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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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in lateinischer Sprache zu unterhalten begonnen, denn er hatte erfah¬
ren, daß ich Studio gewesen. Nach kurzen Complimenten kamen wir
alsbald auf die Literatur. Mir war dergleichen Unterhaltung sehr
unlieb; denn da mir früher stets die Gelegenheit zu mündlichen Sprach¬
übungen im Latein gemangelt hatte, ging ich znerst nur zaghaft an
das Werk, während es ihm, wie ich gleich bemerkt hatte, ein Leichtes
war; doch bald war auch bei mir die Scheu überwunden. Geraume
Zeit spann sich das Gespräch fort und größtentheils fiel mir nur die
Rolle des Zuhörers zu, was mich vollends aus aller Verlegenheit
riß. Camill war ein leidenschaftlicher Verehrer des Demosthenes und
seiner Kunstgenossen aus Hellas, weniger achtete er die Lateiner, ob¬
wohl er den Cicero beinahe auch als tägliches Gebetbuch benutzte;
indessen war er ihm nichts mehr, als Gebetbuch, die Griechen aber
seine Bibel. Das Gespräch drehte sich, wie natürlich, um diese seine
Lieblingslectüre. Mich dauerte der Mann. Mit einer hohen Idee
von ,der eigenen Persönlichkeit, hatte er zur Grenzwache geschworen,
und sich in dem Wahn gewiegt, als müßte er in wenigen Monaten
Commissär werden. Darin täuschte er sich sehr. Er brachte es leider
nie weiter, als zu einem Oberjäger, welches glückliche Loos auch
ein Schusterlehrjunge mit nicht großer Beschwerde, wenn er nur einige
Fähigkeiten und unverdrossenen Diensteifer zeigt, gar bald erringen
kann, und nicht selten schon, ja noch mehr, errungen hat. Gelehrte
und Gebildete besitzen die dazu erforderlichen Eigenschaften entweder
nur im geringen Grade, oder, was meistens der Fall ist, gar nicht.
Camill würde ein tüchtiger Professor an einer höhern Lehranstalt ge¬
worden sein. Ich erinnerte ihn daran. "Ach Gott!" gab er zur Ant¬
wort, "es sind keine Aussichten; da muß mau Empfehlungen von Hö¬
hen Herrn haben und den Damen in Wien die niedlichen Hände zu
küssen verstehen. Das kann ich nicht, und lerne es nie. Hier sagt
es mir zu."

Die Unterhaltung wendete sich und wir kamen auf die Poesie.
Darin war ich bewanderter als er, selbst was die Alten betraf. Es
kam bald zum Declamiren. Da erschien Hader, und weil er nicht
Latein verstand, so wurde ich von ihm aufgefordert, aus der Urania
eine Stelle zum Besten zu geben. Das geschah. Ich holte das Buch,
nahm noch ein Glas Wein zu mir, wählte ein glückliches Thema,
sammelte indes und begann mit einer Begeisterung, wie sie nur der
Jugend eigen ist, bei der das erste Denken noch mehr Poesie ist.
Längst ist diese Periode der Entwicklung vorübergegangen und die vie-


in lateinischer Sprache zu unterhalten begonnen, denn er hatte erfah¬
ren, daß ich Studio gewesen. Nach kurzen Complimenten kamen wir
alsbald auf die Literatur. Mir war dergleichen Unterhaltung sehr
unlieb; denn da mir früher stets die Gelegenheit zu mündlichen Sprach¬
übungen im Latein gemangelt hatte, ging ich znerst nur zaghaft an
das Werk, während es ihm, wie ich gleich bemerkt hatte, ein Leichtes
war; doch bald war auch bei mir die Scheu überwunden. Geraume
Zeit spann sich das Gespräch fort und größtentheils fiel mir nur die
Rolle des Zuhörers zu, was mich vollends aus aller Verlegenheit
riß. Camill war ein leidenschaftlicher Verehrer des Demosthenes und
seiner Kunstgenossen aus Hellas, weniger achtete er die Lateiner, ob¬
wohl er den Cicero beinahe auch als tägliches Gebetbuch benutzte;
indessen war er ihm nichts mehr, als Gebetbuch, die Griechen aber
seine Bibel. Das Gespräch drehte sich, wie natürlich, um diese seine
Lieblingslectüre. Mich dauerte der Mann. Mit einer hohen Idee
von ,der eigenen Persönlichkeit, hatte er zur Grenzwache geschworen,
und sich in dem Wahn gewiegt, als müßte er in wenigen Monaten
Commissär werden. Darin täuschte er sich sehr. Er brachte es leider
nie weiter, als zu einem Oberjäger, welches glückliche Loos auch
ein Schusterlehrjunge mit nicht großer Beschwerde, wenn er nur einige
Fähigkeiten und unverdrossenen Diensteifer zeigt, gar bald erringen
kann, und nicht selten schon, ja noch mehr, errungen hat. Gelehrte
und Gebildete besitzen die dazu erforderlichen Eigenschaften entweder
nur im geringen Grade, oder, was meistens der Fall ist, gar nicht.
Camill würde ein tüchtiger Professor an einer höhern Lehranstalt ge¬
worden sein. Ich erinnerte ihn daran. „Ach Gott!" gab er zur Ant¬
wort, „es sind keine Aussichten; da muß mau Empfehlungen von Hö¬
hen Herrn haben und den Damen in Wien die niedlichen Hände zu
küssen verstehen. Das kann ich nicht, und lerne es nie. Hier sagt
es mir zu."

Die Unterhaltung wendete sich und wir kamen auf die Poesie.
Darin war ich bewanderter als er, selbst was die Alten betraf. Es
kam bald zum Declamiren. Da erschien Hader, und weil er nicht
Latein verstand, so wurde ich von ihm aufgefordert, aus der Urania
eine Stelle zum Besten zu geben. Das geschah. Ich holte das Buch,
nahm noch ein Glas Wein zu mir, wählte ein glückliches Thema,
sammelte indes und begann mit einer Begeisterung, wie sie nur der
Jugend eigen ist, bei der das erste Denken noch mehr Poesie ist.
Längst ist diese Periode der Entwicklung vorübergegangen und die vie-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/56>, abgerufen am 03.07.2024.