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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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Kreuzer die Maaß verschenkt wurde, und vereint mit den hochrothen
Liedern der Zigeunermusikanten das Blut rascher durch die Adern
rollen machte. Dem alten Johann wenigstens schien dieser Beweg¬
grund noch der plausibelste zu sein, eine Ansicht, die er dadurch prak¬
tisch darlegte, daß er. die gebotene Gelegenheit im vollsten Maße
benutzte, und sich auf der Heimfahrt meist in demjenigen seligen Zu¬
stande befand, in dem er mit der ganzen Welt, und folglich auch mit
diesen Ausflügen des jungen Herrn ausgesöhnt war.

Oder waren es vielleicht die trefflichen Cigarren, die die seligen
Havannah's des gestrengen Herrn Onkels ersetzen mußten, seitdem
letztere die Wahrheit des Ausspruches putois et umbri,, sumus prak¬
tisch bewiesen hatten, welche Hugo nach Eisenstabe hinzogen? Gewiß
ist es, daß jedesmal, wenn er über die Grenze zurückkehrte, eine der¬
selben lustig in seinem Munde dampfte, gleichsam als freue sie sich
darüber, daß so viele ihrer Schwestern in der mit schwarzem Blech
bedeckten Wagenlaterne wohlbehalten ihrer Bestimmung entgegenführen.
Das war nun wieder für Johann eine gute Seite an diesen pferde¬
mörderischen Fahrten, denn in der anderen Wagenlaterne befand sich
herrlicher Lettinger und Hugo geizte mit demselben durchaus nicht,
am wenigsten aber gegen seinen Mitschuldigen bei diesen Zolldefrau-
dationen. --

Was endlich die dritte mögliche Anziehungskraft, welche Eisen¬
stabe auf unsren jungen Abenteurer ausüben konnte und von der
freilich der gute Johann keine Ahnung hatte, betrifft, so haben wir
derselben schon früher erwähnt. Sie bestand nämlich in den Heller
leuchtenden Augen, den röther glühenden Wangen, und dem stürmi¬
scher klopfenden Herzen der schönen sechszehnjährigen Esther.

Ich glaube mich nicht zu irren, wenn ich behaupte, daß alle drei
genannte Beweggründe gleich mächtig auf Hugo einwirkten. In der
That, es saß sich so behaglich in der niederen Schenkstube unter den
schnurrbärtigen ungarischen Bauern und Soldaten, wie flüssiges Feuer
glitt der dnnkelglühende Wein die Kehle hinab, und wie lockende Äp-
pige Sirenen rauschten und klagten die Cymbeln- und Geigentöne der
Zigeunerbande. Wohlriechende blaue Rauchwolken ringelten sich aus
den kurzen rothen Thonpfeifen in die Luft empor, und bildeten seltsam
verschlungene phantastische Figuren und Gestalten. Hugo war ganz
der Mensch dazu , die Poesie dieses Schenkenlebens zu verstehen und
sie in vollen Zügen zu genießen. Träumerisch in eine Ecke gelehnt
blickte er in sein Glas, oder sah den sich haschenden Rauchwölkchen


Kreuzer die Maaß verschenkt wurde, und vereint mit den hochrothen
Liedern der Zigeunermusikanten das Blut rascher durch die Adern
rollen machte. Dem alten Johann wenigstens schien dieser Beweg¬
grund noch der plausibelste zu sein, eine Ansicht, die er dadurch prak¬
tisch darlegte, daß er. die gebotene Gelegenheit im vollsten Maße
benutzte, und sich auf der Heimfahrt meist in demjenigen seligen Zu¬
stande befand, in dem er mit der ganzen Welt, und folglich auch mit
diesen Ausflügen des jungen Herrn ausgesöhnt war.

Oder waren es vielleicht die trefflichen Cigarren, die die seligen
Havannah's des gestrengen Herrn Onkels ersetzen mußten, seitdem
letztere die Wahrheit des Ausspruches putois et umbri,, sumus prak¬
tisch bewiesen hatten, welche Hugo nach Eisenstabe hinzogen? Gewiß
ist es, daß jedesmal, wenn er über die Grenze zurückkehrte, eine der¬
selben lustig in seinem Munde dampfte, gleichsam als freue sie sich
darüber, daß so viele ihrer Schwestern in der mit schwarzem Blech
bedeckten Wagenlaterne wohlbehalten ihrer Bestimmung entgegenführen.
Das war nun wieder für Johann eine gute Seite an diesen pferde¬
mörderischen Fahrten, denn in der anderen Wagenlaterne befand sich
herrlicher Lettinger und Hugo geizte mit demselben durchaus nicht,
am wenigsten aber gegen seinen Mitschuldigen bei diesen Zolldefrau-
dationen. —

Was endlich die dritte mögliche Anziehungskraft, welche Eisen¬
stabe auf unsren jungen Abenteurer ausüben konnte und von der
freilich der gute Johann keine Ahnung hatte, betrifft, so haben wir
derselben schon früher erwähnt. Sie bestand nämlich in den Heller
leuchtenden Augen, den röther glühenden Wangen, und dem stürmi¬
scher klopfenden Herzen der schönen sechszehnjährigen Esther.

