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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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Zu besserem Verständniß scheint es jedoch zweckmäßig, vorher >inen Blick
auf die Wirksamkeit des frühern Ministers zu werfe". Dies war der Fürst Lie-
wen (von liefländischem Adel), ein Mann der, unbeschadet seines Characters, zum
Chef des Ministeriums der Volksaufklärung gewiß nnr wenig mehr Fähigkeit be¬
saß, als der Bär zum Lauteuschlagcu. Darauf kömmt aber in Nußland eben
nichts an; Se. Erlaucht war Minister und General, und wehe dem Untergebe¬
nen, der Etwas besser versteht, als ein solcher Vorgesetzter! Es machte mir viel
Vergnügen, wenn er im pädagogischen Hauptinstitute Examina für Griechisch und
Latein mit scheinbar ungetheilter Aufmerksamkeit anhörte, und nach der Einflüste¬
rung des hinter ihm sitzenden Directors der Anstalt ein sicheres "charaschu" oder
"chudo"*) aussprach, obgleich er nicht einmal das Alphabet der geistreichsten Al¬
ten verstand -- ähnlich einem jungen Oberste", der sehr beschränkte Anlagen rus¬
sisch cultivirt hatte und vor ein paar Jahren auf die Frage, "ob er das ... ver¬
stehe?" wirtlich in vollem Ernste und ganz ärgerlich antwortete: "Dummes Zeug,
wenn der Kaiser befiehlt, daß ich Professor sein soll, werd' ich ein guter Profes¬
sor sein." (Jetzt ist dieses Universalgenie bereits General und hat zwei Sterne!)
Ihr begreift mithin leicht, daß vom Fürsten wenig gethan wurde für das Licht
in Rußland; desto mehr geschah für den Himmel. In den letzten NegierungS-
jahren Alexander's war nämlich in Petersburg eine gewisse Frömmigkeit guter
Ton gewesen, weil sich der Kaiser in derselben gefiel und die Hofleute natürlich
dem Beispiele des Herr" folgten. Um die Gründe dazu handelt es sich hier nicht.
Der Fürst gehörte zu den Bigotte", und noch im Anfange der dreißiger Jahre
nachahmte seinetwegen mancher Schnldirector die Pharisäer und betete vor den
Leuten; Viele hatten sich bereits zum Weltlichen bekehrt, da durch den neuen
Herrscher der Hofwiud anders geworden. Der Minister fügte sich indessen diesem
nicht; vermöge seines Alters stand er dem Himmel viel näher, als der junge
Zuwuchs, und dies mochte daran eben so viel Antheil haben wie der Umstand, daß
sich Beschränkte bei solcher Richtung überhaupt wohler befinden. Die unter ihm
stehende Censur hatte auch noch den frühern Character und verfolgte mit scho¬
nungsloser Strenge Alles, was nnr einigermaßen freisinnig war. Und ähnlicher
Geist durchwehte die Mehrzahl der Unterrichtsanstalten. In den höhern Regio¬
nen reichte es dagegen aus, das eheliche Verhältniß zu respectiren, weil der Kai¬
ser gegen das frühere lockere Leben hierin deu entschiedensten Mißfallen aussprach;
Bigotterie war nicht mehr nöthig, um am Throne gelitten zu sein. Dadurch wa¬
ren die Mittelklasse" in einen Zustand gerathen, der für Staate" wie Rußland
allerdings uicht wünschenswert!) ist; je verbotener alles Antibigotte, desto leben¬
diger reizte es und mußte im Stillen um so mehr wirke", als solche Frömmigkeit
namentlich in großen, materiellen Plätzen wesentlich geiurt nud selten vom Herzen



*) Gut; schlecht.

Zu besserem Verständniß scheint es jedoch zweckmäßig, vorher >inen Blick
auf die Wirksamkeit des frühern Ministers zu werfe». Dies war der Fürst Lie-
wen (von liefländischem Adel), ein Mann der, unbeschadet seines Characters, zum
Chef des Ministeriums der Volksaufklärung gewiß nnr wenig mehr Fähigkeit be¬
saß, als der Bär zum Lauteuschlagcu. Darauf kömmt aber in Nußland eben
nichts an; Se. Erlaucht war Minister und General, und wehe dem Untergebe¬
nen, der Etwas besser versteht, als ein solcher Vorgesetzter! Es machte mir viel
Vergnügen, wenn er im pädagogischen Hauptinstitute Examina für Griechisch und
Latein mit scheinbar ungetheilter Aufmerksamkeit anhörte, und nach der Einflüste¬
rung des hinter ihm sitzenden Directors der Anstalt ein sicheres „charaschu" oder
„chudo"*) aussprach, obgleich er nicht einmal das Alphabet der geistreichsten Al¬
ten verstand — ähnlich einem jungen Oberste», der sehr beschränkte Anlagen rus¬
sisch cultivirt hatte und vor ein paar Jahren auf die Frage, „ob er das ... ver¬
stehe?" wirtlich in vollem Ernste und ganz ärgerlich antwortete: „Dummes Zeug,
wenn der Kaiser befiehlt, daß ich Professor sein soll, werd' ich ein guter Profes¬
sor sein." (Jetzt ist dieses Universalgenie bereits General und hat zwei Sterne!)
Ihr begreift mithin leicht, daß vom Fürsten wenig gethan wurde für das Licht
in Rußland; desto mehr geschah für den Himmel. In den letzten NegierungS-
jahren Alexander's war nämlich in Petersburg eine gewisse Frömmigkeit guter
Ton gewesen, weil sich der Kaiser in derselben gefiel und die Hofleute natürlich
dem Beispiele des Herr» folgten. Um die Gründe dazu handelt es sich hier nicht.
Der Fürst gehörte zu den Bigotte», und noch im Anfange der dreißiger Jahre
nachahmte seinetwegen mancher Schnldirector die Pharisäer und betete vor den
Leuten; Viele hatten sich bereits zum Weltlichen bekehrt, da durch den neuen
Herrscher der Hofwiud anders geworden. Der Minister fügte sich indessen diesem
nicht; vermöge seines Alters stand er dem Himmel viel näher, als der junge
Zuwuchs, und dies mochte daran eben so viel Antheil haben wie der Umstand, daß
sich Beschränkte bei solcher Richtung überhaupt wohler befinden. Die unter ihm
stehende Censur hatte auch noch den frühern Character und verfolgte mit scho¬
nungsloser Strenge Alles, was nnr einigermaßen freisinnig war. Und ähnlicher
Geist durchwehte die Mehrzahl der Unterrichtsanstalten. In den höhern Regio¬
nen reichte es dagegen aus, das eheliche Verhältniß zu respectiren, weil der Kai¬
ser gegen das frühere lockere Leben hierin deu entschiedensten Mißfallen aussprach;
Bigotterie war nicht mehr nöthig, um am Throne gelitten zu sein. Dadurch wa¬
ren die Mittelklasse» in einen Zustand gerathen, der für Staate» wie Rußland
allerdings uicht wünschenswert!) ist; je verbotener alles Antibigotte, desto leben¬
diger reizte es und mußte im Stillen um so mehr wirke», als solche Frömmigkeit
namentlich in großen, materiellen Plätzen wesentlich geiurt nud selten vom Herzen



