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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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Station, abgehen zu können. Kaum war ich eingetreten, so erklang
auch schon ein Lebehoch und die Schnapsgläser zum Zutrinken glänz¬
ten mir entgegen. Ich that Bescheid und nahm Platz.

Unsere Gaststube war zugleich unser Schlafgemach. Gewöhnlich
sah jede Kaserne anders aus; man adoptirte das nächste beste Gebäude,
welches eine Gemeinde gegen gute Bezahlung losschlagen konnte und
wollte. Wo weniger Mannschaft postirt war, wurden größtenteils
alte Hanfhechelkammern dazu verwendet, denn etwas Anderes können
diese "Keuschen^ wohl nicht vorgestellt haben; wo aber viele Jäger
standen, besonders an Reserveposten, ein paar Stunden von der Grenze,
dort gab es auch herrlichere und bequemere Locale, ja sogar Schlösser
standen uns zu Gebot. Hier aber war es anders; man hatte ein
eigenes Gebäude, das blos aus einem Erdgeschoß bestand, erbaut.
Rechts am Eingang war das Wohnzimmer für den Commandanten,
links für die Oberjäger und Gemeinen. Letzteres war von ungeheurer
Größe, auf allen drei Seiten die Fenster angebracht und längs der¬
selben standen die Betten, ein langer Tisch aber in der Mitte. Die
Höhe des Zimmers betrug wenig mehr als die eines Mannes. Nun
denke man sich den Qualm von Rauchtabak, wenn man zur Winterszeit
hineintrat. Zum Glück hatten wir jetzt Hochsommer, aber dennoch
wogte der Nebel hin und her, daß es fast den Augen wehe that.

Der Tisch war mit Gläsern, Brod, Speck, Schweinschmalz und
Tabaksbeuteln zum Ueberfluß bedeckt. Die Augen der Mehrzahl
glänzten oder glotzten, Guam schnarchte auf dem Bette und Sipperl,
ont^ni das Fräulein, saß auf einem Bette und lächelte, indem er von
Zeit zu Zeit bald den rechten, bald den linken Fuß übereinanderschlug,
oder sich gar in einer Stellung, die man bei uns das Bockspannen
heißt, auf seinem niedlichen Bettchen wiegte. Wir andern lagen auf
kaiserlichem Grund und Boden, d. h. auf einem tüchtigen Strohsack;
er aber hatte ein Federbett ererbt und dieses überall mit sich herum¬
geschleppt, um die zarten Gliedmaßen darauf ausruhen lassen zu kön¬
nen. --

Mich interessirte eine Guitarre, die unter der Zerstörung Jerusa¬
lems da lag. Ich erkundigte mich, wer spiele, und da hieß es, der
Werner. Er wurde alsogleich aufgefordert und ließ es sich nicht zwei
Mal sagen. Aber kaum hatte er die erste Sylbe eines Liedes ausge¬
sprochen, so sielen alle, welche gegenwärtig waren, ein, und zwar mit
einer solchen Gewalt, daß ich fürchtete, die Decke müsse herabstürzen.
Werner verlangte allein zu singen, die Andern wollten ihn durchaus


Station, abgehen zu können. Kaum war ich eingetreten, so erklang
auch schon ein Lebehoch und die Schnapsgläser zum Zutrinken glänz¬
ten mir entgegen. Ich that Bescheid und nahm Platz.

Unsere Gaststube war zugleich unser Schlafgemach. Gewöhnlich
sah jede Kaserne anders aus; man adoptirte das nächste beste Gebäude,
welches eine Gemeinde gegen gute Bezahlung losschlagen konnte und
wollte. Wo weniger Mannschaft postirt war, wurden größtenteils
alte Hanfhechelkammern dazu verwendet, denn etwas Anderes können
diese „Keuschen^ wohl nicht vorgestellt haben; wo aber viele Jäger
standen, besonders an Reserveposten, ein paar Stunden von der Grenze,
dort gab es auch herrlichere und bequemere Locale, ja sogar Schlösser
standen uns zu Gebot. Hier aber war es anders; man hatte ein
eigenes Gebäude, das blos aus einem Erdgeschoß bestand, erbaut.
Rechts am Eingang war das Wohnzimmer für den Commandanten,
links für die Oberjäger und Gemeinen. Letzteres war von ungeheurer
Größe, auf allen drei Seiten die Fenster angebracht und längs der¬
selben standen die Betten, ein langer Tisch aber in der Mitte. Die
Höhe des Zimmers betrug wenig mehr als die eines Mannes. Nun
denke man sich den Qualm von Rauchtabak, wenn man zur Winterszeit
hineintrat. Zum Glück hatten wir jetzt Hochsommer, aber dennoch
wogte der Nebel hin und her, daß es fast den Augen wehe that.