Ich glaube mich nicht zu irren, wenn ich behaupte, daß alle drei
genannte Beweggründe gleich mächtig auf Hugo einwirkten. In der
That, es saß sich so behaglich in der niederen Schenkstube unter den
schnurrbärtigen ungarischen Bauern und Soldaten, wie flüssiges Feuer
glitt der dnnkelglühende Wein die Kehle hinab, und wie lockende Äp-
pige Sirenen rauschten und klagten die Cymbeln- und Geigentöne der
Zigeunerbande. Wohlriechende blaue Rauchwolken ringelten sich aus
den kurzen rothen Thonpfeifen in die Luft empor, und bildeten seltsam
verschlungene phantastische Figuren und Gestalten. Hugo war ganz
der Mensch dazu , die Poesie dieses Schenkenlebens zu verstehen und
sie in vollen Zügen zu genießen. Träumerisch in eine Ecke gelehnt
blickte er in sein Glas, oder sah den sich haschenden Rauchwölkchen


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[0515] Kreuzer die Maaß verschenkt wurde, und vereint mit den hochrothen Liedern der Zigeunermusikanten das Blut rascher durch die Adern rollen machte. Dem alten Johann wenigstens schien dieser Beweg¬ grund noch der plausibelste zu sein, eine Ansicht, die er dadurch prak¬ tisch darlegte, daß er. die gebotene Gelegenheit im vollsten Maße benutzte, und sich auf der Heimfahrt meist in demjenigen seligen Zu¬ stande befand, in dem er mit der ganzen Welt, und folglich auch mit diesen Ausflügen des jungen Herrn ausgesöhnt war. Oder waren es vielleicht die trefflichen Cigarren, die die seligen Havannah's des gestrengen Herrn Onkels ersetzen mußten, seitdem letztere die Wahrheit des Ausspruches putois et umbri,, sumus prak¬ tisch bewiesen hatten, welche Hugo nach Eisenstabe hinzogen? Gewiß ist es, daß jedesmal, wenn er über die Grenze zurückkehrte, eine der¬ selben lustig in seinem Munde dampfte, gleichsam als freue sie sich darüber, daß so viele ihrer Schwestern in der mit schwarzem Blech bedeckten Wagenlaterne wohlbehalten ihrer Bestimmung entgegenführen. Das war nun wieder für Johann eine gute Seite an diesen pferde¬ mörderischen Fahrten, denn in der anderen Wagenlaterne befand sich herrlicher Lettinger und Hugo geizte mit demselben durchaus nicht, am wenigsten aber gegen seinen Mitschuldigen bei diesen Zolldefrau- dationen. — Was endlich die dritte mögliche Anziehungskraft, welche Eisen¬ stabe auf unsren jungen Abenteurer ausüben konnte und von der freilich der gute Johann keine Ahnung hatte, betrifft, so haben wir derselben schon früher erwähnt. Sie bestand nämlich in den Heller leuchtenden Augen, den röther glühenden Wangen, und dem stürmi¬ scher klopfenden Herzen der schönen sechszehnjährigen Esther. Ich glaube mich nicht zu irren, wenn ich behaupte, daß alle drei genannte Beweggründe gleich mächtig auf Hugo einwirkten. In der That, es saß sich so behaglich in der niederen Schenkstube unter den schnurrbärtigen ungarischen Bauern und Soldaten, wie flüssiges Feuer glitt der dnnkelglühende Wein die Kehle hinab, und wie lockende Äp- pige Sirenen rauschten und klagten die Cymbeln- und Geigentöne der Zigeunerbande. Wohlriechende blaue Rauchwolken ringelten sich aus den kurzen rothen Thonpfeifen in die Luft empor, und bildeten seltsam verschlungene phantastische Figuren und Gestalten. Hugo war ganz der Mensch dazu , die Poesie dieses Schenkenlebens zu verstehen und sie in vollen Zügen zu genießen. Träumerisch in eine Ecke gelehnt blickte er in sein Glas, oder sah den sich haschenden Rauchwölkchen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/515>, abgerufen am 23.07.2024.