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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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eines herrlichen Gemäldes, die uns in diesen Briefen aufgeschlossen wird, die in¬
nere Welt, die andere gehört der Geschichte an. Aber das äußere Leben des
Staatsmannes, des Gelehrten, schimmert wenigstens durch seine Gefühlsäußerun¬
gen hindurch und erhöht das Interesse, das wir an ihnen nehmen, denn es ist
ein Anderes, in einem stillen, engumgrenzten Lebenskreise dem Brüten des eignen
Herzens zu lauschen, ein Anderes, in einer reich bewegten Thätigkeit, in den
mannigfaltigsten äußeren Bezügen und Verwickelungen das innere Heiligthum rein
zu erhalten.

Das bloße Gefühl würde übrigens immer nur ein persönliches Interesse ha¬
ben für die Betheiligten; für uns nur in so fern eine bedeutende Persönlichkeit
unserm Herzen näher geführt wird. Was uns aber diesen Briefwechsel noch wich¬
tiger macht, ist der Jdeenkreis, der jenem Gefühle zum Grunde liegt und in
welchem wir den Freund Schiller's, den Eingeweihten jener idealen Richtung wie¬
der erkennen, von welcher die geistige Regeneration unsers Vaterlandes ausgeht.

Jene Zeit -- die siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts -- begann mit
der Sturm- und Drangperiode, in der sich das natürliche Gefühl, das Recht der
Individualität, gegen die Fesseln einer seelenlosen Convenienz empörte, durch welche
die Sittlichkeit sich an Aeußerlichkeiten verkauft hatte und geistlos geworden war.
In seiner unmittelbaren Gewißheit erkannte das Gemüth seine Macht und setzte
mit dem Ungestüm einer ursprünglichen aber ungebildeten Empfindung das Recht
der Natur den Anforderungen der sittlichen Welt entgegen. Die Tendenz der
Sittlichkeit ist überall zu verallgemeinern, das Besondere abzuschleifen; die Reac¬
tion gegen die sittlichen Gesetze kehrte also das Einzelne, Unergründliche, Unsag¬
bare, die subjective Genialität als die Wahrheit des Lebens gegen die Welt der
Abstraction heraus. In der Poesie wurden Titanen geschildert, welche mit der
Gewalt ihrer Leidenschaft die alltägliche Philisterwelt überfluthen, oder empfind¬
same Seelen, die in das Netz des Positiven verstrickt, in stillem Schmerz verblu¬
ten und zu Grunde gehen. Aber das Herz ist unfähig, sich eine Welt zu schaffe"
nach seinem Bilde, und ein großer Dichter wird, auch wenn er ursprünglich von
dem Recht des Herzens ausgeht, in der Entwickelung dieser Tendenz das Ohn¬
mächtige und zugleich Dämonische erkennen, indem die ungebändigte Leidenschaft
die sittliche Welt verwirrt, die eigene Seele aushöhlt, auch wenn sie in der Form
einer ideellen Begeisterung auftritt. Nirgend tritt dieser Gedanke so klar hervor,
als in den "Räubern" und "Don Carlos;" Carl Moor und Marquis Posa sind
die Helden und Apostel des subjectiven Idealismus und die Lieblinge des Dich¬
ters; sie sind die reinen Geister, welche die verkehrte Welt wieder in ihre Fugen
einzurichten unternehmen, aber der Dichter ist objectiv genug, -'ber die Stimme
seines Herzens zu gebieten und jene Bestrebungen in ihrem Unrecht nachzuweisen.

Darum kehrt er aber keineswegs zu der alten Beschränktheit der äußerlichen
Moral zurück. Er spricht es aus, daß eben in dem Contrast zwischen dem Recht


eines herrlichen Gemäldes, die uns in diesen Briefen aufgeschlossen wird, die in¬
nere Welt, die andere gehört der Geschichte an. Aber das äußere Leben des
Staatsmannes, des Gelehrten, schimmert wenigstens durch seine Gefühlsäußerun¬
gen hindurch und erhöht das Interesse, das wir an ihnen nehmen, denn es ist
ein Anderes, in einem stillen, engumgrenzten Lebenskreise dem Brüten des eignen
Herzens zu lauschen, ein Anderes, in einer reich bewegten Thätigkeit, in den
mannigfaltigsten äußeren Bezügen und Verwickelungen das innere Heiligthum rein
zu erhalten.

Das bloße Gefühl würde übrigens immer nur ein persönliches Interesse ha¬
ben für die Betheiligten; für uns nur in so fern eine bedeutende Persönlichkeit
unserm Herzen näher geführt wird. Was uns aber diesen Briefwechsel noch wich¬
tiger macht, ist der Jdeenkreis, der jenem Gefühle zum Grunde liegt und in
welchem wir den Freund Schiller's, den Eingeweihten jener idealen Richtung wie¬
der erkennen, von welcher die geistige Regeneration unsers Vaterlandes ausgeht.

