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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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ben, so war ich doch rein, und beschloß, nach Leidenfroh's Willen, die
Sache höhern Orts anzuzeigen. Dies geschah; kein Mensch konnte
daraus klug werden. Leidenfroh geriet!) in Wuth, schmähte und schimpfte
ohne Maß und Ziel und sagte mir die Freundschaft auf ewig auf.
Das that mir wehe, um so mehr, da ich ihn als einen ehrlichen Kerl
in manchen Stücken schon längst liebgewonnen hatte und er mir erst
jüngst eilt Stammblatt schrieb, worin es hieß: die Flüsse müßten eher
rückwärts gehen und Wölfe sich mit Lämmern galten, als daß meine
Freundschaft zu dir sich ändert.

So war dieser Mann beschaffen. Seine Liebe und sein Haß wa¬
ren gewöhnlich grenzenlos; von einem Aeußersten konnte er auf das
Andere leichter Dinge überspringen; von Schonung, Achtung und Ehr¬
furcht wußte er dann nichts und wollte auch, trotz aller Zureden, nichts
Wissen. Seinen Feind ganz vernichten, mit Verlust alles eignen Glü¬
ckes, und seinen Freund rücksichtslos gegen alle Anfechtungen verthei¬
digen, mochte es billig sein oder nicht, dies war des Mannes trotziger
Sinn. Bedeutende Talente und Seelenkraft, im Großen zu wirken,
hatte an ihm die Natur nutzlos verschwendet. Er war schon Vieles
gewesen, aber nie lange.

Während dieser Kamerad fischte und allmälig aus unsern Altgen
in der Tiefe des Thales verschwand, ließ sich Toni am Hügel, der
Kaserne gegenüber, auf der Flöte hören. Dieser, der Sohn eines
Schullehrers, hatte sich selbst schon diesem Fache gewidmet; er kam
später zur Grenzwache, machte aber keine Fortschritte. Declamiren war
seine Leidenschaft, aber so gut er sein Gedächtniß geübt hatte, so schlecht
war der Vortrag; die Flöte spielte er hübsch, doch nur wenige Stücke.
Ihn ein oder das andere Mal in müßigen Stunden, wenn eine lang
verhaltene Sehnsucht die Seele überschlich, zu hören, war sehr ange¬
nehm; sein Spiel, einfach, ohne Künstelei, ergriff das Gemüth, beson¬
ders aus der Ferne vernommen, wo die schmelzenden Töne, vom sanf¬
ten Rauschen des Baches nicht übertäubt, herüberklangen.

Die Mehrzahl, wie gesagt, hatte sich vor der Kaserne gelagert,
schmauchte ruhig ihr Pfeifchen, dachte wenig oder gar nichts und drehte
sich bald auf diese, bald auf jene Seite, je nachdem es die Umstände
und die Bequemlichkeit erforderten. Frau Hader ging mit der Schnaps-
flasche herum und credenzte Jedem sein Gläschen. Dieses wurde ent¬
weder auf den Tisch, der im Freien angebracht war, oder in das Gras,
wo man sich gelagert hatte, hingestellt.

In besonderer Weise waren in der Gesellschaft nur Wenige be-


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ben, so war ich doch rein, und beschloß, nach Leidenfroh's Willen, die
Sache höhern Orts anzuzeigen. Dies geschah; kein Mensch konnte
daraus klug werden. Leidenfroh geriet!) in Wuth, schmähte und schimpfte
ohne Maß und Ziel und sagte mir die Freundschaft auf ewig auf.
Das that mir wehe, um so mehr, da ich ihn als einen ehrlichen Kerl
in manchen Stücken schon längst liebgewonnen hatte und er mir erst
jüngst eilt Stammblatt schrieb, worin es hieß: die Flüsse müßten eher
rückwärts gehen und Wölfe sich mit Lämmern galten, als daß meine
Freundschaft zu dir sich ändert.

So war dieser Mann beschaffen. Seine Liebe und sein Haß wa¬
ren gewöhnlich grenzenlos; von einem Aeußersten konnte er auf das
Andere leichter Dinge überspringen; von Schonung, Achtung und Ehr¬
furcht wußte er dann nichts und wollte auch, trotz aller Zureden, nichts
Wissen. Seinen Feind ganz vernichten, mit Verlust alles eignen Glü¬
ckes, und seinen Freund rücksichtslos gegen alle Anfechtungen verthei¬
digen, mochte es billig sein oder nicht, dies war des Mannes trotziger
Sinn. Bedeutende Talente und Seelenkraft, im Großen zu wirken,
hatte an ihm die Natur nutzlos verschwendet. Er war schon Vieles
gewesen, aber nie lange.

Während dieser Kamerad fischte und allmälig aus unsern Altgen
in der Tiefe des Thales verschwand, ließ sich Toni am Hügel, der
Kaserne gegenüber, auf der Flöte hören. Dieser, der Sohn eines
Schullehrers, hatte sich selbst schon diesem Fache gewidmet; er kam
später zur Grenzwache, machte aber keine Fortschritte. Declamiren war
seine Leidenschaft, aber so gut er sein Gedächtniß geübt hatte, so schlecht
war der Vortrag; die Flöte spielte er hübsch, doch nur wenige Stücke.
Ihn ein oder das andere Mal in müßigen Stunden, wenn eine lang
verhaltene Sehnsucht die Seele überschlich, zu hören, war sehr ange¬
nehm; sein Spiel, einfach, ohne Künstelei, ergriff das Gemüth, beson¬
ders aus der Ferne vernommen, wo die schmelzenden Töne, vom sanf¬
ten Rauschen des Baches nicht übertäubt, herüberklangen.

Die Mehrzahl, wie gesagt, hatte sich vor der Kaserne gelagert,
schmauchte ruhig ihr Pfeifchen, dachte wenig oder gar nichts und drehte
sich bald auf diese, bald auf jene Seite, je nachdem es die Umstände
und die Bequemlichkeit erforderten. Frau Hader ging mit der Schnaps-
flasche herum und credenzte Jedem sein Gläschen. Dieses wurde ent¬
weder auf den Tisch, der im Freien angebracht war, oder in das Gras,
wo man sich gelagert hatte, hingestellt.

In besonderer Weise waren in der Gesellschaft nur Wenige be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/51>, abgerufen am 18.06.2024.