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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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Ihr dürft also nichts Stümperhaftes erwarten, wenn wir den Erziehungs¬
plan für Nußland detaillirt besprechen, und rührten die meisten Bestimmungen
nicht leider von Ausländern her, man müßte den Nüssen hierin eine gewisse Mei¬
sterschaft zugestehen; es wird aber gar zu oft mit fremden Kälbern gepflügt. Doch
wirkt der Fluch, den die Höhern herzlos auf die Niedern schleudern, noch ent¬
setzlicher ans sie selber zurück; auch hier das ewige Gesetz, daß das Schlechte sich
am Ende immer selbst am schärfsten bestraft. Noch entsetzlicher? Ja! Indem man
das Bischen Wissen der mittlern Klassen in chinesische Schuhe zwängt, wird die
Wissenschaft im Allgemeinen von ihrem hohen Standpunkte herabgezerrt und auch
dem Adel nur verkrüppelt zu Theil; negativ verhindert sie denselben an richtiger
Beurtheilung und Benutzung der Umstände, und gewährt dadurch den materiel¬
len Mitteln des Bürgers, der rohen Gewalt des gemeine" Volkes weit größeren
Vorschub, als es im ersten Augenblicke scheint. So werden bei einem Chok, der
von Tag zu Tage mehr heranreift, diese viel leichter das Recht erlangen, welches
man ihnen so lange vorenthalten. War es indessen nicht stets der Fehler aller
Privilegirten, niemals bei Zeiten etwas zuzugestehen? Und so mag's auch am
Besten sein, wo dem Neuen die nöthige Reife fehlt, wird es erstickt und wächst
im Stillen um so schneller; wo dasselbe kräftig genug, prasselt das Alte zusam¬
men und Jenes bildet sich selbstständig aus und zeigt offen seine Mängel, was
immer der Fall sein würde unter der Vormundschaft des Alten. Warum sollte
Nußland eine Ausnahme machen? Man erwidere nicht etwa, daß gegenwärtig ein
Aufstand der Bauern gegen ihre Herren noch von zu viel Grausamkeit begleitet
sein müßte, dem bürgerlichen Leben entwuchs das Sprichwort "wie der Mann ist,
so bratet man die Wurst," und die Weltgeschichte vollstreckte meist nach diesem
Prinzipe ihre Urtheile.

Welcher Stand in Rußland hätte aber rechtlichen Anspruch ans Humanität?
Die Regierung kündet ihre lieben Unterthanen und schickt Tausende in ein schreck¬
liches Exil, um sie zu bessern; der Adel meuchelt nach Oben und peitscht nach
Arten; und auch der Bürger zeigt oft durch Ungerechtigkeit und sehr geringes
Gefühl gegen den gemeinen Mann, daß solches Beispiel der Größern nicht ohne
Nachahmung bleibt von den Kleinern. Warum sollte also nicht auch die Reihe an
die Niedrigen kommen, sich gegen ihre Mitbürger gehen zu lassen? Denn daß es
Gouvernement und Adel um nichts weniger als wahrhafte Bildung im Lande zu
thun ist, werdet Ihr mit mir überzeugt sein, sobald ich Euch von demjenigen
Ministerio erzähle, welches hierzu etablirt wurde. Auch wird Euch völlig klar
werden, daß man nicht etwa im Eifer unbewußt einer falschen Richtung folgt,
vielmehr wohlbedacht einen genau berechneten Weg wandelt. Darauf dürfen also
die Bauern nicht warten, daß sie die nöthige Aufklärung erhalten, um ihre Pei¬
niger in humaner Weise zur Rechenschaft zu ziehen -- und sie denken auch nicht
daran.


Ihr dürft also nichts Stümperhaftes erwarten, wenn wir den Erziehungs¬
plan für Nußland detaillirt besprechen, und rührten die meisten Bestimmungen
nicht leider von Ausländern her, man müßte den Nüssen hierin eine gewisse Mei¬
sterschaft zugestehen; es wird aber gar zu oft mit fremden Kälbern gepflügt. Doch
wirkt der Fluch, den die Höhern herzlos auf die Niedern schleudern, noch ent¬
setzlicher ans sie selber zurück; auch hier das ewige Gesetz, daß das Schlechte sich
am Ende immer selbst am schärfsten bestraft. Noch entsetzlicher? Ja! Indem man
das Bischen Wissen der mittlern Klassen in chinesische Schuhe zwängt, wird die
Wissenschaft im Allgemeinen von ihrem hohen Standpunkte herabgezerrt und auch
dem Adel nur verkrüppelt zu Theil; negativ verhindert sie denselben an richtiger
Beurtheilung und Benutzung der Umstände, und gewährt dadurch den materiel¬
len Mitteln des Bürgers, der rohen Gewalt des gemeine» Volkes weit größeren
Vorschub, als es im ersten Augenblicke scheint. So werden bei einem Chok, der
von Tag zu Tage mehr heranreift, diese viel leichter das Recht erlangen, welches
man ihnen so lange vorenthalten. War es indessen nicht stets der Fehler aller
Privilegirten, niemals bei Zeiten etwas zuzugestehen? Und so mag's auch am
Besten sein, wo dem Neuen die nöthige Reife fehlt, wird es erstickt und wächst
im Stillen um so schneller; wo dasselbe kräftig genug, prasselt das Alte zusam¬
men und Jenes bildet sich selbstständig aus und zeigt offen seine Mängel, was
immer der Fall sein würde unter der Vormundschaft des Alten. Warum sollte
Nußland eine Ausnahme machen? Man erwidere nicht etwa, daß gegenwärtig ein
Aufstand der Bauern gegen ihre Herren noch von zu viel Grausamkeit begleitet
sein müßte, dem bürgerlichen Leben entwuchs das Sprichwort „wie der Mann ist,
so bratet man die Wurst," und die Weltgeschichte vollstreckte meist nach diesem
Prinzipe ihre Urtheile.

