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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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bar, da die Vereine, deren Mitglieder den Regierungen vereinzelt
manche Sorgen und Verlegenheiten bereiten, wie die der Schriftsteller
und Anwälte mit dem entschiedensten Mißtrauen behandelt werden,
während man andere für unschuldig genug hält, um sie nicht nur zu
dulden, sondern sogar durch freundliches Entgegenkommen zu unter¬
stützen, und dafür den ergebensten Dank der Versammlungen selbst
und das Zeitungslob der Munificenz und Liberalität einzuernten. In
diese letzte Kategorie gehört unstreitig auch die jährliche Versammlung
der Philologen. Der Schluß, daß die unschuldigen Versammlungen,
welche sich des väterlichen Schutzes der Regierungen zu erfreuen ha¬
ben, eben deshalb auch die für Gegenwart und Zukunft bedeutungs¬
losesten seien, wäre jedenfalls zu rasch. Es kommt auf diese Ver¬
sammlungen selbst an, was sie aus sich machen wollen, und diejenigen
Bestrebungen, die nicht sogleich auf den Widerstand der Regierungen
stoßen, können eine tiefere und nachhaltigere Wirksamkeit einschließen,
als diejenigen, welche gleich von vornherein als oppositionelle auftre¬
ten und als solche behandelt werden. Wenn die Haltung dieser Ver¬
sammlungen eine demüthig-dankbare ist und ihre Verhandlungen das
eigentliche politische oder auch religiöse Gebiet ängstlich vermeiden, so
liegt auch hierin für sie kein Vorwurf. Daß die Regierungen das
Wereinswesen überhaupt, wenn auch einseitig, dulden und unterstützen,
obgleich es den büreaukratischen Staat unterhöhlt, ist eine anerkennens-
werthe -- Milde derselben. Wenn aber Vereine das, was sie inner¬
halb der loyalsten Schranken leisen" können, nicht leisten, wenn sie ihre
Aufgabe engherzig auffassen und die Vereinigung nur als ein Mittel
der Besonderung betrachten, wenn sie die Beziehung zum öffentlichen,
zum Volksleben ausdrücklich verleugnen und ihr letzter Zweck als eine
Standesconservirung erscheint, dann kann ihre Bedeutung bei allem
Aufwande von Mitteln und Phrasen nur eine geringe sein. In wie¬
fern dieser Vorwurf die diesjährige Philologenverfammlung trifft oder
nicht, wird sich aus der kurzen Darstellung derselben, die wir zu ge¬
ben beabsichtigen, von selbst ergeben. Nur dies wollen wir von vorn¬
herein bemerken, daß die Angriffe gegen das Philologenthum, die zu
berühren man nicht umhin konnte, auf eine etwas sehr vornehme Weise
mit einigen philologischen Witzen abgewiesen wurden, und daß es der
Versammlung nicht darauf anzukommen schien, sich über die Stellung
der Philologie in der Gegenwart klar zu werden. In wiefern die
Philologie in einem höhern Sinne des Wortes, nicht in dem gewöhn¬
lichen der Utilität, von praktischer Bedeutung für das Leben, und zwar


bar, da die Vereine, deren Mitglieder den Regierungen vereinzelt
manche Sorgen und Verlegenheiten bereiten, wie die der Schriftsteller
und Anwälte mit dem entschiedensten Mißtrauen behandelt werden,
während man andere für unschuldig genug hält, um sie nicht nur zu
dulden, sondern sogar durch freundliches Entgegenkommen zu unter¬
stützen, und dafür den ergebensten Dank der Versammlungen selbst
und das Zeitungslob der Munificenz und Liberalität einzuernten. In
diese letzte Kategorie gehört unstreitig auch die jährliche Versammlung
der Philologen. Der Schluß, daß die unschuldigen Versammlungen,
welche sich des väterlichen Schutzes der Regierungen zu erfreuen ha¬
ben, eben deshalb auch die für Gegenwart und Zukunft bedeutungs¬
losesten seien, wäre jedenfalls zu rasch. Es kommt auf diese Ver¬
sammlungen selbst an, was sie aus sich machen wollen, und diejenigen
Bestrebungen, die nicht sogleich auf den Widerstand der Regierungen
stoßen, können eine tiefere und nachhaltigere Wirksamkeit einschließen,
als diejenigen, welche gleich von vornherein als oppositionelle auftre¬
ten und als solche behandelt werden. Wenn die Haltung dieser Ver¬
sammlungen eine demüthig-dankbare ist und ihre Verhandlungen das
eigentliche politische oder auch religiöse Gebiet ängstlich vermeiden, so
liegt auch hierin für sie kein Vorwurf. Daß die Regierungen das
Wereinswesen überhaupt, wenn auch einseitig, dulden und unterstützen,
obgleich es den büreaukratischen Staat unterhöhlt, ist eine anerkennens-
werthe — Milde derselben. Wenn aber Vereine das, was sie inner¬
halb der loyalsten Schranken leisen« können, nicht leisten, wenn sie ihre
Aufgabe engherzig auffassen und die Vereinigung nur als ein Mittel
der Besonderung betrachten, wenn sie die Beziehung zum öffentlichen,
zum Volksleben ausdrücklich verleugnen und ihr letzter Zweck als eine
Standesconservirung erscheint, dann kann ihre Bedeutung bei allem
Aufwande von Mitteln und Phrasen nur eine geringe sein. In wie¬
fern dieser Vorwurf die diesjährige Philologenverfammlung trifft oder
nicht, wird sich aus der kurzen Darstellung derselben, die wir zu ge¬
ben beabsichtigen, von selbst ergeben. Nur dies wollen wir von vorn¬
herein bemerken, daß die Angriffe gegen das Philologenthum, die zu
berühren man nicht umhin konnte, auf eine etwas sehr vornehme Weise
mit einigen philologischen Witzen abgewiesen wurden, und daß es der
Versammlung nicht darauf anzukommen schien, sich über die Stellung
der Philologie in der Gegenwart klar zu werden. In wiefern die
Philologie in einem höhern Sinne des Wortes, nicht in dem gewöhn¬
lichen der Utilität, von praktischer Bedeutung für das Leben, und zwar


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/90>, abgerufen am 26.08.2024.