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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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hübschen Kastamenallee nach Belvedere, das auf lustiger und freundlicher Höhe
liegt und bei einer zierlichen aber etwas dürftigen Parkanlage, eine Orangerie,
einen reichen Blumenflor, etliche Fasanen und Schildkröten hat. Auf der andern
Seite führt das saftige Ilmthal nordöstlich nach dem erinnerungsreichen Tieffurt,
wo die Herzogin Amalie eine geistreiche, von gebildetem Genuß und grazienhaftem
Scherz durchwirkte Idylle durchzuleben wußte. Der Park ist mehr vernachlässigt,
als die Anlage von Belvedere, aber von natürlicher Ueppigkeit, und im Hochsom¬
mer ein erquickender Aufenthalt.

Man pflegt in Weimar die Erinnerungen an die große Zeit mit vieler Sorg¬
falt. Das Goethe'sche Haus ist aus den Besuch von Fremden eingerichtet, und
es sind poetische und unpoetische Beschreibungen solcher Besuche genug geliefert
worden. Herder hat man bei der Stadtkirche ans einem schwerlich geeigneten
Platze ein Denkmal errichten wollen. Das Schiller'sche Hans wird jetzt eben
zu einem Wallfahrtsorte für die Poesieglänbigen in Stand gesetzt. Die Idee, von
der man hierbei ausgeht, Schiller's Arbeitszimmer in seiner ganzen Einfachheit
zu belassen, oder vielmehr zu solcher wieder herzustellen und mit den alten, von
Schiller gebrauchten Gerätschaften zu versehen, dagegen das vordere Zimmer ans
das Glänzendste auszustatten und zu einem kleinen Tempel des Schiller'sehen Ruhms
auszuschmücken, hat durch deu gesuchten Contrast einen etwas affectirter Beigeschmack,
obgleich man gestehen muß, daß in Schiller's Leben und Erscheinung ein ähnlicher
Contrast liegt, indem er, der auf strahlendem Cvthurn über die Köpfe der Fürsten
und Völker hinwcgschritt, seine eigene äußere Existenz nicht über das Gewöhnliche,
Mangelhafte und Unscheinbare hinaufrücken konnte. Daß aber der moderne "Cul¬
tus des Genius" uicht über ein kleinliches Reliquicnwesen hinauskommt, und als inne¬
rer und äußerer, nicht zur Allgemeinheit und Dessen kunsten gedeiht, ist ein Zeichen, so
wohl von der Zerrissenheit unserer Bildung, die bei den Massen eine wesentlich, nicht
nur quantitativ andere ist, als bei den specifisch Gebildeten, als auch von demMangcl
an öffentlichem Leben überhaupt und der Neigung, Alles zu einer Privatsache zu ma¬
chen. Aber abgesehen von den Verlegenheiten unserer Plastik, die nicht weiß, ob sie
bei solchen Standbildern durch Portraittrcue und Beibehaltung der modernen Klei¬
dung den plastischen Sinn auf die Folter spannen, oder durch Antitisirung der
Gestalt und der Gewänder, die Männer, die sie darstellt, aus der historischen
Schaale, in die sie für unsere Anschauung verwachsen sind, herausschälen, und so
verallgemeinern soll, daß sie uns fremd entgegenstehen, abgesehen von diesem Pro¬
blem, das durch unglückliche Vermittelungsversuche noch nicht gelöst ist, erscheint
schon die freie Aufstellung von Statuen als ein Widerspruch gegen unser Klima,
unsere Regentage und unseren Winter. Auch wenn wir uns auf den Erzguß be¬
schränken und dadurch die wirkliche" schädlichen Einflüsse verhüten wollen, eine
Beschränkung, die immer eine Fessel der Kunst ist, so gewährt eine beschneite Sta¬
tue hos einen unbehaglichen Anblick, wir bemitleiden unwillkürlich die den Un-


hübschen Kastamenallee nach Belvedere, das auf lustiger und freundlicher Höhe
liegt und bei einer zierlichen aber etwas dürftigen Parkanlage, eine Orangerie,
einen reichen Blumenflor, etliche Fasanen und Schildkröten hat. Auf der andern
Seite führt das saftige Ilmthal nordöstlich nach dem erinnerungsreichen Tieffurt,
wo die Herzogin Amalie eine geistreiche, von gebildetem Genuß und grazienhaftem
Scherz durchwirkte Idylle durchzuleben wußte. Der Park ist mehr vernachlässigt,
als die Anlage von Belvedere, aber von natürlicher Ueppigkeit, und im Hochsom¬
mer ein erquickender Aufenthalt.

