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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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den, und dieses hat mit dem literarischen Artnshofe, den es eine Zeitlang beher¬
bergte, nichts zu thun und wenig davon gespürt. Zwar war Goethe zugleich Minister
und Herder Generalsuperintendent. Aber um von der politischen Wirksamkeit des
ersteren zu schweigen, so hat der gegenwärtige Kirchenvberste Rohr, den man auch
der Kürze wegen und nicht unbezeichncnd schlechtweg deu General nennt, seinen
Charakter und seinen theologischen Standpunkt den kirchlichen Zuständen des Lan¬
des ganz anders und weit entschiedener aufgeprägt als der Humaue Herder. Die
Stadt Weimar kann auch nichts dafür, daß der Stern der deutschen Poesie über
ihr feststand, so wenig wie Bethlehem dafür konnte, daß die heiligen drei Könige
da einkehren mußten, und die Krippe, daß in ihr das Jesuskind lag. Weimar
als Staat konnte die Literaturheroeu nicht anziehen, auf ihre Entwicklung nicht
einwirken, und es ist ein glücklicher Zufall, daß sein Name bei In- und Auslän¬
dern berühmt wurde, eine Berühmtheit, die uoch jetzt Besucher heranzieht. Und
doch ist es wieder kein Zufall, daß sich die damalige Literatur gerade einen sol¬
chen Wohnort, dessen Charakter ein höfisch-idyllischer ist, aufsuchte. Diese Lite¬
ratur war eine rein und entschieden ästhetische; sie baute eine geistige Welt auf,
die weit entfernt ans dein Boden der beschränkten deutschen Wirklichkeit, der gege-
benen Vvlkszustünde zu fußen und diese abzuspiegeln, die vorhandenen weltge¬
schichtlichen Literaturen zu ihrer Grundlage hatte. Ihre Aufgabe war ein Pan¬
theon der Schönheit, ans den Stoffen, welche die Errungenschaft der fremde Bil¬
dungen allseitig verarbeitenden deutschen Gelehrsamkeit waren, errichtet. Wie sie
von der nächsten und heimischen Wirklichkeit abstrahirte, so betrachtete sie auch die
fremden Literaturen, die sie genießend weitergcstaltete und fortsetzte, abgeson¬
dert von deu bestimmten Vvlkszuständcn, aus deuen sie erwachsen sind; sie sah
überall das allgemein Menschliche und es kam ihr auf die Darstellung desselben
in schöner Form an. Eine solche Literatur bedürfte zu ihrer Entfaltung und
Abrundung zunächst der Ruhe und Abgeschiedenheit und dann der Umgebung
eines Lebens, das ästhetisch ausgeprägt, sclbstgenügsam, im Genuß und Formel¬
wesen ausgehend, über dem ewig unfertigen, bewegten und arbeitenden Volksle¬
ben schwebt. Die literarische Thätigkeit konnte sich am ungestörtesten entwickeln
in der Umgebung einer einfachen, weder großartigen, noch geradezu öden und
langweiligen Natur, ruhiger und idyllischer Lebenszustände, und bei einer über
die gemeinen Berührungen und Sorgen hinausgehobenen, aristokratisch abgeschlos¬
senen Existenz. Die Muse konnte das massenhafte Streben, Drängen und Treiben
der Menschen nicht vertragen; sie fühlte sich wohl auf dem Boden eines genügsamen,
friedlichen Kleinlebens und über sich den gleichfarbigen Olymp eines wohlwollenden
Erdengottes. Je weniger ein solcher politische Wichtigkeit hatte, je mehr sein Glanz
ein unschuldiger Schein, ein freundliches Spiel war, um so besser. Der Sitz der
Literatur konnte also keine große Handels- und Fabrikstadt, kein Militär- und
Beamtenort, keine politisch bedeutende Residenz, es mußte ein kleiner deutscher


den, und dieses hat mit dem literarischen Artnshofe, den es eine Zeitlang beher¬
bergte, nichts zu thun und wenig davon gespürt. Zwar war Goethe zugleich Minister
und Herder Generalsuperintendent. Aber um von der politischen Wirksamkeit des
ersteren zu schweigen, so hat der gegenwärtige Kirchenvberste Rohr, den man auch
der Kürze wegen und nicht unbezeichncnd schlechtweg deu General nennt, seinen
Charakter und seinen theologischen Standpunkt den kirchlichen Zuständen des Lan¬
des ganz anders und weit entschiedener aufgeprägt als der Humaue Herder. Die
Stadt Weimar kann auch nichts dafür, daß der Stern der deutschen Poesie über
ihr feststand, so wenig wie Bethlehem dafür konnte, daß die heiligen drei Könige
da einkehren mußten, und die Krippe, daß in ihr das Jesuskind lag. Weimar
als Staat konnte die Literaturheroeu nicht anziehen, auf ihre Entwicklung nicht
einwirken, und es ist ein glücklicher Zufall, daß sein Name bei In- und Auslän¬
dern berühmt wurde, eine Berühmtheit, die uoch jetzt Besucher heranzieht. Und
doch ist es wieder kein Zufall, daß sich die damalige Literatur gerade einen sol¬
chen Wohnort, dessen Charakter ein höfisch-idyllischer ist, aufsuchte. Diese Lite¬
ratur war eine rein und entschieden ästhetische; sie baute eine geistige Welt auf,
die weit entfernt ans dein Boden der beschränkten deutschen Wirklichkeit, der gege-
benen Vvlkszustünde zu fußen und diese abzuspiegeln, die vorhandenen weltge¬
schichtlichen Literaturen zu ihrer Grundlage hatte. Ihre Aufgabe war ein Pan¬
theon der Schönheit, ans den Stoffen, welche die Errungenschaft der fremde Bil¬
dungen allseitig verarbeitenden deutschen Gelehrsamkeit waren, errichtet. Wie sie
von der nächsten und heimischen Wirklichkeit abstrahirte, so betrachtete sie auch die
fremden Literaturen, die sie genießend weitergcstaltete und fortsetzte, abgeson¬
dert von deu bestimmten Vvlkszuständcn, aus deuen sie erwachsen sind; sie sah
überall das allgemein Menschliche und es kam ihr auf die Darstellung desselben
in schöner Form an. Eine solche Literatur bedürfte zu ihrer Entfaltung und
Abrundung zunächst der Ruhe und Abgeschiedenheit und dann der Umgebung
eines Lebens, das ästhetisch ausgeprägt, sclbstgenügsam, im Genuß und Formel¬
wesen ausgehend, über dem ewig unfertigen, bewegten und arbeitenden Volksle¬
ben schwebt. Die literarische Thätigkeit konnte sich am ungestörtesten entwickeln
in der Umgebung einer einfachen, weder großartigen, noch geradezu öden und
langweiligen Natur, ruhiger und idyllischer Lebenszustände, und bei einer über
die gemeinen Berührungen und Sorgen hinausgehobenen, aristokratisch abgeschlos¬
senen Existenz. Die Muse konnte das massenhafte Streben, Drängen und Treiben
der Menschen nicht vertragen; sie fühlte sich wohl auf dem Boden eines genügsamen,
friedlichen Kleinlebens und über sich den gleichfarbigen Olymp eines wohlwollenden
Erdengottes. Je weniger ein solcher politische Wichtigkeit hatte, je mehr sein Glanz
ein unschuldiger Schein, ein freundliches Spiel war, um so besser. Der Sitz der
Literatur konnte also keine große Handels- und Fabrikstadt, kein Militär- und
Beamtenort, keine politisch bedeutende Residenz, es mußte ein kleiner deutscher


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/146>, abgerufen am 24.08.2024.