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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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junges, schönes Mutterkalb entgegen gesprungen kommt. "O wollte
ich," brummte er dann, "wäre ich die Flasche Schnaps, könnte trin¬
ken immer viel und satt."

Ihm gegenüber beschäftigte sich Hans Ehrlich, ein Tischler seines
Handwerks, mit dein Zusammenflicken eines alten Schreines für die
Frau Oberjägerin. Auch dieser freute sich im Voraus auf ihre freund¬
schaftliche Erkenntlichkeit, welche in Schnaps und Brod, mit Schweine¬
fett beschmiert und je nach Verdienst, aus größern oder geringern Por¬
tionen bestand. Hans ist mir einer der liebsten Jäger; er ist von mitt¬
lern!, untersetztem, starkknochigen Wuchs. Sein kleines Auge blickte
ehrlich und treuherzig aus dem Vollmondsgesichte. Zimmerte er, sang er ein
Liedchen, um sich zur Arbeit aufzumuntern ; Stimme und Vortrag wa¬
ren nicht die schönsten, desto hübscher aber der Inhalt. Er spiegelte
des Mannes Herz und Seele ab; übrigens bestand das Lied nur aus
Knittelversen, doch aus guter, alter deutscher Zeit und mit Zunftgeist
verfaßt.

Eine andere Gruppe bildete der Commandant mit dem jungen
Tvroler, unter diesem Namen war ich allenthalben bekannt; wir saßen
auf einer hölzernen Bank, lehnten uns an die Mauer der Kaserne und
hatten das kleine Tischchen vor uns. Wie die Mehrzahl, schmauchten
auch wir, das war unsere größte Leidenschaft; Tag und Nacht wurde
diese Unterhaltung fortgesetzt und mit der großen, hölzernen, tüchtig
mit Messing beschlagenen Pfeife schliefen wir selbst ein. Gefahr war
nicht zu fürchten, denn diese Dampfkessel waren wohlverschlossen, und
weil mit etwas la'ngern Röhren versehe,,, die über das Bett hinaus-
reichten, sielen sie gewöhnlich, sobald wir eingeschlafen waren, auf den
Boden hinab. Unsere mit köstlichem Militairtabak vollgepfropften un¬
garischen Bocksbeutel lagen auf dem Tisch, sammt einigen Dienstschrif¬
ten, die wir eben durchgegangen, aber bei Seite gelegt hatten, weil
wir im Verlaufe des Gesprächs auf die Kriegsbegebenheiten aus den
letzten Zeiten des französischen Kaiserreichs zu reden gekommen waren.
Dergleichen Unterhaltungen gingen mir über Alles. Leider hatte ich
nicht Muße, die Aussagen dieser alten Krieger aufzuzeichnen und das
Meiste entschwand mir aus dem Gedächtnisse. Allein an Manches er¬
innere ich mich noch gar wohl und immer mit Freude, denn unterge¬
ordnete Soldaten haben ihre ganz eigenthümlichen Ansichten von Krieg
und Schlachten; vor ihrer Seele schwebt nnr das Einzelne. Dieses
haben sie selbst erlebt, vom großen Ganzen aber besitzen sie nur dunkle
oder fast gar keine Ideen; sie loben häufig, wo der Geschichtschreiber


junges, schönes Mutterkalb entgegen gesprungen kommt. „O wollte
ich," brummte er dann, „wäre ich die Flasche Schnaps, könnte trin¬
ken immer viel und satt."

Ihm gegenüber beschäftigte sich Hans Ehrlich, ein Tischler seines
Handwerks, mit dein Zusammenflicken eines alten Schreines für die
Frau Oberjägerin. Auch dieser freute sich im Voraus auf ihre freund¬
schaftliche Erkenntlichkeit, welche in Schnaps und Brod, mit Schweine¬
fett beschmiert und je nach Verdienst, aus größern oder geringern Por¬
tionen bestand. Hans ist mir einer der liebsten Jäger; er ist von mitt¬
lern!, untersetztem, starkknochigen Wuchs. Sein kleines Auge blickte
ehrlich und treuherzig aus dem Vollmondsgesichte. Zimmerte er, sang er ein
Liedchen, um sich zur Arbeit aufzumuntern ; Stimme und Vortrag wa¬
ren nicht die schönsten, desto hübscher aber der Inhalt. Er spiegelte
des Mannes Herz und Seele ab; übrigens bestand das Lied nur aus
Knittelversen, doch aus guter, alter deutscher Zeit und mit Zunftgeist
verfaßt.

Eine andere Gruppe bildete der Commandant mit dem jungen
Tvroler, unter diesem Namen war ich allenthalben bekannt; wir saßen
auf einer hölzernen Bank, lehnten uns an die Mauer der Kaserne und
hatten das kleine Tischchen vor uns. Wie die Mehrzahl, schmauchten
auch wir, das war unsere größte Leidenschaft; Tag und Nacht wurde
diese Unterhaltung fortgesetzt und mit der großen, hölzernen, tüchtig
mit Messing beschlagenen Pfeife schliefen wir selbst ein. Gefahr war
nicht zu fürchten, denn diese Dampfkessel waren wohlverschlossen, und
weil mit etwas la'ngern Röhren versehe,,, die über das Bett hinaus-
reichten, sielen sie gewöhnlich, sobald wir eingeschlafen waren, auf den
Boden hinab. Unsere mit köstlichem Militairtabak vollgepfropften un¬
garischen Bocksbeutel lagen auf dem Tisch, sammt einigen Dienstschrif¬
ten, die wir eben durchgegangen, aber bei Seite gelegt hatten, weil
wir im Verlaufe des Gesprächs auf die Kriegsbegebenheiten aus den
letzten Zeiten des französischen Kaiserreichs zu reden gekommen waren.
Dergleichen Unterhaltungen gingen mir über Alles. Leider hatte ich
nicht Muße, die Aussagen dieser alten Krieger aufzuzeichnen und das
Meiste entschwand mir aus dem Gedächtnisse. Allein an Manches er¬
innere ich mich noch gar wohl und immer mit Freude, denn unterge¬
ordnete Soldaten haben ihre ganz eigenthümlichen Ansichten von Krieg
und Schlachten; vor ihrer Seele schwebt nnr das Einzelne. Dieses
haben sie selbst erlebt, vom großen Ganzen aber besitzen sie nur dunkle
oder fast gar keine Ideen; sie loben häufig, wo der Geschichtschreiber


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/53>, abgerufen am 29.06.2024.