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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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Aber Guam gab wenig Zeichen von Leben und Vernunft. Aus
dem kugelrunden, aufgedunsenen Gesicht, das ein kohlrabenschwarzer
dichter Schnurbart auszeichnete, stierte gläsern das Auge den Com¬
mandanten an; Hände und Füße ließ er sinken und die Lippen mach¬
ten einige Male eine Bewegung, als wollte er, wie Einer, der vom
Schlage getroffen worden, Worte stammeln.

Der Commandant erkundigte sich, nachdem er die werthe Persön¬
lichkeit des Ankömmlings sattsam betrachtet hatte, wer er sei, wohin
er postirt werde und anderes mehr. Jenner gab Auskunft, schrie den
Betrunkenen noch ein Mal mit den Worten an: "He, Kreuzkopf, "wo
hast du deine Empfehlungsschreiben?" aber Niemand erhielt Antwort.
Von seinen Kameraden unterstützt schwebte er noch immer, wie der
hölzerne Hanswurst einer Marionettenbude, in der alten Stellung,
gleichsam über der Erde. Jenner öffnete nun Guam'ö Brusttasche,
zog das Portefeuille heraus und aus diesem das fragliche Schreiben.
Der liebe Junge wurde erpedirt, um sich auszuschlafen, und Hader
eröffnete den wohlversiegelten Brief des Herrn Obertommissärs, dessen
Inhalt kurz, aber desto gehaltvoller war. Der Ueberbringer sei aus
gutem Hause, hieß es darin, besitze nicht unansehnliches Vermögen und
viele Bildung, sei Pharmaceut, aber dem Trunke äußerst ergeben. Er
stehe unter strengster Aufsicht und müsse gebessert oder ausgestoßen
werden.

Camill, der an dem Spiele sich übersatt gesehen hatte und dessen
Ruhezeit schon abgelaufen war, trat mit Czernek wieder den Rückweg
um. Ich begleitete ihn, überließ die Gesellschaft sich selbst und war
froh, den Rücken gewendet zu haben. Wäre Guam ein Barbar, wie
Viele bei der Grenzwache, ich würde gleichgiltiger geblieben sein; so
aber ging es mir und jedem Edelgesinnten tief zu Herzen.

Wir hatten grade den Hügel erstiegen, wo ich von Camill schei¬
den mußte, und bald war dieser im dunkeln Walde verschwunden. --
ES war schon Nacht, wenige Sterne ließen sich blicken, der Himmel
war heiter, hell die Abendseite. -- Da rauschte plötzlich das Lied:
"Lützow's wilde Jagd" aus der Kaserne. Ein Grenzjäger hatte den
Tert für unser Corps umgemodelt oder vielmehr travestirt. Ich sprang
die Anhöhe hinunter und im Nu war ich bei der lustigen Gesellschaft.
Da ging es ganz fidel zu und auf dem Fuße der Ehre, was diese
Halbwilden darunter verstehen. Ich mischte mich also unter die lusti¬
gen Käuze und fand, daß die ganze Reisegesellschaft Guam's sich hier
einquartiert hatte, um morgen von da, ein Jeder nach seiner neuen


8*

Aber Guam gab wenig Zeichen von Leben und Vernunft. Aus
dem kugelrunden, aufgedunsenen Gesicht, das ein kohlrabenschwarzer
dichter Schnurbart auszeichnete, stierte gläsern das Auge den Com¬
mandanten an; Hände und Füße ließ er sinken und die Lippen mach¬
ten einige Male eine Bewegung, als wollte er, wie Einer, der vom
Schlage getroffen worden, Worte stammeln.

Der Commandant erkundigte sich, nachdem er die werthe Persön¬
lichkeit des Ankömmlings sattsam betrachtet hatte, wer er sei, wohin
er postirt werde und anderes mehr. Jenner gab Auskunft, schrie den
Betrunkenen noch ein Mal mit den Worten an: „He, Kreuzkopf, „wo
hast du deine Empfehlungsschreiben?" aber Niemand erhielt Antwort.
Von seinen Kameraden unterstützt schwebte er noch immer, wie der
hölzerne Hanswurst einer Marionettenbude, in der alten Stellung,
gleichsam über der Erde. Jenner öffnete nun Guam'ö Brusttasche,
zog das Portefeuille heraus und aus diesem das fragliche Schreiben.
Der liebe Junge wurde erpedirt, um sich auszuschlafen, und Hader
eröffnete den wohlversiegelten Brief des Herrn Obertommissärs, dessen
Inhalt kurz, aber desto gehaltvoller war. Der Ueberbringer sei aus
gutem Hause, hieß es darin, besitze nicht unansehnliches Vermögen und
viele Bildung, sei Pharmaceut, aber dem Trunke äußerst ergeben. Er
stehe unter strengster Aufsicht und müsse gebessert oder ausgestoßen
werden.

