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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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in einen festen Schlaf, aus dem er erst gegen Mittag erwachte.
Leider sollte Eine Gestalt aus Hugo's chaotischen Traume nur
allzubald in der Wirklichkeit ^vor ihm stehen. Obgleich er auf der
letzten Heimfahrt von Eisenstabe Gewissensbisse über sein selbstsüchtiges
Betragen empfunden und sich vorgenommen hatte, schriftlich und für
ewig von Esther Abschied zu nehmen und in diesem Briefe mit mild
tröstenden, aber doch zugleich energischen Worten das arme unerfahrne
Mädchen auf die unübersteigbaren Schranken hinzuweisen, welche die
Welt zwischen den hoffnungsvollen Wiener Studenten und die Tochter
eines armen Schacherjuden von Eisenstabe aufgerichtet, so war er doch
schwach genug, die Ausführung dieses ungemein weisen und edeln
Vorsatzes, der in Leihbibliothek- Romanen eine so große Rolle spielt,
auf unbestimmte Zeit hinauszuschieben, und vielleicht war die Stimme,
mit der er gleich nach Tische anzuspannen befahl, nur deshalb so her¬
risch, weil er durch diesen Ton einen inneren Vorwurf über seine
Charakterlosigkeit zu übertäuben suchte. Was sollte er auch den lieben
langen Nachmittag über anfangen? Fritz, der ZögKng der Militär-
Academie, war seit seinem letzten unangenehmen Begegnisse mit Hector
nicht wieder erschienen. Auch lag Hugo nicht besonders viel an einem
Genossen, der für den Kriegersrand erzogen wurde, eine Waffe an der
Seite trug, und sich doch vor einem großen bellenden Hunde ängstlich
an die Wand lehnte.

Als Hugo aufstieg, war er übrigens keineswegs entschlossen, nach
Eisenstabe zu fahre"; er wollte hente einmal zur Abwechslung das
benachbarte Schloß Scherflein besuchen und dann morgen den Brief
schreiben. Aber die Pferde schlugen wie von selbst den so oft betretenen
gewohnten Weg ein und der in der Handhabung der Zügel sonst so energi-
sche Hugo ließ dieselben diesmal lose herabhängen. So war er fast, ohne
daß er es wußte und wollte, um die gewöhnliche Stunde in Eisenstabe.

Sein heutiges Beisammensein mit Esther war noch kürzer und
zerstreuter, als das letzte. Er war nachdenkend und beschämt über
seine Schwäche, doch gekommen zu sein, aber auch das Mädchen war
heute unruhig, und die helle Freudensonne des Glücks, die sonst auf
ihrem Antlitze lag, wenn ihr Geliebter bei ihr war, schien heute durch
finsteres Gewölk von Kummer und Besorgniß getrübt zu sein. Sie
theilte Hugo kurz mit, daß ihr Vater heute morgen bedeutend erkrankt
von seiner gestern Abend unternommenen Reise zurückgekehrt sei und
daß sie daher gleich wieder zu demselben eilen müsse.

Als Hugo die österreichische Grenze wieder erreicht hatte, wurde


in einen festen Schlaf, aus dem er erst gegen Mittag erwachte.
Leider sollte Eine Gestalt aus Hugo's chaotischen Traume nur
allzubald in der Wirklichkeit ^vor ihm stehen. Obgleich er auf der
letzten Heimfahrt von Eisenstabe Gewissensbisse über sein selbstsüchtiges
Betragen empfunden und sich vorgenommen hatte, schriftlich und für
ewig von Esther Abschied zu nehmen und in diesem Briefe mit mild
tröstenden, aber doch zugleich energischen Worten das arme unerfahrne
Mädchen auf die unübersteigbaren Schranken hinzuweisen, welche die
Welt zwischen den hoffnungsvollen Wiener Studenten und die Tochter
eines armen Schacherjuden von Eisenstabe aufgerichtet, so war er doch
schwach genug, die Ausführung dieses ungemein weisen und edeln
Vorsatzes, der in Leihbibliothek- Romanen eine so große Rolle spielt,
auf unbestimmte Zeit hinauszuschieben, und vielleicht war die Stimme,
mit der er gleich nach Tische anzuspannen befahl, nur deshalb so her¬
risch, weil er durch diesen Ton einen inneren Vorwurf über seine
Charakterlosigkeit zu übertäuben suchte. Was sollte er auch den lieben
langen Nachmittag über anfangen? Fritz, der ZögKng der Militär-
Academie, war seit seinem letzten unangenehmen Begegnisse mit Hector
nicht wieder erschienen. Auch lag Hugo nicht besonders viel an einem
Genossen, der für den Kriegersrand erzogen wurde, eine Waffe an der
Seite trug, und sich doch vor einem großen bellenden Hunde ängstlich
an die Wand lehnte.

Als Hugo aufstieg, war er übrigens keineswegs entschlossen, nach
Eisenstabe zu fahre»; er wollte hente einmal zur Abwechslung das
benachbarte Schloß Scherflein besuchen und dann morgen den Brief
schreiben. Aber die Pferde schlugen wie von selbst den so oft betretenen
gewohnten Weg ein und der in der Handhabung der Zügel sonst so energi-
sche Hugo ließ dieselben diesmal lose herabhängen. So war er fast, ohne
daß er es wußte und wollte, um die gewöhnliche Stunde in Eisenstabe.

Sein heutiges Beisammensein mit Esther war noch kürzer und
zerstreuter, als das letzte. Er war nachdenkend und beschämt über
seine Schwäche, doch gekommen zu sein, aber auch das Mädchen war
heute unruhig, und die helle Freudensonne des Glücks, die sonst auf
ihrem Antlitze lag, wenn ihr Geliebter bei ihr war, schien heute durch
finsteres Gewölk von Kummer und Besorgniß getrübt zu sein. Sie
theilte Hugo kurz mit, daß ihr Vater heute morgen bedeutend erkrankt
von seiner gestern Abend unternommenen Reise zurückgekehrt sei und
daß sie daher gleich wieder zu demselben eilen müsse.

Als Hugo die österreichische Grenze wieder erreicht hatte, wurde


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/522>, abgerufen am 23.07.2024.