Der Tisch war mit Gläsern, Brod, Speck, Schweinschmalz und
Tabaksbeuteln zum Ueberfluß bedeckt. Die Augen der Mehrzahl
glänzten oder glotzten, Guam schnarchte auf dem Bette und Sipperl,
ont^ni das Fräulein, saß auf einem Bette und lächelte, indem er von
Zeit zu Zeit bald den rechten, bald den linken Fuß übereinanderschlug,
oder sich gar in einer Stellung, die man bei uns das Bockspannen
heißt, auf seinem niedlichen Bettchen wiegte. Wir andern lagen auf
kaiserlichem Grund und Boden, d. h. auf einem tüchtigen Strohsack;
er aber hatte ein Federbett ererbt und dieses überall mit sich herum¬
geschleppt, um die zarten Gliedmaßen darauf ausruhen lassen zu kön¬
nen. —

Mich interessirte eine Guitarre, die unter der Zerstörung Jerusa¬
lems da lag. Ich erkundigte mich, wer spiele, und da hieß es, der
Werner. Er wurde alsogleich aufgefordert und ließ es sich nicht zwei
Mal sagen. Aber kaum hatte er die erste Sylbe eines Liedes ausge¬
sprochen, so sielen alle, welche gegenwärtig waren, ein, und zwar mit
einer solchen Gewalt, daß ich fürchtete, die Decke müsse herabstürzen.
Werner verlangte allein zu singen, die Andern wollten ihn durchaus


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[0060] Station, abgehen zu können. Kaum war ich eingetreten, so erklang auch schon ein Lebehoch und die Schnapsgläser zum Zutrinken glänz¬ ten mir entgegen. Ich that Bescheid und nahm Platz. Unsere Gaststube war zugleich unser Schlafgemach. Gewöhnlich sah jede Kaserne anders aus; man adoptirte das nächste beste Gebäude, welches eine Gemeinde gegen gute Bezahlung losschlagen konnte und wollte. Wo weniger Mannschaft postirt war, wurden größtenteils alte Hanfhechelkammern dazu verwendet, denn etwas Anderes können diese „Keuschen^ wohl nicht vorgestellt haben; wo aber viele Jäger standen, besonders an Reserveposten, ein paar Stunden von der Grenze, dort gab es auch herrlichere und bequemere Locale, ja sogar Schlösser standen uns zu Gebot. Hier aber war es anders; man hatte ein eigenes Gebäude, das blos aus einem Erdgeschoß bestand, erbaut. Rechts am Eingang war das Wohnzimmer für den Commandanten, links für die Oberjäger und Gemeinen. Letzteres war von ungeheurer Größe, auf allen drei Seiten die Fenster angebracht und längs der¬ selben standen die Betten, ein langer Tisch aber in der Mitte. Die Höhe des Zimmers betrug wenig mehr als die eines Mannes. Nun denke man sich den Qualm von Rauchtabak, wenn man zur Winterszeit hineintrat. Zum Glück hatten wir jetzt Hochsommer, aber dennoch wogte der Nebel hin und her, daß es fast den Augen wehe that. Der Tisch war mit Gläsern, Brod, Speck, Schweinschmalz und Tabaksbeuteln zum Ueberfluß bedeckt. Die Augen der Mehrzahl glänzten oder glotzten, Guam schnarchte auf dem Bette und Sipperl, ont^ni das Fräulein, saß auf einem Bette und lächelte, indem er von Zeit zu Zeit bald den rechten, bald den linken Fuß übereinanderschlug, oder sich gar in einer Stellung, die man bei uns das Bockspannen heißt, auf seinem niedlichen Bettchen wiegte. Wir andern lagen auf kaiserlichem Grund und Boden, d. h. auf einem tüchtigen Strohsack; er aber hatte ein Federbett ererbt und dieses überall mit sich herum¬ geschleppt, um die zarten Gliedmaßen darauf ausruhen lassen zu kön¬ nen. — Mich interessirte eine Guitarre, die unter der Zerstörung Jerusa¬ lems da lag. Ich erkundigte mich, wer spiele, und da hieß es, der Werner. Er wurde alsogleich aufgefordert und ließ es sich nicht zwei Mal sagen. Aber kaum hatte er die erste Sylbe eines Liedes ausge¬ sprochen, so sielen alle, welche gegenwärtig waren, ein, und zwar mit einer solchen Gewalt, daß ich fürchtete, die Decke müsse herabstürzen. Werner verlangte allein zu singen, die Andern wollten ihn durchaus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/60>, abgerufen am 23.07.2024.