Camill, der an dem Spiele sich übersatt gesehen hatte und dessen
Ruhezeit schon abgelaufen war, trat mit Czernek wieder den Rückweg
um. Ich begleitete ihn, überließ die Gesellschaft sich selbst und war
froh, den Rücken gewendet zu haben. Wäre Guam ein Barbar, wie
Viele bei der Grenzwache, ich würde gleichgiltiger geblieben sein; so
aber ging es mir und jedem Edelgesinnten tief zu Herzen.

Wir hatten grade den Hügel erstiegen, wo ich von Camill schei¬
den mußte, und bald war dieser im dunkeln Walde verschwunden. —
ES war schon Nacht, wenige Sterne ließen sich blicken, der Himmel
war heiter, hell die Abendseite. — Da rauschte plötzlich das Lied:
„Lützow's wilde Jagd" aus der Kaserne. Ein Grenzjäger hatte den
Tert für unser Corps umgemodelt oder vielmehr travestirt. Ich sprang
die Anhöhe hinunter und im Nu war ich bei der lustigen Gesellschaft.
Da ging es ganz fidel zu und auf dem Fuße der Ehre, was diese
Halbwilden darunter verstehen. Ich mischte mich also unter die lusti¬
gen Käuze und fand, daß die ganze Reisegesellschaft Guam's sich hier
einquartiert hatte, um morgen von da, ein Jeder nach seiner neuen


8*
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[0059] Aber Guam gab wenig Zeichen von Leben und Vernunft. Aus dem kugelrunden, aufgedunsenen Gesicht, das ein kohlrabenschwarzer dichter Schnurbart auszeichnete, stierte gläsern das Auge den Com¬ mandanten an; Hände und Füße ließ er sinken und die Lippen mach¬ ten einige Male eine Bewegung, als wollte er, wie Einer, der vom Schlage getroffen worden, Worte stammeln. Der Commandant erkundigte sich, nachdem er die werthe Persön¬ lichkeit des Ankömmlings sattsam betrachtet hatte, wer er sei, wohin er postirt werde und anderes mehr. Jenner gab Auskunft, schrie den Betrunkenen noch ein Mal mit den Worten an: „He, Kreuzkopf, „wo hast du deine Empfehlungsschreiben?" aber Niemand erhielt Antwort. Von seinen Kameraden unterstützt schwebte er noch immer, wie der hölzerne Hanswurst einer Marionettenbude, in der alten Stellung, gleichsam über der Erde. Jenner öffnete nun Guam'ö Brusttasche, zog das Portefeuille heraus und aus diesem das fragliche Schreiben. Der liebe Junge wurde erpedirt, um sich auszuschlafen, und Hader eröffnete den wohlversiegelten Brief des Herrn Obertommissärs, dessen Inhalt kurz, aber desto gehaltvoller war. Der Ueberbringer sei aus gutem Hause, hieß es darin, besitze nicht unansehnliches Vermögen und viele Bildung, sei Pharmaceut, aber dem Trunke äußerst ergeben. Er stehe unter strengster Aufsicht und müsse gebessert oder ausgestoßen werden. Camill, der an dem Spiele sich übersatt gesehen hatte und dessen Ruhezeit schon abgelaufen war, trat mit Czernek wieder den Rückweg um. Ich begleitete ihn, überließ die Gesellschaft sich selbst und war froh, den Rücken gewendet zu haben. Wäre Guam ein Barbar, wie Viele bei der Grenzwache, ich würde gleichgiltiger geblieben sein; so aber ging es mir und jedem Edelgesinnten tief zu Herzen. Wir hatten grade den Hügel erstiegen, wo ich von Camill schei¬ den mußte, und bald war dieser im dunkeln Walde verschwunden. — ES war schon Nacht, wenige Sterne ließen sich blicken, der Himmel war heiter, hell die Abendseite. — Da rauschte plötzlich das Lied: „Lützow's wilde Jagd" aus der Kaserne. Ein Grenzjäger hatte den Tert für unser Corps umgemodelt oder vielmehr travestirt. Ich sprang die Anhöhe hinunter und im Nu war ich bei der lustigen Gesellschaft. Da ging es ganz fidel zu und auf dem Fuße der Ehre, was diese Halbwilden darunter verstehen. Ich mischte mich also unter die lusti¬ gen Käuze und fand, daß die ganze Reisegesellschaft Guam's sich hier einquartiert hatte, um morgen von da, ein Jeder nach seiner neuen 8*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/59>, abgerufen am 23.07.2024.