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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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sehende Stellung einnehme". Wenn die Philologen fühlen, daß das
alte Philologenthum vom Zeitgeist überall zurückgestoßen und bedrängt
wird, so hilft es gewiß nichts, über diesen Zeitgeist zu witzeln und zu
klagen, und wenn die Versammlungen der Philologen keine andere
Bedeutung haben sollen, als daß sich dieselben persönlich, in ihrer äu¬
ßern Eigenthümlichkeit, die allerdings grade bei den Philologen nicht
selten originell genug ist, kennen lernen und sich für den Unglimpf der
Zeit durch eine auf einige Tage hergestellte rein philologische Atmo-
sphäre, die in ihrer Dichtigkeit der Zugluft des Zeitgeistes widersteht
und durch gegenseitige CompliiMmte trösten, so sind sie nicht sowohl
ein Zeichen der Lebenskraft, als der innern Schwäche des Philologen-
thums. Wenn wir nicht irren, wurde in einer der gehaltenen Reden
das Bild des Straußes, der den Kopf versteckt, um sicher zu sein, in
Anwendung gebracht. Möchte es nicht auf die Philologen selbst passen?

Diejenigen Verhandlungen, welche die unmittelbarste praktische
Bedeutung hatten, waren die der pädagogischen Section, die von dem
Lateinischschreiben und Sprechen auf den Gymnasien überhaupt aus¬
gehend, sich auf ein immer engeres Gebiet stellten, in dem es sich zu¬
letzt nur um die freien lateinischen Arbeiten handelte. Diese Verhand¬
lungen, welche die ganze Zeit in Anspruch nahmen und keine andere
Frage auftauchen ließen, waren durch Hrn. Köchly aus Dresden ver¬
anlaßt, der seine sonst veröffentlichten Ansichten über den Gegenstand
in gewählter und formvotter, aber etwas breiter Sprache und Aus¬
sprache vortrug und vertheidigte. Seine Hauptgründe gegen das La¬
teinischschreiben und Sprechen waren, daß das Latein seine praktische
Bedeutung als diplomatische, Salon- und Gelehrtensprache verloren
habe, und daß es für den Unterricht und die Lectüre eine Fessel sei,
welche den Fortschritt und die Wirkung derselben aufhalte. Jeder
Unbefangene wird Hrn. Köchly zugestehen, daß die Zeit und Anstren¬
gung, welche in den Gymnasien auf das Lateinischsprechen und Schrei¬
ben verwendet wird, in gar keinem Verhältniß weder zu den Leistun¬
gen an sich, noch zu dem wirklichen Werth derselben stehen. Hieraus
folgt indessen vorläufig weiter nichts, als daß die Frage zunächst eine
methodische werden muß, da die gänzliche Verdrängung der alten Spra¬
chen aus den Gymnasien noch gar nicht in ernstliche Anregung gekom¬
men ist, so lange aber als sie ein wesentliches Lehrobject bleiben, we¬
nigstens das Schreiben derselben eine Nothwendigkeit ist, um die Schü¬
ler sich wirklich in sie hineindenken und fühlen zu lassen. Hr. Köchly


sehende Stellung einnehme». Wenn die Philologen fühlen, daß das
alte Philologenthum vom Zeitgeist überall zurückgestoßen und bedrängt
wird, so hilft es gewiß nichts, über diesen Zeitgeist zu witzeln und zu
klagen, und wenn die Versammlungen der Philologen keine andere
Bedeutung haben sollen, als daß sich dieselben persönlich, in ihrer äu¬
ßern Eigenthümlichkeit, die allerdings grade bei den Philologen nicht
selten originell genug ist, kennen lernen und sich für den Unglimpf der
Zeit durch eine auf einige Tage hergestellte rein philologische Atmo-
sphäre, die in ihrer Dichtigkeit der Zugluft des Zeitgeistes widersteht
und durch gegenseitige CompliiMmte trösten, so sind sie nicht sowohl
ein Zeichen der Lebenskraft, als der innern Schwäche des Philologen-
thums. Wenn wir nicht irren, wurde in einer der gehaltenen Reden
das Bild des Straußes, der den Kopf versteckt, um sicher zu sein, in
Anwendung gebracht. Möchte es nicht auf die Philologen selbst passen?

Diejenigen Verhandlungen, welche die unmittelbarste praktische
Bedeutung hatten, waren die der pädagogischen Section, die von dem
Lateinischschreiben und Sprechen auf den Gymnasien überhaupt aus¬
gehend, sich auf ein immer engeres Gebiet stellten, in dem es sich zu¬
letzt nur um die freien lateinischen Arbeiten handelte. Diese Verhand¬
lungen, welche die ganze Zeit in Anspruch nahmen und keine andere
Frage auftauchen ließen, waren durch Hrn. Köchly aus Dresden ver¬
anlaßt, der seine sonst veröffentlichten Ansichten über den Gegenstand
in gewählter und formvotter, aber etwas breiter Sprache und Aus¬
sprache vortrug und vertheidigte. Seine Hauptgründe gegen das La¬
teinischschreiben und Sprechen waren, daß das Latein seine praktische
Bedeutung als diplomatische, Salon- und Gelehrtensprache verloren
habe, und daß es für den Unterricht und die Lectüre eine Fessel sei,
welche den Fortschritt und die Wirkung derselben aufhalte. Jeder
Unbefangene wird Hrn. Köchly zugestehen, daß die Zeit und Anstren¬
gung, welche in den Gymnasien auf das Lateinischsprechen und Schrei¬
ben verwendet wird, in gar keinem Verhältniß weder zu den Leistun¬
gen an sich, noch zu dem wirklichen Werth derselben stehen. Hieraus
folgt indessen vorläufig weiter nichts, als daß die Frage zunächst eine
methodische werden muß, da die gänzliche Verdrängung der alten Spra¬
chen aus den Gymnasien noch gar nicht in ernstliche Anregung gekom¬
men ist, so lange aber als sie ein wesentliches Lehrobject bleiben, we¬
nigstens das Schreiben derselben eine Nothwendigkeit ist, um die Schü¬
ler sich wirklich in sie hineindenken und fühlen zu lassen. Hr. Köchly


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/92>, abgerufen am 26.08.2024.