo es schön und kräftig
empfunden wird, nichts anders, als ein Hinaussehen ans dem Leben, ein
Steigern des Gefühls, daß mau die Dinge verlassen wird, ohne sie zu entbehren,
indem man doch zugleich sie liebt und mit Heiterkeit auf sie hinblickt, und mit
Antheil in Gedanken bei ihnen verweilt. Selbst ohne auch religiöse Gedanken an
den Anblick des Himmels zu knüpfen, hat es etwas unbeschreiblich Bewegendes,
sich in der Unendlichkeit des Luftraums zu verlieren, und benimmt so auf einmal
aller kleinlichen Sorgen und Begehrungen des Lebens, und der Wirklichkeit ihre


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/153>, abgerufen am 02.10.2024.