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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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schästigt, darunter Zanke und Hans. Ersterer, gewöhnlich Powidal
oder Schnapsbruder genannt, hatte noch für zwei Seidel seines Lieb¬
lingsgetränks zwei Gewehre zu putzen übernommen. Das war sein
gewöhnlicher Nebenverdienst. Er hatte früher bei dem Räketencorps
gedient und wußte mit der Armatur trefflich umzugehen. So kläglich
auch seine Beine aussahen, hatte er doch Kraft und Behendigkeit in
den Armen. Er bewegte sich nur langsam von einer Stelle zur an-
dern und hatte den ganzen Tag für sich zu brummen; doch laut sprach
er wenig und dieses in einem gebrochenen böhmisch-deutschen Dialekte,
den ich seit Jahren fast wieder vergessen habe und nachzuahmen nicht
im Stande bin. Bevor er zur Arbeit ging, setzte er sich jedesmal auf
eine Bank, rollte einen großen, schmuzigen Leinwandfleck auseinander,
der sein Tabaksbehälter war, suchte sich die größten und schönsten
Stücke, die sehr fest und zollbreit geschnitten waren, heraus, drehte ei¬
nes derselben fünf bis zehn Mal zwischen den Fingern herum und
steckte es endlich, mit einer ganz eignen Bewegung der Hände, in den
Mund, wo er es zwischen Zähnen und Backen sehr niedlich anbrachte.
Es schien jederzeit, als trüge er auf der einen Seite des Gesichts nicht
eine geschwollene Wange, nein! sondern einen tüchtigen Sack mit Zwan¬
zigern, deren Gewicht allmälig das Fleisch schlaff machte und herab¬
zog. War dies geschehen, so packte er seine sieben Sachen wieder zu¬
sammen, trug sie langsam in eine wohlverriegelte Kiste, schob dieselbe
unter das Bett und schickte sich an, seine Aufgabe zu lösen. Er er¬
griff das bestimmte Gewehr, und kaum hatte er die Capuzinerschranbe
oder den Ladestock aus demselben herausgezogen, so rief er auch schon
dem betreffenden Besitzer des Gewehres zu, daß er beginne. "Fangte
ich jetzt an, Herr Oberjä'gerin", sagte er immer sehr langsam und mit
milder Stimme, "wo isle mein Glas?" Er meinte den versprochenen
Schnaps und wurde öfters allsogleich grob, wenn das Glas nicht
schon gefüllt dastand. So war er denn auch jetzt eben damit beschäf¬
tigt, einen Lauf glühend zu reiben, um das geringste Fleckchen zu ver¬
tilgen und Spiegelglanz am Stahle hervorzubringen. Er hatte aber
den Lohn seiner Arbeit bereits gut ausgehoben und dachte wieder dar¬
an, wie es nicht mehr lange währen werde, daß er auch die andere
Hälfte für das zweite Gewehr zu sich nehmen könne. Da schielte er
denn ziemlich oft, mit einer Art Wollust, nach der gefüllten großen
Flasche, die auf dem Tische stand, konnte das sehnsüchtige Auge, wie
verzaubert, vom geliebten Gegenstande kaum abwenden und leckte mit
der Zunge die Lippen, nicht unähnlich einem Alpenstiere, welchem ein


schästigt, darunter Zanke und Hans. Ersterer, gewöhnlich Powidal
oder Schnapsbruder genannt, hatte noch für zwei Seidel seines Lieb¬
lingsgetränks zwei Gewehre zu putzen übernommen. Das war sein
gewöhnlicher Nebenverdienst. Er hatte früher bei dem Räketencorps
gedient und wußte mit der Armatur trefflich umzugehen. So kläglich
auch seine Beine aussahen, hatte er doch Kraft und Behendigkeit in
den Armen. Er bewegte sich nur langsam von einer Stelle zur an-
dern und hatte den ganzen Tag für sich zu brummen; doch laut sprach
er wenig und dieses in einem gebrochenen böhmisch-deutschen Dialekte,
den ich seit Jahren fast wieder vergessen habe und nachzuahmen nicht
im Stande bin. Bevor er zur Arbeit ging, setzte er sich jedesmal auf
eine Bank, rollte einen großen, schmuzigen Leinwandfleck auseinander,
der sein Tabaksbehälter war, suchte sich die größten und schönsten
Stücke, die sehr fest und zollbreit geschnitten waren, heraus, drehte ei¬
nes derselben fünf bis zehn Mal zwischen den Fingern herum und
steckte es endlich, mit einer ganz eignen Bewegung der Hände, in den
Mund, wo er es zwischen Zähnen und Backen sehr niedlich anbrachte.
Es schien jederzeit, als trüge er auf der einen Seite des Gesichts nicht
eine geschwollene Wange, nein! sondern einen tüchtigen Sack mit Zwan¬
zigern, deren Gewicht allmälig das Fleisch schlaff machte und herab¬
zog. War dies geschehen, so packte er seine sieben Sachen wieder zu¬
sammen, trug sie langsam in eine wohlverriegelte Kiste, schob dieselbe
unter das Bett und schickte sich an, seine Aufgabe zu lösen. Er er¬
griff das bestimmte Gewehr, und kaum hatte er die Capuzinerschranbe
oder den Ladestock aus demselben herausgezogen, so rief er auch schon
dem betreffenden Besitzer des Gewehres zu, daß er beginne. „Fangte
ich jetzt an, Herr Oberjä'gerin", sagte er immer sehr langsam und mit
milder Stimme, „wo isle mein Glas?" Er meinte den versprochenen
Schnaps und wurde öfters allsogleich grob, wenn das Glas nicht
schon gefüllt dastand. So war er denn auch jetzt eben damit beschäf¬
tigt, einen Lauf glühend zu reiben, um das geringste Fleckchen zu ver¬
tilgen und Spiegelglanz am Stahle hervorzubringen. Er hatte aber
den Lohn seiner Arbeit bereits gut ausgehoben und dachte wieder dar¬
an, wie es nicht mehr lange währen werde, daß er auch die andere
Hälfte für das zweite Gewehr zu sich nehmen könne. Da schielte er
denn ziemlich oft, mit einer Art Wollust, nach der gefüllten großen
Flasche, die auf dem Tische stand, konnte das sehnsüchtige Auge, wie
verzaubert, vom geliebten Gegenstande kaum abwenden und leckte mit
der Zunge die Lippen, nicht unähnlich einem Alpenstiere, welchem ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/52>, abgerufen am 26.06.2024.