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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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zu, während die heiße Musik wild um seine Sinne und seine Phantasie
warb. Zuweilen auch sprang er mit Einem Male hastig auf, warf
den braunen Musikanten ein Silberstück hin, und verlangte die unga¬
rische Marseillaise, denwilden feurigen Marsch : "Rakoczy's des Rebellen."
Dann stürzte er in hastigeren Zügen seinen Wein hinunter und er¬
zählte mit stolzem Behagen den aufhorchenden Bauern, daß auch er
in Ungarn geboren und nur in Wien erzogen sei.

Um eine bestimmte Stunde aber, wenn die Sonne sich dem Un¬
tergänge zuneigte, verließ Hugo- zum großen Leidwesen der Bauern,
denen er auf seine Kosten fleißig einschenken zu lassen pflegte, regel¬
mäßig die Schenke. Er ging dann, zum Thore des Städtchens hin¬
aus und an der Hinteren Mauer de>? Parkes entlang, in welcher er
eine niedere Stelle benutzte, um sich yniüber zu schwingen, während
Esther ven einfacheren und näheren Weg durch den Schloßhof ein¬
schlug. Beide Pfade aber führten zu einem herrlichen lauschigen
Plätzchen.

Der Park war so ziemlich verwildert, aber gerade diese Verwil¬
derung machte ihn anziehend. Nichts ist unausstehlicher, als jene
schnurgeraden Taruswände, aus denen sich immer in gleicher Entfer¬
nung von einander plumpe Travestien der Antike in Sandstein her¬
vorheben.

Hugo war durch das dichte Gestrippe geschritten, welches überall
hoch emporwuchcrte, und zuerst an die kleine Waldlichtung gelangt,
an deren Rande sich eine von hohen Eichen beschattete Moosbank be¬
fand. Sehr erstaunt, noch Niemanden hier zu finden, blickte er um
sich, und um seine feingeschnittenen Lippen zuckte ein böser Zug, der
von Unmuth und Geringschätzung sprach. Verzogen und selbstsüchtig,
wie er trotz aller seiner guten Eigenschaften durch die versengende
Atmosphäre des Wiener Gesellschaftslebens geworden war, verletzte
es seine Eitelkeit, daß Esther diesmal nicht, wie gewöhnlich, die Erste
auf dem Platze war, an welchem sie sich zu treffen pflegten. Schein¬
bar theilnahmlos warf er sich der Länge nach auf die Moosbank hin,
blickte jedoch von Zeit zu Zeit scharf nach der Seite aus, von welcher
die Erwartete kommen mußte.

Endlich gewahrte er sie an dem äußersten Ende der Allee, welche
von der anderen Seite her zu diesem Platze führte. Rasch stand er
auf, und that, als bemerke er Esther nicht, und sei eben im Begriffe
sich wieder zu entfernen.


zu, während die heiße Musik wild um seine Sinne und seine Phantasie
warb. Zuweilen auch sprang er mit Einem Male hastig auf, warf
den braunen Musikanten ein Silberstück hin, und verlangte die unga¬
rische Marseillaise, denwilden feurigen Marsch : „Rakoczy's des Rebellen."
Dann stürzte er in hastigeren Zügen seinen Wein hinunter und er¬
zählte mit stolzem Behagen den aufhorchenden Bauern, daß auch er
in Ungarn geboren und nur in Wien erzogen sei.

Um eine bestimmte Stunde aber, wenn die Sonne sich dem Un¬
tergänge zuneigte, verließ Hugo- zum großen Leidwesen der Bauern,
denen er auf seine Kosten fleißig einschenken zu lassen pflegte, regel¬
mäßig die Schenke. Er ging dann, zum Thore des Städtchens hin¬
aus und an der Hinteren Mauer de>? Parkes entlang, in welcher er
eine niedere Stelle benutzte, um sich yniüber zu schwingen, während
Esther ven einfacheren und näheren Weg durch den Schloßhof ein¬
schlug. Beide Pfade aber führten zu einem herrlichen lauschigen
Plätzchen.

Der Park war so ziemlich verwildert, aber gerade diese Verwil¬
derung machte ihn anziehend. Nichts ist unausstehlicher, als jene
schnurgeraden Taruswände, aus denen sich immer in gleicher Entfer¬
nung von einander plumpe Travestien der Antike in Sandstein her¬
vorheben.

Hugo war durch das dichte Gestrippe geschritten, welches überall
hoch emporwuchcrte, und zuerst an die kleine Waldlichtung gelangt,
an deren Rande sich eine von hohen Eichen beschattete Moosbank be¬
fand. Sehr erstaunt, noch Niemanden hier zu finden, blickte er um
sich, und um seine feingeschnittenen Lippen zuckte ein böser Zug, der
von Unmuth und Geringschätzung sprach. Verzogen und selbstsüchtig,
wie er trotz aller seiner guten Eigenschaften durch die versengende
Atmosphäre des Wiener Gesellschaftslebens geworden war, verletzte
es seine Eitelkeit, daß Esther diesmal nicht, wie gewöhnlich, die Erste
auf dem Platze war, an welchem sie sich zu treffen pflegten. Schein¬
bar theilnahmlos warf er sich der Länge nach auf die Moosbank hin,
blickte jedoch von Zeit zu Zeit scharf nach der Seite aus, von welcher
die Erwartete kommen mußte.

Endlich gewahrte er sie an dem äußersten Ende der Allee, welche
von der anderen Seite her zu diesem Platze führte. Rasch stand er
auf, und that, als bemerke er Esther nicht, und sei eben im Begriffe
sich wieder zu entfernen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/516>, abgerufen am 23.07.2024.