*) Gut; schlecht.
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[0107] Zu besserem Verständniß scheint es jedoch zweckmäßig, vorher >inen Blick auf die Wirksamkeit des frühern Ministers zu werfe». Dies war der Fürst Lie- wen (von liefländischem Adel), ein Mann der, unbeschadet seines Characters, zum Chef des Ministeriums der Volksaufklärung gewiß nnr wenig mehr Fähigkeit be¬ saß, als der Bär zum Lauteuschlagcu. Darauf kömmt aber in Nußland eben nichts an; Se. Erlaucht war Minister und General, und wehe dem Untergebe¬ nen, der Etwas besser versteht, als ein solcher Vorgesetzter! Es machte mir viel Vergnügen, wenn er im pädagogischen Hauptinstitute Examina für Griechisch und Latein mit scheinbar ungetheilter Aufmerksamkeit anhörte, und nach der Einflüste¬ rung des hinter ihm sitzenden Directors der Anstalt ein sicheres „charaschu" oder „chudo"*) aussprach, obgleich er nicht einmal das Alphabet der geistreichsten Al¬ ten verstand — ähnlich einem jungen Oberste», der sehr beschränkte Anlagen rus¬ sisch cultivirt hatte und vor ein paar Jahren auf die Frage, „ob er das ... ver¬ stehe?" wirtlich in vollem Ernste und ganz ärgerlich antwortete: „Dummes Zeug, wenn der Kaiser befiehlt, daß ich Professor sein soll, werd' ich ein guter Profes¬ sor sein." (Jetzt ist dieses Universalgenie bereits General und hat zwei Sterne!) Ihr begreift mithin leicht, daß vom Fürsten wenig gethan wurde für das Licht in Rußland; desto mehr geschah für den Himmel. In den letzten NegierungS- jahren Alexander's war nämlich in Petersburg eine gewisse Frömmigkeit guter Ton gewesen, weil sich der Kaiser in derselben gefiel und die Hofleute natürlich dem Beispiele des Herr» folgten. Um die Gründe dazu handelt es sich hier nicht. Der Fürst gehörte zu den Bigotte», und noch im Anfange der dreißiger Jahre nachahmte seinetwegen mancher Schnldirector die Pharisäer und betete vor den Leuten; Viele hatten sich bereits zum Weltlichen bekehrt, da durch den neuen Herrscher der Hofwiud anders geworden. Der Minister fügte sich indessen diesem nicht; vermöge seines Alters stand er dem Himmel viel näher, als der junge Zuwuchs, und dies mochte daran eben so viel Antheil haben wie der Umstand, daß sich Beschränkte bei solcher Richtung überhaupt wohler befinden. Die unter ihm stehende Censur hatte auch noch den frühern Character und verfolgte mit scho¬ nungsloser Strenge Alles, was nnr einigermaßen freisinnig war. Und ähnlicher Geist durchwehte die Mehrzahl der Unterrichtsanstalten. In den höhern Regio¬ nen reichte es dagegen aus, das eheliche Verhältniß zu respectiren, weil der Kai¬ ser gegen das frühere lockere Leben hierin deu entschiedensten Mißfallen aussprach; Bigotterie war nicht mehr nöthig, um am Throne gelitten zu sein. Dadurch wa¬ ren die Mittelklasse» in einen Zustand gerathen, der für Staate» wie Rußland allerdings uicht wünschenswert!) ist; je verbotener alles Antibigotte, desto leben¬ diger reizte es und mußte im Stillen um so mehr wirke», als solche Frömmigkeit namentlich in großen, materiellen Plätzen wesentlich geiurt nud selten vom Herzen *) Gut; schlecht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/107>, abgerufen am 22.07.2024.