Man pflegt in Weimar die Erinnerungen an die große Zeit mit vieler Sorg¬
falt. Das Goethe'sche Haus ist aus den Besuch von Fremden eingerichtet, und
es sind poetische und unpoetische Beschreibungen solcher Besuche genug geliefert
worden. Herder hat man bei der Stadtkirche ans einem schwerlich geeigneten
Platze ein Denkmal errichten wollen. Das Schiller'sche Hans wird jetzt eben
zu einem Wallfahrtsorte für die Poesieglänbigen in Stand gesetzt. Die Idee, von
der man hierbei ausgeht, Schiller's Arbeitszimmer in seiner ganzen Einfachheit
zu belassen, oder vielmehr zu solcher wieder herzustellen und mit den alten, von
Schiller gebrauchten Gerätschaften zu versehen, dagegen das vordere Zimmer ans
das Glänzendste auszustatten und zu einem kleinen Tempel des Schiller'sehen Ruhms
auszuschmücken, hat durch deu gesuchten Contrast einen etwas affectirter Beigeschmack,
obgleich man gestehen muß, daß in Schiller's Leben und Erscheinung ein ähnlicher
Contrast liegt, indem er, der auf strahlendem Cvthurn über die Köpfe der Fürsten
und Völker hinwcgschritt, seine eigene äußere Existenz nicht über das Gewöhnliche,
Mangelhafte und Unscheinbare hinaufrücken konnte. Daß aber der moderne „Cul¬
tus des Genius" uicht über ein kleinliches Reliquicnwesen hinauskommt, und als inne¬
rer und äußerer, nicht zur Allgemeinheit und Dessen kunsten gedeiht, ist ein Zeichen, so
wohl von der Zerrissenheit unserer Bildung, die bei den Massen eine wesentlich, nicht
nur quantitativ andere ist, als bei den specifisch Gebildeten, als auch von demMangcl
an öffentlichem Leben überhaupt und der Neigung, Alles zu einer Privatsache zu ma¬
chen. Aber abgesehen von den Verlegenheiten unserer Plastik, die nicht weiß, ob sie
bei solchen Standbildern durch Portraittrcue und Beibehaltung der modernen Klei¬
dung den plastischen Sinn auf die Folter spannen, oder durch Antitisirung der
Gestalt und der Gewänder, die Männer, die sie darstellt, aus der historischen
Schaale, in die sie für unsere Anschauung verwachsen sind, herausschälen, und so
verallgemeinern soll, daß sie uns fremd entgegenstehen, abgesehen von diesem Pro¬
blem, das durch unglückliche Vermittelungsversuche noch nicht gelöst ist, erscheint
schon die freie Aufstellung von Statuen als ein Widerspruch gegen unser Klima,
unsere Regentage und unseren Winter. Auch wenn wir uns auf den Erzguß be¬
schränken und dadurch die wirkliche» schädlichen Einflüsse verhüten wollen, eine
Beschränkung, die immer eine Fessel der Kunst ist, so gewährt eine beschneite Sta¬
tue hos einen unbehaglichen Anblick, wir bemitleiden unwillkürlich die den Un-


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[0148] hübschen Kastamenallee nach Belvedere, das auf lustiger und freundlicher Höhe liegt und bei einer zierlichen aber etwas dürftigen Parkanlage, eine Orangerie, einen reichen Blumenflor, etliche Fasanen und Schildkröten hat. Auf der andern Seite führt das saftige Ilmthal nordöstlich nach dem erinnerungsreichen Tieffurt, wo die Herzogin Amalie eine geistreiche, von gebildetem Genuß und grazienhaftem Scherz durchwirkte Idylle durchzuleben wußte. Der Park ist mehr vernachlässigt, als die Anlage von Belvedere, aber von natürlicher Ueppigkeit, und im Hochsom¬ mer ein erquickender Aufenthalt. Man pflegt in Weimar die Erinnerungen an die große Zeit mit vieler Sorg¬ falt. Das Goethe'sche Haus ist aus den Besuch von Fremden eingerichtet, und es sind poetische und unpoetische Beschreibungen solcher Besuche genug geliefert worden. Herder hat man bei der Stadtkirche ans einem schwerlich geeigneten Platze ein Denkmal errichten wollen. Das Schiller'sche Hans wird jetzt eben zu einem Wallfahrtsorte für die Poesieglänbigen in Stand gesetzt. Die Idee, von der man hierbei ausgeht, Schiller's Arbeitszimmer in seiner ganzen Einfachheit zu belassen, oder vielmehr zu solcher wieder herzustellen und mit den alten, von Schiller gebrauchten Gerätschaften zu versehen, dagegen das vordere Zimmer ans das Glänzendste auszustatten und zu einem kleinen Tempel des Schiller'sehen Ruhms auszuschmücken, hat durch deu gesuchten Contrast einen etwas affectirter Beigeschmack, obgleich man gestehen muß, daß in Schiller's Leben und Erscheinung ein ähnlicher Contrast liegt, indem er, der auf strahlendem Cvthurn über die Köpfe der Fürsten und Völker hinwcgschritt, seine eigene äußere Existenz nicht über das Gewöhnliche, Mangelhafte und Unscheinbare hinaufrücken konnte. Daß aber der moderne „Cul¬ tus des Genius" uicht über ein kleinliches Reliquicnwesen hinauskommt, und als inne¬ rer und äußerer, nicht zur Allgemeinheit und Dessen kunsten gedeiht, ist ein Zeichen, so wohl von der Zerrissenheit unserer Bildung, die bei den Massen eine wesentlich, nicht nur quantitativ andere ist, als bei den specifisch Gebildeten, als auch von demMangcl an öffentlichem Leben überhaupt und der Neigung, Alles zu einer Privatsache zu ma¬ chen. Aber abgesehen von den Verlegenheiten unserer Plastik, die nicht weiß, ob sie bei solchen Standbildern durch Portraittrcue und Beibehaltung der modernen Klei¬ dung den plastischen Sinn auf die Folter spannen, oder durch Antitisirung der Gestalt und der Gewänder, die Männer, die sie darstellt, aus der historischen Schaale, in die sie für unsere Anschauung verwachsen sind, herausschälen, und so verallgemeinern soll, daß sie uns fremd entgegenstehen, abgesehen von diesem Pro¬ blem, das durch unglückliche Vermittelungsversuche noch nicht gelöst ist, erscheint schon die freie Aufstellung von Statuen als ein Widerspruch gegen unser Klima, unsere Regentage und unseren Winter. Auch wenn wir uns auf den Erzguß be¬ schränken und dadurch die wirkliche» schädlichen Einflüsse verhüten wollen, eine Beschränkung, die immer eine Fessel der Kunst ist, so gewährt eine beschneite Sta¬ tue hos einen unbehaglichen Anblick, wir bemitleiden unwillkürlich die den Un-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/148>, abgerufen am 22.07.2024.