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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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kömmt. Gleichwohl durften diese Kreise nicht offen opponiren, und es herrschte
daher innerhalb derselben eine geistige Schwüle, die man je eher, je besser entfer¬
nen mußte. Anhaltende Verbote hätten die Sache nur schlimmer gemacht, aber
auch allmäliges Nachgeben würde wenig gefruchtet haben, da die Censirten bereits
weiter waren, als man sie ungeachtet der geringern Zerknirschung in der Hofkapelle
kommen lassen wollte.

Da forderte der Fürst Liewen seine Entlassung -- und Herr v. Uw-irof, sein
bisheriger Gehülfe, wurde Münster. Der war so ziemlich in Allem der Gegen¬
satz seines Vorgängers; meist in Paris erzogen und, als Russe, ausgezeichnet
gebildet, zwar ohne tiefere Kenntniß seiner Muttersprache, wie russische Philologen
behaupteten, aber vertraut mit Griechisch und Latein, mit Französisch, Deutsch,
Englisch und Italienisch, Philosoph und Verehrer von Kunst und Wissenschaft,
bekannt mit Goethe, den er seinen Freund nannte, und vielen geistigen Autoritäten
der Jetztzeit; glänzend im Salon, herablassend, liebenswürdig mit dem Publiko,
äußerst human gegen seine Untergebenen, freisinnig in allen seinen Ideen -- ein
zweiter Herr von NataS in Hauff's Memoiren des Satans. Dieser Mann ward
Minister der Volksaufklärung, und Viele sahen im Geiste Rußlands Schulwesen
aus einem schwindelnden Höhepunkte; deutsche Professoren namentlich (die, ein
Paar ausgenommen, auch hier sehr viel Gelehrsamkeit und äußerst wenig gesun¬
den Menschenverstand haben) waren außer sich vor Freude über Petersburgs
apollonische Zukunft. Und wirklich schien es eine kurze Zeit, als wollte der neue
Minister die Hauptstadt des Nordens zum Eldorado aller nenn Musen machen,
jedwedem Studio durch griechische Geistesfreiheit unter die Arme greifen. Auch
wurde den jungen Hoffnungen nicht etwa das Genick eingetreten von dicken Epau¬
lettes, denn Herr von Uwurof hatte Civilrang -- das goldene Zeitalter des
Geistes schien vor der Thüre.

Wer aber den Geist der innern Politik nur einigermaßen kannte, der wurde
nicht lange getäuscht; nur das zugestanden Alle, daß Rußland noch keinen solchen
Minister der Aufklärung gehabt, die Einen vergötterten ihn, die Andern waren
vollkommen zufrieden mit seinen Einrichtungen, und die Mehrzahl Derer, bei wel¬
chen letzteres nicht der Fall, bezauberte seine Persönlichkeit. Nur hier und da fand
sich ein Nicht-Captivirter; sie waren jedoch sehr vereinzelt, mußten Verrath furchten,
da sie fast überall aus ernstlich gemeinten Widerspruch stießen, und konnten anch
nicht in Abrede stellen, daß der ganze Plan des neuen Ministeriums originell ge¬
dacht war und consequent durchgeführt wurde. Worin bestand aber derselbe? fragt
Ihr gespannt. Man verfährt gegen den menschlichen Geist ans gleiche Art, wie
in den mvmoires ein DiMv der Chevalier de la Napiniere gegen den Körper
seines Freundes, den er durch eine Indigestion dem Gottesacker überlieferte. Und
ein solches jesuitisches Mittel wird selten fehlschlagen! Fernern Hunger anzuord¬
nen wäre unzureichend gewesen, weil man sich die gewünschten Speisen in der


kömmt. Gleichwohl durften diese Kreise nicht offen opponiren, und es herrschte
daher innerhalb derselben eine geistige Schwüle, die man je eher, je besser entfer¬
nen mußte. Anhaltende Verbote hätten die Sache nur schlimmer gemacht, aber
auch allmäliges Nachgeben würde wenig gefruchtet haben, da die Censirten bereits
weiter waren, als man sie ungeachtet der geringern Zerknirschung in der Hofkapelle
kommen lassen wollte.

Da forderte der Fürst Liewen seine Entlassung — und Herr v. Uw-irof, sein
bisheriger Gehülfe, wurde Münster. Der war so ziemlich in Allem der Gegen¬
satz seines Vorgängers; meist in Paris erzogen und, als Russe, ausgezeichnet
gebildet, zwar ohne tiefere Kenntniß seiner Muttersprache, wie russische Philologen
behaupteten, aber vertraut mit Griechisch und Latein, mit Französisch, Deutsch,
Englisch und Italienisch, Philosoph und Verehrer von Kunst und Wissenschaft,
bekannt mit Goethe, den er seinen Freund nannte, und vielen geistigen Autoritäten
der Jetztzeit; glänzend im Salon, herablassend, liebenswürdig mit dem Publiko,
äußerst human gegen seine Untergebenen, freisinnig in allen seinen Ideen — ein
zweiter Herr von NataS in Hauff's Memoiren des Satans. Dieser Mann ward
Minister der Volksaufklärung, und Viele sahen im Geiste Rußlands Schulwesen
aus einem schwindelnden Höhepunkte; deutsche Professoren namentlich (die, ein
Paar ausgenommen, auch hier sehr viel Gelehrsamkeit und äußerst wenig gesun¬
den Menschenverstand haben) waren außer sich vor Freude über Petersburgs
apollonische Zukunft. Und wirklich schien es eine kurze Zeit, als wollte der neue
Minister die Hauptstadt des Nordens zum Eldorado aller nenn Musen machen,
jedwedem Studio durch griechische Geistesfreiheit unter die Arme greifen. Auch
wurde den jungen Hoffnungen nicht etwa das Genick eingetreten von dicken Epau¬
lettes, denn Herr von Uwurof hatte Civilrang — das goldene Zeitalter des
Geistes schien vor der Thüre.

Wer aber den Geist der innern Politik nur einigermaßen kannte, der wurde
nicht lange getäuscht; nur das zugestanden Alle, daß Rußland noch keinen solchen
Minister der Aufklärung gehabt, die Einen vergötterten ihn, die Andern waren
vollkommen zufrieden mit seinen Einrichtungen, und die Mehrzahl Derer, bei wel¬
chen letzteres nicht der Fall, bezauberte seine Persönlichkeit. Nur hier und da fand
sich ein Nicht-Captivirter; sie waren jedoch sehr vereinzelt, mußten Verrath furchten,
da sie fast überall aus ernstlich gemeinten Widerspruch stießen, und konnten anch
nicht in Abrede stellen, daß der ganze Plan des neuen Ministeriums originell ge¬
dacht war und consequent durchgeführt wurde. Worin bestand aber derselbe? fragt
Ihr gespannt. Man verfährt gegen den menschlichen Geist ans gleiche Art, wie
in den mvmoires ein DiMv der Chevalier de la Napiniere gegen den Körper
seines Freundes, den er durch eine Indigestion dem Gottesacker überlieferte. Und
ein solches jesuitisches Mittel wird selten fehlschlagen! Fernern Hunger anzuord¬
nen wäre unzureichend gewesen, weil man sich die gewünschten Speisen in der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/108>, abgerufen am 24.08.2024.