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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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Hugo ! Hugo! rief eine jugendlich helle vibrirende Stimme.
Hugo drehte sich um und schritt dem Mädchen, das leicht, wie von
Freude und Glückseligkeit getragen daher schwebte, langsam ent¬
gegen.

Obgleich noch beinahe ein Kind, war sie/Mes bei dem südlichen
Blute, das in ihren Adern rollte, schon weit entwickelter, als die
meisten anderen Mädchen ihres Alters. Schwarze Augen und blau-
schwarz glänzende Haare^ blasse durchsichtige Wangen und korallen¬
rothe Lippen, eine leichte Mphenhafte Gestalt, das ist freilich der ge¬
wöhnliche Apparat der Roman- und Novellenheldinnen, aber was
kann ich dafür, daß Esther alle ti'se Vorzüge wirklich besaß, denn ich
glaube dem Leser schon mitgethei t zu haben, daß ich hier nur eine
wahre Geschichte wiedererzähle. Was Esther's Kleidung betraf, so
war dieselbe nichts weniger als dürftig, sondern bestand aus sehr ge¬
schmackvollen und feinen Stoffen, ein Umstand, den man mit der an¬
geblichen Armuth ihres Vaters freilich nicht recht in Einklang brin¬
gen konnte."

"Ah! Du kommst also doch, sagte Hugo, als er Esther erreicht
hatte; "ich dachte schon, ich würde Dich heute nicht mehr zu sehen
bekommen, und war eben im Begriffe wieder nach Hause zu fahren."

"Wie kannst Du nur so etwas denken," sagte Esther vorwurfs¬
voll, indem sie sich in seine Arme warf, und eine helle Thräne in ihr
herrliches schwarzes Auge trat. "Der Vater tritt morgen eine Ge¬
schäftsreise an und da gab es noch mancherlei vorzubereiten, so daß
ich nicht früher abkommen konnte. Verzeihe mir daher, daß ich Dich
warten ließ."

Als das reizende Geschöpf so warm, so hingebend an seinem
Halse hing, brach Hugo's gewaltsam zurückgedrängte Natürlichkeit
wieder hervor; er ließ die Maske der Kälte und Gleichgültigkeit fah¬
ren, zog Esther zu sich auf die Rasenbank nieder, und küßte ihr die
Tropfen, die seine Härte perlen gemacht hatte, wieder von den nassen
Augenlidern, und bald lächelte das Mädchen auch glückselig, wie eine
Blume, die nach einem erfrischenden Gewitterregen ihr gesenktes Haupt
wieder erhebt.

Hugo war ein Stück Poet, und nach dem wildesten Toben zog
oft eine schwärmerische Mondscheinromantik in sein Herz ein, wie zu¬
weilen silberne Lichtstreifen durch dichte Waldesrande hereinfallen. So
durchzuckte ihn auch jetzt ein wehmüthiger Schmerz, als er das schöne
junge Geschöpf so vertrauensvoll in seinen Armen ruhen fühlte und


Hugo ! Hugo! rief eine jugendlich helle vibrirende Stimme.
Hugo drehte sich um und schritt dem Mädchen, das leicht, wie von
Freude und Glückseligkeit getragen daher schwebte, langsam ent¬
gegen.

Obgleich noch beinahe ein Kind, war sie/Mes bei dem südlichen
Blute, das in ihren Adern rollte, schon weit entwickelter, als die
meisten anderen Mädchen ihres Alters. Schwarze Augen und blau-
schwarz glänzende Haare^ blasse durchsichtige Wangen und korallen¬
rothe Lippen, eine leichte Mphenhafte Gestalt, das ist freilich der ge¬
wöhnliche Apparat der Roman- und Novellenheldinnen, aber was
kann ich dafür, daß Esther alle ti'se Vorzüge wirklich besaß, denn ich
glaube dem Leser schon mitgethei t zu haben, daß ich hier nur eine
wahre Geschichte wiedererzähle. Was Esther's Kleidung betraf, so
war dieselbe nichts weniger als dürftig, sondern bestand aus sehr ge¬
schmackvollen und feinen Stoffen, ein Umstand, den man mit der an¬
geblichen Armuth ihres Vaters freilich nicht recht in Einklang brin¬
gen konnte."

„Ah! Du kommst also doch, sagte Hugo, als er Esther erreicht
hatte; „ich dachte schon, ich würde Dich heute nicht mehr zu sehen
bekommen, und war eben im Begriffe wieder nach Hause zu fahren."

