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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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tadelt, und tadeln, wo jener entschuldigt oder gar lobt. Warum aber
Krieg geführt wird, das wissen die Wenigsten; ihr Wunsch ist nur
Krieg und abermals Krieg, und selbst in den ältesten Tagen, mag es
ihnen auch nicht gar unangenehm ergehen, erhält sich in ihnen ein
ewiges Sehnen nach der Blüthezeit der Jugend und Mannheit, wo
sie die Freuden deö gefährlichen Lebens in vollen Zügen genossen hatten.

Ein solcher Mann war Hader. Er konnte sein Regiment und
sein Leben daselbst nie vergessen; Kürassier-Wachtmeister war er gewe-
sen, hatte die deutschen Freiheitskriege mitgemacht und wurde später
Tabakaufseher, weil er in der unbehaglichen Zeit des Friedens wenig
Aussicht auf Beförderung, in dieser neuen Sphäre aber durch die Gunst
eines nahen Verwandten für sich und seine Familie mehr Hoffnungen
emporzukommen hatte. Zum Theil wurde er nicht getäuscht; er beklei¬
det jetzt mit Ansehn und allgemein geachtet ein höheres Amt.

Hader wareinc große rüstigeFigur; in seiner ersten Jugend schon Sol¬
dat, hatte er die verschiedensten Heereszüge mitgemacht; überall hin ward er
von seiner Gattin begleitet. Sie lebte als Marketenderin im Heere, ritt
ihr Roß wie ein Husar, und so sehr sie schon das Alter überfiel, glich
ihr doch nicht sobald eine Zweite an Lebendigkeit, Arbeitslust und fri¬
schem Lebenssinn.

So beschäftigten wir uns, ein Jeder auf seine Weise. Hader's
Töchterchen saß zu den Füßen des Waters, reinigte und bereitete
Waldschwämme, aus denen die Mutter für die Mannschaft eine köst¬
liche Abendsuppe zu kochen Willens war. Die liebe Kleine blickte alle
Augenblicke mit ihren Taubenäuglein bald zum Vater, bald zu mir
hinauf und fragte um den Namen jedes dieser Gewächse; denn aller-
lei Arten, wie sie Janko auf der Patrouille unter die Hände gekom¬
men waren, lagen übereinander geschichtet. Nelli, so hieß die Kleine,
war. schmächtig, wie ihre Mutter. Ihr Gesichtchen glich dem eines
Engels, wenn Engel Sommersprossen hätten. Ich hatte das zehnjährige
Mädchen außerordentlich lieb, denn es schmiegte sich und schmeichelte wie
ein Kätzchen.

Plötzlich rief Nelli - "Vater, wer ist das?" Wir drehren uns
und sahen eine fremde Patrouille, die auf uns zu kam. Ein schöner
junger Mann, mit römischer Imperatoren-Miene, ging raschen Schrit¬
tes der Kaserne zu und zwar mit einem Anstand, wie man ihn beim
beschwerlichen Grenzwachleben, wenn es Einer erst länger mitgemacht,
selten findet. Hinter ihm hinkte ein älterer Mann, etwas gemächlich,
aber auch Schritt haltend, an einem Haselstocke, ähnlich einem Bilde


tadelt, und tadeln, wo jener entschuldigt oder gar lobt. Warum aber
Krieg geführt wird, das wissen die Wenigsten; ihr Wunsch ist nur
Krieg und abermals Krieg, und selbst in den ältesten Tagen, mag es
ihnen auch nicht gar unangenehm ergehen, erhält sich in ihnen ein
ewiges Sehnen nach der Blüthezeit der Jugend und Mannheit, wo
sie die Freuden deö gefährlichen Lebens in vollen Zügen genossen hatten.

Ein solcher Mann war Hader. Er konnte sein Regiment und
sein Leben daselbst nie vergessen; Kürassier-Wachtmeister war er gewe-
sen, hatte die deutschen Freiheitskriege mitgemacht und wurde später
Tabakaufseher, weil er in der unbehaglichen Zeit des Friedens wenig
Aussicht auf Beförderung, in dieser neuen Sphäre aber durch die Gunst
eines nahen Verwandten für sich und seine Familie mehr Hoffnungen
emporzukommen hatte. Zum Theil wurde er nicht getäuscht; er beklei¬
det jetzt mit Ansehn und allgemein geachtet ein höheres Amt.

Hader wareinc große rüstigeFigur; in seiner ersten Jugend schon Sol¬
dat, hatte er die verschiedensten Heereszüge mitgemacht; überall hin ward er
von seiner Gattin begleitet. Sie lebte als Marketenderin im Heere, ritt
ihr Roß wie ein Husar, und so sehr sie schon das Alter überfiel, glich
ihr doch nicht sobald eine Zweite an Lebendigkeit, Arbeitslust und fri¬
schem Lebenssinn.

