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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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Hof sein. Weder Berlin und Wien, noch Hamburg, Frankfurt oder Leipzig zogen
damals an, was sich gegenwartig immer mehr ändert. -- Aber kleine deutsche
Höfe in idyllischer Umgebung gibt es manche, und daß gerade Weimar Musensitz
wurde, verdankt es der Persönlichkeit Carl August's, obgleich man gestehen muß, daß
die negativen Eigenschaften, die zu einem solchen befähigten, sich bei Weimar ganz
besonders finden, indem es in jeder Beziehung, was die Gegend, die Menschen
und ihre Bildung betrifft, auf den Punkt mittelmäßig ist. Auch liegt es so ziem¬
lich in der Mitte von Deutschland.

Seit Wieland und Herder, Schiller und Goethe todt sind, ist Weimar aus-
gestorben. Wie ein lebender Wcimarischer Poet sagt, ist es: die Stadt der großen
Todten. Elemente zu einer anderweitigen Bedeutung hat es nicht in sich, und
nicht einmal eine Nachblüthe seines literarischen Ruhmes ist zu erwarten, da die
gegenwärtige Literatur mit den Bewegungen und Strebungen des Volkslebens
verschlungen, auch die Mittelpunkte desselben sucht. Aber dennoch verdient Wei¬
mar wenigstens ebeu so gut als viele andere Orte, die man jetzt skizzirt findet,
eine flüchtige Zeichnung. Eben weil es eine Ruine ist, behält es Interesse und
zeigt erfreuliche wie unerfreuliche Contraste.

Wenn Schiller seinen Spaziergang auf den Ettersberg gemacht hat, so mußte
seine Phantasie der ziemlich dürftigen Wirklichkeit bedeutend zu Hülfe kommeu, um
jene glänzende Reihe ungewöhnlich klarer Schilderungen entstehen zu lassen. Die¬
ser Berg streckt sich von Weimar aus langweilig und einförmig beinahe zwei Stun¬
den lang fort, und bietet uur von der tieferen Erfurter Ebene aus gesehen einen
etwas imponirenden Anblick. Am Fuße desselben liegt Weimar in einem weiten-
und flachen Thale. Die Stadt unterscheidet sich, ein paar elegante Straßen aus¬
genommen, nicht von den gewöhnlichen thüringischen Landstädten. Der Großher¬
zogliche Park, der sich voll der Stadt aus am rechten Jlmufcr hinzieht, ist nicht
großartig, hat aber hübsche Parthieen und liebliche beschränkte Ausblicke. Das von
Carl August mit großen Kosten erbaute römische Haus, an das sich Erinnerungen
aus dem Privatleben des Fürsten knüpfen, erscheint sehr einfach, fast als wenn
es sein behagliches Innere verstecken wollte. Jetzt steht es stets leer, woran viel¬
leicht eben jene Erinnerungen, wenigstens was die in gewissen Punkten strenge
Großfürstin anbetrifft, Schuld sein mag. Einen Weg an der Ilm hin nennt man den
Schillergang. Jenseits derselben sieht man das Göthesche Gartenhaus; im Park
selbst bezeichnet die Sage ein Häuschen als verschwiegenen Zeugen mehr heidnischer
als christlicher Freuden. Auch die alte, gcrmanischheidnische Sage ist von Zeiten
her, in denen die Gegend noch nicht so ausgelichtet war, wie jetzt, gerade an der
Stelle des Parkes hängen geblieben. Hier wohnte die verführerische Jlmnixe, und
hier brachte man einst einer ungeheuren Schlange, damit sie sich nicht an Men¬
schen vergreife, einen täglichen Brottribut. Sie und zwei Brote vor ihr sind in
Stein ausgehauen zu sehen. -- Vom Park aus gelangt man rechts auf einer


j.8*

Hof sein. Weder Berlin und Wien, noch Hamburg, Frankfurt oder Leipzig zogen
damals an, was sich gegenwartig immer mehr ändert. — Aber kleine deutsche
Höfe in idyllischer Umgebung gibt es manche, und daß gerade Weimar Musensitz
wurde, verdankt es der Persönlichkeit Carl August's, obgleich man gestehen muß, daß
die negativen Eigenschaften, die zu einem solchen befähigten, sich bei Weimar ganz
besonders finden, indem es in jeder Beziehung, was die Gegend, die Menschen
und ihre Bildung betrifft, auf den Punkt mittelmäßig ist. Auch liegt es so ziem¬
lich in der Mitte von Deutschland.

Seit Wieland und Herder, Schiller und Goethe todt sind, ist Weimar aus-
gestorben. Wie ein lebender Wcimarischer Poet sagt, ist es: die Stadt der großen
Todten. Elemente zu einer anderweitigen Bedeutung hat es nicht in sich, und
nicht einmal eine Nachblüthe seines literarischen Ruhmes ist zu erwarten, da die
gegenwärtige Literatur mit den Bewegungen und Strebungen des Volkslebens
verschlungen, auch die Mittelpunkte desselben sucht. Aber dennoch verdient Wei¬
mar wenigstens ebeu so gut als viele andere Orte, die man jetzt skizzirt findet,
eine flüchtige Zeichnung. Eben weil es eine Ruine ist, behält es Interesse und
zeigt erfreuliche wie unerfreuliche Contraste.

Wenn Schiller seinen Spaziergang auf den Ettersberg gemacht hat, so mußte
seine Phantasie der ziemlich dürftigen Wirklichkeit bedeutend zu Hülfe kommeu, um
jene glänzende Reihe ungewöhnlich klarer Schilderungen entstehen zu lassen. Die¬
ser Berg streckt sich von Weimar aus langweilig und einförmig beinahe zwei Stun¬
den lang fort, und bietet uur von der tieferen Erfurter Ebene aus gesehen einen
etwas imponirenden Anblick. Am Fuße desselben liegt Weimar in einem weiten-
und flachen Thale. Die Stadt unterscheidet sich, ein paar elegante Straßen aus¬
genommen, nicht von den gewöhnlichen thüringischen Landstädten. Der Großher¬
zogliche Park, der sich voll der Stadt aus am rechten Jlmufcr hinzieht, ist nicht
großartig, hat aber hübsche Parthieen und liebliche beschränkte Ausblicke. Das von
Carl August mit großen Kosten erbaute römische Haus, an das sich Erinnerungen
aus dem Privatleben des Fürsten knüpfen, erscheint sehr einfach, fast als wenn
es sein behagliches Innere verstecken wollte. Jetzt steht es stets leer, woran viel¬
leicht eben jene Erinnerungen, wenigstens was die in gewissen Punkten strenge
Großfürstin anbetrifft, Schuld sein mag. Einen Weg an der Ilm hin nennt man den
Schillergang. Jenseits derselben sieht man das Göthesche Gartenhaus; im Park
selbst bezeichnet die Sage ein Häuschen als verschwiegenen Zeugen mehr heidnischer
als christlicher Freuden. Auch die alte, gcrmanischheidnische Sage ist von Zeiten
her, in denen die Gegend noch nicht so ausgelichtet war, wie jetzt, gerade an der
Stelle des Parkes hängen geblieben. Hier wohnte die verführerische Jlmnixe, und
hier brachte man einst einer ungeheuren Schlange, damit sie sich nicht an Men¬
schen vergreife, einen täglichen Brottribut. Sie und zwei Brote vor ihr sind in
Stein ausgehauen zu sehen. — Vom Park aus gelangt man rechts auf einer


j.8*
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/147>, abgerufen am 12.12.2024.