„Wie kannst Du nur so etwas denken," sagte Esther vorwurfs¬
voll, indem sie sich in seine Arme warf, und eine helle Thräne in ihr
herrliches schwarzes Auge trat. „Der Vater tritt morgen eine Ge¬
schäftsreise an und da gab es noch mancherlei vorzubereiten, so daß
ich nicht früher abkommen konnte. Verzeihe mir daher, daß ich Dich
warten ließ."

Als das reizende Geschöpf so warm, so hingebend an seinem
Halse hing, brach Hugo's gewaltsam zurückgedrängte Natürlichkeit
wieder hervor; er ließ die Maske der Kälte und Gleichgültigkeit fah¬
ren, zog Esther zu sich auf die Rasenbank nieder, und küßte ihr die
Tropfen, die seine Härte perlen gemacht hatte, wieder von den nassen
Augenlidern, und bald lächelte das Mädchen auch glückselig, wie eine
Blume, die nach einem erfrischenden Gewitterregen ihr gesenktes Haupt
wieder erhebt.

Hugo war ein Stück Poet, und nach dem wildesten Toben zog
oft eine schwärmerische Mondscheinromantik in sein Herz ein, wie zu¬
weilen silberne Lichtstreifen durch dichte Waldesrande hereinfallen. So
durchzuckte ihn auch jetzt ein wehmüthiger Schmerz, als er das schöne
junge Geschöpf so vertrauensvoll in seinen Armen ruhen fühlte und


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[0517] Hugo ! Hugo! rief eine jugendlich helle vibrirende Stimme. Hugo drehte sich um und schritt dem Mädchen, das leicht, wie von Freude und Glückseligkeit getragen daher schwebte, langsam ent¬ gegen. Obgleich noch beinahe ein Kind, war sie/Mes bei dem südlichen Blute, das in ihren Adern rollte, schon weit entwickelter, als die meisten anderen Mädchen ihres Alters. Schwarze Augen und blau- schwarz glänzende Haare^ blasse durchsichtige Wangen und korallen¬ rothe Lippen, eine leichte Mphenhafte Gestalt, das ist freilich der ge¬ wöhnliche Apparat der Roman- und Novellenheldinnen, aber was kann ich dafür, daß Esther alle ti'se Vorzüge wirklich besaß, denn ich glaube dem Leser schon mitgethei t zu haben, daß ich hier nur eine wahre Geschichte wiedererzähle. Was Esther's Kleidung betraf, so war dieselbe nichts weniger als dürftig, sondern bestand aus sehr ge¬ schmackvollen und feinen Stoffen, ein Umstand, den man mit der an¬ geblichen Armuth ihres Vaters freilich nicht recht in Einklang brin¬ gen konnte." „Ah! Du kommst also doch, sagte Hugo, als er Esther erreicht hatte; „ich dachte schon, ich würde Dich heute nicht mehr zu sehen bekommen, und war eben im Begriffe wieder nach Hause zu fahren." „Wie kannst Du nur so etwas denken," sagte Esther vorwurfs¬ voll, indem sie sich in seine Arme warf, und eine helle Thräne in ihr herrliches schwarzes Auge trat. „Der Vater tritt morgen eine Ge¬ schäftsreise an und da gab es noch mancherlei vorzubereiten, so daß ich nicht früher abkommen konnte. Verzeihe mir daher, daß ich Dich warten ließ." Als das reizende Geschöpf so warm, so hingebend an seinem Halse hing, brach Hugo's gewaltsam zurückgedrängte Natürlichkeit wieder hervor; er ließ die Maske der Kälte und Gleichgültigkeit fah¬ ren, zog Esther zu sich auf die Rasenbank nieder, und küßte ihr die Tropfen, die seine Härte perlen gemacht hatte, wieder von den nassen Augenlidern, und bald lächelte das Mädchen auch glückselig, wie eine Blume, die nach einem erfrischenden Gewitterregen ihr gesenktes Haupt wieder erhebt. Hugo war ein Stück Poet, und nach dem wildesten Toben zog oft eine schwärmerische Mondscheinromantik in sein Herz ein, wie zu¬ weilen silberne Lichtstreifen durch dichte Waldesrande hereinfallen. So durchzuckte ihn auch jetzt ein wehmüthiger Schmerz, als er das schöne junge Geschöpf so vertrauensvoll in seinen Armen ruhen fühlte und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/517>, abgerufen am 23.07.2024.