So beschäftigten wir uns, ein Jeder auf seine Weise. Hader's
Töchterchen saß zu den Füßen des Waters, reinigte und bereitete
Waldschwämme, aus denen die Mutter für die Mannschaft eine köst¬
liche Abendsuppe zu kochen Willens war. Die liebe Kleine blickte alle
Augenblicke mit ihren Taubenäuglein bald zum Vater, bald zu mir
hinauf und fragte um den Namen jedes dieser Gewächse; denn aller-
lei Arten, wie sie Janko auf der Patrouille unter die Hände gekom¬
men waren, lagen übereinander geschichtet. Nelli, so hieß die Kleine,
war. schmächtig, wie ihre Mutter. Ihr Gesichtchen glich dem eines
Engels, wenn Engel Sommersprossen hätten. Ich hatte das zehnjährige
Mädchen außerordentlich lieb, denn es schmiegte sich und schmeichelte wie
ein Kätzchen.

Plötzlich rief Nelli - „Vater, wer ist das?" Wir drehren uns
und sahen eine fremde Patrouille, die auf uns zu kam. Ein schöner
junger Mann, mit römischer Imperatoren-Miene, ging raschen Schrit¬
tes der Kaserne zu und zwar mit einem Anstand, wie man ihn beim
beschwerlichen Grenzwachleben, wenn es Einer erst länger mitgemacht,
selten findet. Hinter ihm hinkte ein älterer Mann, etwas gemächlich,
aber auch Schritt haltend, an einem Haselstocke, ähnlich einem Bilde


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[0054] tadelt, und tadeln, wo jener entschuldigt oder gar lobt. Warum aber Krieg geführt wird, das wissen die Wenigsten; ihr Wunsch ist nur Krieg und abermals Krieg, und selbst in den ältesten Tagen, mag es ihnen auch nicht gar unangenehm ergehen, erhält sich in ihnen ein ewiges Sehnen nach der Blüthezeit der Jugend und Mannheit, wo sie die Freuden deö gefährlichen Lebens in vollen Zügen genossen hatten. Ein solcher Mann war Hader. Er konnte sein Regiment und sein Leben daselbst nie vergessen; Kürassier-Wachtmeister war er gewe- sen, hatte die deutschen Freiheitskriege mitgemacht und wurde später Tabakaufseher, weil er in der unbehaglichen Zeit des Friedens wenig Aussicht auf Beförderung, in dieser neuen Sphäre aber durch die Gunst eines nahen Verwandten für sich und seine Familie mehr Hoffnungen emporzukommen hatte. Zum Theil wurde er nicht getäuscht; er beklei¬ det jetzt mit Ansehn und allgemein geachtet ein höheres Amt. Hader wareinc große rüstigeFigur; in seiner ersten Jugend schon Sol¬ dat, hatte er die verschiedensten Heereszüge mitgemacht; überall hin ward er von seiner Gattin begleitet. Sie lebte als Marketenderin im Heere, ritt ihr Roß wie ein Husar, und so sehr sie schon das Alter überfiel, glich ihr doch nicht sobald eine Zweite an Lebendigkeit, Arbeitslust und fri¬ schem Lebenssinn. So beschäftigten wir uns, ein Jeder auf seine Weise. Hader's Töchterchen saß zu den Füßen des Waters, reinigte und bereitete Waldschwämme, aus denen die Mutter für die Mannschaft eine köst¬ liche Abendsuppe zu kochen Willens war. Die liebe Kleine blickte alle Augenblicke mit ihren Taubenäuglein bald zum Vater, bald zu mir hinauf und fragte um den Namen jedes dieser Gewächse; denn aller- lei Arten, wie sie Janko auf der Patrouille unter die Hände gekom¬ men waren, lagen übereinander geschichtet. Nelli, so hieß die Kleine, war. schmächtig, wie ihre Mutter. Ihr Gesichtchen glich dem eines Engels, wenn Engel Sommersprossen hätten. Ich hatte das zehnjährige Mädchen außerordentlich lieb, denn es schmiegte sich und schmeichelte wie ein Kätzchen. Plötzlich rief Nelli - „Vater, wer ist das?" Wir drehren uns und sahen eine fremde Patrouille, die auf uns zu kam. Ein schöner junger Mann, mit römischer Imperatoren-Miene, ging raschen Schrit¬ tes der Kaserne zu und zwar mit einem Anstand, wie man ihn beim beschwerlichen Grenzwachleben, wenn es Einer erst länger mitgemacht, selten findet. Hinter ihm hinkte ein älterer Mann, etwas gemächlich, aber auch Schritt haltend, an einem Haselstocke, ähnlich einem Bilde

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/54>, abgerufen am 01.07.2024.