Jene Zeit — die siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts — begann mit
der Sturm- und Drangperiode, in der sich das natürliche Gefühl, das Recht der
Individualität, gegen die Fesseln einer seelenlosen Convenienz empörte, durch welche
die Sittlichkeit sich an Aeußerlichkeiten verkauft hatte und geistlos geworden war.
In seiner unmittelbaren Gewißheit erkannte das Gemüth seine Macht und setzte
mit dem Ungestüm einer ursprünglichen aber ungebildeten Empfindung das Recht
der Natur den Anforderungen der sittlichen Welt entgegen. Die Tendenz der
Sittlichkeit ist überall zu verallgemeinern, das Besondere abzuschleifen; die Reac¬
tion gegen die sittlichen Gesetze kehrte also das Einzelne, Unergründliche, Unsag¬
bare, die subjective Genialität als die Wahrheit des Lebens gegen die Welt der
Abstraction heraus. In der Poesie wurden Titanen geschildert, welche mit der
Gewalt ihrer Leidenschaft die alltägliche Philisterwelt überfluthen, oder empfind¬
same Seelen, die in das Netz des Positiven verstrickt, in stillem Schmerz verblu¬
ten und zu Grunde gehen. Aber das Herz ist unfähig, sich eine Welt zu schaffe»
nach seinem Bilde, und ein großer Dichter wird, auch wenn er ursprünglich von
dem Recht des Herzens ausgeht, in der Entwickelung dieser Tendenz das Ohn¬
mächtige und zugleich Dämonische erkennen, indem die ungebändigte Leidenschaft
die sittliche Welt verwirrt, die eigene Seele aushöhlt, auch wenn sie in der Form
einer ideellen Begeisterung auftritt. Nirgend tritt dieser Gedanke so klar hervor,
als in den „Räubern" und „Don Carlos;" Carl Moor und Marquis Posa sind
die Helden und Apostel des subjectiven Idealismus und die Lieblinge des Dich¬
ters; sie sind die reinen Geister, welche die verkehrte Welt wieder in ihre Fugen
einzurichten unternehmen, aber der Dichter ist objectiv genug, -'ber die Stimme
seines Herzens zu gebieten und jene Bestrebungen in ihrem Unrecht nachzuweisen.

Darum kehrt er aber keineswegs zu der alten Beschränktheit der äußerlichen
Moral zurück. Er spricht es aus, daß eben in dem Contrast zwischen dem Recht


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[0151] eines herrlichen Gemäldes, die uns in diesen Briefen aufgeschlossen wird, die in¬ nere Welt, die andere gehört der Geschichte an. Aber das äußere Leben des Staatsmannes, des Gelehrten, schimmert wenigstens durch seine Gefühlsäußerun¬ gen hindurch und erhöht das Interesse, das wir an ihnen nehmen, denn es ist ein Anderes, in einem stillen, engumgrenzten Lebenskreise dem Brüten des eignen Herzens zu lauschen, ein Anderes, in einer reich bewegten Thätigkeit, in den mannigfaltigsten äußeren Bezügen und Verwickelungen das innere Heiligthum rein zu erhalten. Das bloße Gefühl würde übrigens immer nur ein persönliches Interesse ha¬ ben für die Betheiligten; für uns nur in so fern eine bedeutende Persönlichkeit unserm Herzen näher geführt wird. Was uns aber diesen Briefwechsel noch wich¬ tiger macht, ist der Jdeenkreis, der jenem Gefühle zum Grunde liegt und in welchem wir den Freund Schiller's, den Eingeweihten jener idealen Richtung wie¬ der erkennen, von welcher die geistige Regeneration unsers Vaterlandes ausgeht. Jene Zeit — die siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts — begann mit der Sturm- und Drangperiode, in der sich das natürliche Gefühl, das Recht der Individualität, gegen die Fesseln einer seelenlosen Convenienz empörte, durch welche die Sittlichkeit sich an Aeußerlichkeiten verkauft hatte und geistlos geworden war. In seiner unmittelbaren Gewißheit erkannte das Gemüth seine Macht und setzte mit dem Ungestüm einer ursprünglichen aber ungebildeten Empfindung das Recht der Natur den Anforderungen der sittlichen Welt entgegen. Die Tendenz der Sittlichkeit ist überall zu verallgemeinern, das Besondere abzuschleifen; die Reac¬ tion gegen die sittlichen Gesetze kehrte also das Einzelne, Unergründliche, Unsag¬ bare, die subjective Genialität als die Wahrheit des Lebens gegen die Welt der Abstraction heraus. In der Poesie wurden Titanen geschildert, welche mit der Gewalt ihrer Leidenschaft die alltägliche Philisterwelt überfluthen, oder empfind¬ same Seelen, die in das Netz des Positiven verstrickt, in stillem Schmerz verblu¬ ten und zu Grunde gehen. Aber das Herz ist unfähig, sich eine Welt zu schaffe» nach seinem Bilde, und ein großer Dichter wird, auch wenn er ursprünglich von dem Recht des Herzens ausgeht, in der Entwickelung dieser Tendenz das Ohn¬ mächtige und zugleich Dämonische erkennen, indem die ungebändigte Leidenschaft die sittliche Welt verwirrt, die eigene Seele aushöhlt, auch wenn sie in der Form einer ideellen Begeisterung auftritt. Nirgend tritt dieser Gedanke so klar hervor, als in den „Räubern" und „Don Carlos;" Carl Moor und Marquis Posa sind die Helden und Apostel des subjectiven Idealismus und die Lieblinge des Dich¬ ters; sie sind die reinen Geister, welche die verkehrte Welt wieder in ihre Fugen einzurichten unternehmen, aber der Dichter ist objectiv genug, -'ber die Stimme seines Herzens zu gebieten und jene Bestrebungen in ihrem Unrecht nachzuweisen. Darum kehrt er aber keineswegs zu der alten Beschränktheit der äußerlichen Moral zurück. Er spricht es aus, daß eben in dem Contrast zwischen dem Recht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/151>, abgerufen am 11.12.2024.