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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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des heiligen Alfons von Liguori, wie ich eS einmal sah, ließ er, den
Rücken, wie eine Katze auf der Lauer, emporgehoben, ziemlich falsche
Blicke, so schien es mir, rechts und links sehr schlau herumspielen.
Er brauchte nur einen Moment, und hatte Alles übersehen. Dann
schloß er gewöhnlich die Augen, runzelte die Stirn und spähte von
Neuem. Dieser Mann hatte schon seit Jahren, als Halbinvalide eines
Regiments, an der Grenze beim Aufseherpersonale, als ein militairi-
scher Gehülfe gedient, war bei Errichtung des Corps zur Grenzwache
übergetreten und galt für einen im Dienste allenthalben verschmitzten
und verschlagenen Kopf. Ich und überhaupt Niemand, der ihn zum
ersten Male sah, konnte ihn liebgewinnen.

Nachdem der junge schöne Mann, er hieß Camill, Rapport abge¬
legt und seine Papiere überreicht hatte, machten sich'S Beide, Jeder
auf seine Weise, bequem. Camill entledigte sich der Waffen und sandte
nach einem guten Glas Wein und Schinken in das nächste Gasthaus
des Dorfes.

Czernek, so hieß der Andere, setzte sich in seinem ganzen Schmuck,
das Gewehr beim Fuß, an den Eingang der Kaserne, trocknete den
Schweiß vom Angesicht, blickte rings um sich und lächelte, ich kann
nicht sagen in den Bart, denn er hatte keinen, aber er lächelte denn
doch auf ähnliche Weise. Lange schwieg er; endlich löste sich die
Zunge, und er sprach mit rascher Stimme, aber sich fortwährend durch
längere Pausen unterbrechend: "Da geht es ja ganz wohlgemut!) zu!
^- Immer Geld und Schnaps vollauf! -- Unsereinem trägt's der
Beutel nicht! -- Angenehm ist's auf dem Rasen zu liegen!"--
Dann schwieg er gänzlich, zog endlich ein kleines Säckchen von Lin¬
nen, in dem ein paar Zwanziger und einige Scheidemünzen lagen, her¬
vor, suchte nach langer Auswahl ein Groschenstück heraus, legte es
vor sich hin, schob das fest zugebundene Säckchen wieder ein, stand
auf, holte sich Wasser, nahm ein Stück altgebackeneö Schwarzbrod aus
der Tasche und schickte sich an, es mit Muße zu verzehren. So saß
er einige Zeit, beobachtete sämmtliche Gesellschaft, rief der Frau und
ließ sich ein Gläschen geben, mit der Bemerkung: "Geht das Wirths¬
geschäfte gut?" Drauf verkostete er das Getränk und sagte: "Ich
habe zu Haus 'nen bessern." "Du bist der ewige alte Brummbär",
erwiderte Frau Hader. "Thut Noth", war seine Antwort.

Der Commandant hatte sich unterdessen in sein Bureau, das auch
zugleich Wohn-, Gesellschaft- und Schlafstube war, zurückgezogen,
um einige amtliche Schreibereien abzuthun; Camill aber sich mit mir


des heiligen Alfons von Liguori, wie ich eS einmal sah, ließ er, den
Rücken, wie eine Katze auf der Lauer, emporgehoben, ziemlich falsche
Blicke, so schien es mir, rechts und links sehr schlau herumspielen.
Er brauchte nur einen Moment, und hatte Alles übersehen. Dann
schloß er gewöhnlich die Augen, runzelte die Stirn und spähte von
Neuem. Dieser Mann hatte schon seit Jahren, als Halbinvalide eines
Regiments, an der Grenze beim Aufseherpersonale, als ein militairi-
scher Gehülfe gedient, war bei Errichtung des Corps zur Grenzwache
übergetreten und galt für einen im Dienste allenthalben verschmitzten
und verschlagenen Kopf. Ich und überhaupt Niemand, der ihn zum
ersten Male sah, konnte ihn liebgewinnen.

Nachdem der junge schöne Mann, er hieß Camill, Rapport abge¬
legt und seine Papiere überreicht hatte, machten sich'S Beide, Jeder
auf seine Weise, bequem. Camill entledigte sich der Waffen und sandte
nach einem guten Glas Wein und Schinken in das nächste Gasthaus
des Dorfes.

Czernek, so hieß der Andere, setzte sich in seinem ganzen Schmuck,
das Gewehr beim Fuß, an den Eingang der Kaserne, trocknete den
Schweiß vom Angesicht, blickte rings um sich und lächelte, ich kann
nicht sagen in den Bart, denn er hatte keinen, aber er lächelte denn
doch auf ähnliche Weise. Lange schwieg er; endlich löste sich die
Zunge, und er sprach mit rascher Stimme, aber sich fortwährend durch
längere Pausen unterbrechend: „Da geht es ja ganz wohlgemut!) zu!
^- Immer Geld und Schnaps vollauf! — Unsereinem trägt's der
Beutel nicht! — Angenehm ist's auf dem Rasen zu liegen!"--
Dann schwieg er gänzlich, zog endlich ein kleines Säckchen von Lin¬
nen, in dem ein paar Zwanziger und einige Scheidemünzen lagen, her¬
vor, suchte nach langer Auswahl ein Groschenstück heraus, legte es
vor sich hin, schob das fest zugebundene Säckchen wieder ein, stand
auf, holte sich Wasser, nahm ein Stück altgebackeneö Schwarzbrod aus
der Tasche und schickte sich an, es mit Muße zu verzehren. So saß
er einige Zeit, beobachtete sämmtliche Gesellschaft, rief der Frau und
ließ sich ein Gläschen geben, mit der Bemerkung: „Geht das Wirths¬
geschäfte gut?" Drauf verkostete er das Getränk und sagte: „Ich
habe zu Haus 'nen bessern." „Du bist der ewige alte Brummbär",
erwiderte Frau Hader. „Thut Noth", war seine Antwort.

Der Commandant hatte sich unterdessen in sein Bureau, das auch
zugleich Wohn-, Gesellschaft- und Schlafstube war, zurückgezogen,
um einige amtliche Schreibereien abzuthun; Camill aber sich mit mir


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/55>, abgerufen am 03.07.2024.