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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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für das geschichtliche Volksleben sei, hielt man nicht der Mühe werth
nachzuweisen, während man sich die allerdings viel leichtere nahm, ge¬
gen die Utilisten einige bittere und verächtliche Bemerkungen loszulas¬
sen. Den Vorwurf der Kleinigkeitskrämerei, der den Philologen so
oft und durchgängig nicht mit Unrecht gemacht wird, wies der Prä¬
sident der Versammlung, der Hr. Hofrath Hand, damit zurück, daß
man dem Naturforscher es nicht verüble, wenn er z. B. die Pflanze
bis zur kleinsten Faser mikroskopisch untersuche, bei der Sprache aber
es sich um Geistesformen handle, und somit um etwas Höheres und
Untersuchungöwertheres. Hiergegen ist nur zu sagen, daß der Natur¬
forscher wirklich um so tiefer in das Wesen und die Eigenthümlichkeit
der Pflanze eindringt, je genauer er die Theile, aus denen sie besteht,
kennt, während der Geist der Sprache, um den es sich nur handeln
kann und der mit dem Geist des Volks identisch ist, ans minutiösen
Untersuchungen über einzelne Partikeln nicht heraustritt und klarer er¬
faßt wird, mit andern Worten, daß der Naturforscher auf anatomische
Untersuchungen hauptsächlich angewiesen ist, und durch sie vorzüglich
zur Kenntniß des NatUrlebens gelangt, während die Kenntniß der
äußern Gesetz- und Regelmäßigkeit der Sprache noch nicht die Er¬
kenntniß der Sprache selbst ist und eine verhältnißmäßig untergeordnete
Bedeutung hat und einhalten muß. Auf die briefliche Bemerkung ei¬
nes Nealschulmannes, daß es nicht übel gewesen wäre, wenn die Phi¬
lologen die Trockenheit ihrer Wissenschaft durch die Vereinigung mit
den Realschulmänncm etwas gemildert und verquickt hätten, wurde ent-
gegnet, daß besagter Nealschulmann den heraklitischen Spruch: die
trockenen Seelen sind die besten, nicht zu kennen scheine. Heraklit meint
aber unseres Erachtens nicht sowohl ausgetrocknete, lederartige, als
feurige Seelen, und ob solche der Mehrzahl der Philologen zuzuschrei¬
ben sind, mögen sie sich selbst beantworten. Am Schluß seines Vor¬
trage fand sich Hr. Hofrath Hand bewogen, gegen den Geist der ge¬
genwärtigen Jugend, die der ächten Wissenschaftlichkeit entfremdet, auf
Vielwisser und Vielkönnen hindränge, und von vornherein die prakti¬
sche Ausbeutung desselben im Auge habe, zu declamiren. Hr. Hof¬
rath Hand scheint uns in diefem Urtheil der gegenwärtigen Jugend
Unrecht zu thun; aber wenn es auch richtiger und allgemein giltiger
wäre, als es ist, so läge doch die Schuld einer solchen Erscheinung
nicht sowohl an der Jugend, als an ihrer Erziehung und an den
öffentlichen Anstalten, deren Einrichtung und Thätigkeit von den Be¬
hörden bestimmt wird und an denen die Philologen eine sehr vorherr-


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für das geschichtliche Volksleben sei, hielt man nicht der Mühe werth
nachzuweisen, während man sich die allerdings viel leichtere nahm, ge¬
gen die Utilisten einige bittere und verächtliche Bemerkungen loszulas¬
sen. Den Vorwurf der Kleinigkeitskrämerei, der den Philologen so
oft und durchgängig nicht mit Unrecht gemacht wird, wies der Prä¬
sident der Versammlung, der Hr. Hofrath Hand, damit zurück, daß
man dem Naturforscher es nicht verüble, wenn er z. B. die Pflanze
bis zur kleinsten Faser mikroskopisch untersuche, bei der Sprache aber
es sich um Geistesformen handle, und somit um etwas Höheres und
Untersuchungöwertheres. Hiergegen ist nur zu sagen, daß der Natur¬
forscher wirklich um so tiefer in das Wesen und die Eigenthümlichkeit
der Pflanze eindringt, je genauer er die Theile, aus denen sie besteht,
kennt, während der Geist der Sprache, um den es sich nur handeln
kann und der mit dem Geist des Volks identisch ist, ans minutiösen
Untersuchungen über einzelne Partikeln nicht heraustritt und klarer er¬
faßt wird, mit andern Worten, daß der Naturforscher auf anatomische
Untersuchungen hauptsächlich angewiesen ist, und durch sie vorzüglich
zur Kenntniß des NatUrlebens gelangt, während die Kenntniß der
äußern Gesetz- und Regelmäßigkeit der Sprache noch nicht die Er¬
kenntniß der Sprache selbst ist und eine verhältnißmäßig untergeordnete
Bedeutung hat und einhalten muß. Auf die briefliche Bemerkung ei¬
nes Nealschulmannes, daß es nicht übel gewesen wäre, wenn die Phi¬
lologen die Trockenheit ihrer Wissenschaft durch die Vereinigung mit
den Realschulmänncm etwas gemildert und verquickt hätten, wurde ent-
gegnet, daß besagter Nealschulmann den heraklitischen Spruch: die
trockenen Seelen sind die besten, nicht zu kennen scheine. Heraklit meint
aber unseres Erachtens nicht sowohl ausgetrocknete, lederartige, als
feurige Seelen, und ob solche der Mehrzahl der Philologen zuzuschrei¬
ben sind, mögen sie sich selbst beantworten. Am Schluß seines Vor¬
trage fand sich Hr. Hofrath Hand bewogen, gegen den Geist der ge¬
genwärtigen Jugend, die der ächten Wissenschaftlichkeit entfremdet, auf
Vielwisser und Vielkönnen hindränge, und von vornherein die prakti¬
sche Ausbeutung desselben im Auge habe, zu declamiren. Hr. Hof¬
rath Hand scheint uns in diefem Urtheil der gegenwärtigen Jugend
Unrecht zu thun; aber wenn es auch richtiger und allgemein giltiger
wäre, als es ist, so läge doch die Schuld einer solchen Erscheinung
nicht sowohl an der Jugend, als an ihrer Erziehung und an den
öffentlichen Anstalten, deren Einrichtung und Thätigkeit von den Be¬
hörden bestimmt wird und an denen die Philologen eine sehr vorherr-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/91>, abgerufen am 26.08.2024.