Welcher Stand in Rußland hätte aber rechtlichen Anspruch ans Humanität?
Die Regierung kündet ihre lieben Unterthanen und schickt Tausende in ein schreck¬
liches Exil, um sie zu bessern; der Adel meuchelt nach Oben und peitscht nach
Arten; und auch der Bürger zeigt oft durch Ungerechtigkeit und sehr geringes
Gefühl gegen den gemeinen Mann, daß solches Beispiel der Größern nicht ohne
Nachahmung bleibt von den Kleinern. Warum sollte also nicht auch die Reihe an
die Niedrigen kommen, sich gegen ihre Mitbürger gehen zu lassen? Denn daß es
Gouvernement und Adel um nichts weniger als wahrhafte Bildung im Lande zu
thun ist, werdet Ihr mit mir überzeugt sein, sobald ich Euch von demjenigen
Ministerio erzähle, welches hierzu etablirt wurde. Auch wird Euch völlig klar
werden, daß man nicht etwa im Eifer unbewußt einer falschen Richtung folgt,
vielmehr wohlbedacht einen genau berechneten Weg wandelt. Darauf dürfen also
die Bauern nicht warten, daß sie die nöthige Aufklärung erhalten, um ihre Pei¬
niger in humaner Weise zur Rechenschaft zu ziehen — und sie denken auch nicht
daran.


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[0106] Ihr dürft also nichts Stümperhaftes erwarten, wenn wir den Erziehungs¬ plan für Nußland detaillirt besprechen, und rührten die meisten Bestimmungen nicht leider von Ausländern her, man müßte den Nüssen hierin eine gewisse Mei¬ sterschaft zugestehen; es wird aber gar zu oft mit fremden Kälbern gepflügt. Doch wirkt der Fluch, den die Höhern herzlos auf die Niedern schleudern, noch ent¬ setzlicher ans sie selber zurück; auch hier das ewige Gesetz, daß das Schlechte sich am Ende immer selbst am schärfsten bestraft. Noch entsetzlicher? Ja! Indem man das Bischen Wissen der mittlern Klassen in chinesische Schuhe zwängt, wird die Wissenschaft im Allgemeinen von ihrem hohen Standpunkte herabgezerrt und auch dem Adel nur verkrüppelt zu Theil; negativ verhindert sie denselben an richtiger Beurtheilung und Benutzung der Umstände, und gewährt dadurch den materiel¬ len Mitteln des Bürgers, der rohen Gewalt des gemeine» Volkes weit größeren Vorschub, als es im ersten Augenblicke scheint. So werden bei einem Chok, der von Tag zu Tage mehr heranreift, diese viel leichter das Recht erlangen, welches man ihnen so lange vorenthalten. War es indessen nicht stets der Fehler aller Privilegirten, niemals bei Zeiten etwas zuzugestehen? Und so mag's auch am Besten sein, wo dem Neuen die nöthige Reife fehlt, wird es erstickt und wächst im Stillen um so schneller; wo dasselbe kräftig genug, prasselt das Alte zusam¬ men und Jenes bildet sich selbstständig aus und zeigt offen seine Mängel, was immer der Fall sein würde unter der Vormundschaft des Alten. Warum sollte Nußland eine Ausnahme machen? Man erwidere nicht etwa, daß gegenwärtig ein Aufstand der Bauern gegen ihre Herren noch von zu viel Grausamkeit begleitet sein müßte, dem bürgerlichen Leben entwuchs das Sprichwort „wie der Mann ist, so bratet man die Wurst," und die Weltgeschichte vollstreckte meist nach diesem Prinzipe ihre Urtheile. Welcher Stand in Rußland hätte aber rechtlichen Anspruch ans Humanität? Die Regierung kündet ihre lieben Unterthanen und schickt Tausende in ein schreck¬ liches Exil, um sie zu bessern; der Adel meuchelt nach Oben und peitscht nach Arten; und auch der Bürger zeigt oft durch Ungerechtigkeit und sehr geringes Gefühl gegen den gemeinen Mann, daß solches Beispiel der Größern nicht ohne Nachahmung bleibt von den Kleinern. Warum sollte also nicht auch die Reihe an die Niedrigen kommen, sich gegen ihre Mitbürger gehen zu lassen? Denn daß es Gouvernement und Adel um nichts weniger als wahrhafte Bildung im Lande zu thun ist, werdet Ihr mit mir überzeugt sein, sobald ich Euch von demjenigen Ministerio erzähle, welches hierzu etablirt wurde. Auch wird Euch völlig klar werden, daß man nicht etwa im Eifer unbewußt einer falschen Richtung folgt, vielmehr wohlbedacht einen genau berechneten Weg wandelt. Darauf dürfen also die Bauern nicht warten, daß sie die nöthige Aufklärung erhalten, um ihre Pei¬ niger in humaner Weise zur Rechenschaft zu ziehen — und sie denken auch nicht daran.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/106>, abgerufen am 11.12.2024.