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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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Wenn Gesetzgeber bei der Ausstellung neuer oder erneuter eherner
Tafeln die Ehe für ein kirchliches Institut ansehen, so ist deren Inter¬
pretation falsch und verwerflich. Die Ehe ist die Basis der Familie
und diese diejenige des Staates. Ihr Zweck ist kein religiöser, sondern
ein socialer und staatlicher, die gegenseitige Ergänzung der Gatten,
Erzeugung und Erziehung der Kinder. Mit der Kirche und ihren
Gliedern hat die Ehe, hat das Verhältniß der Familie, vernünftig be¬
trachtet, nicht das Mindeste zu schaffen; die kirchliche Trauung ist
nicht in dem alten germanischen Volksbewußtsein, wie hinreichende
Dokumente beweisen, begründet, sie ist bewiesenermaßen nichts, als ein
^l"it8N8 und .4l"uL>i8 non willt U8link Die Ehe war, ist und bleibt
nur ein organisches Rechtsverhältniß, welches den Staat, nicht aber
die Kirche etwas angeht. Kein Rechtslehrer kann diesen Satz um¬
stoßen; warum also ohne Noth durch Verwerfung der Civilehe den
Staat und seine Bürger einem beständigen Conflict mit der Kirche
aussetzen? Denn wie oft wird dieser vorkommen, hervorgerufen durch
Abneigung, verschiedne Glaubensmeinung, Fanatismus! Folgt denn
z. B. der katholische Geistliche den Befehlen des Staates, wenn diese
seinen römischen Instructionen zuwider laufen? Sollen wir Beispiele
citiren? Man nehme die erste beste Zeitung in die Hand. Und was
wird Alles aus diesen zerstückelten Verhältnissen noch hervorgehen.'
Nein, der Gesetzesentwurf, der in unseren Tagen das Princip der Ci¬
vilehe umstößt und das der kirchlichen Trauung gelten laßt, ist ein
Rückschritt, ein Rückschritt mit Siebenmeilenstiefeln in's Mittelalter,
dessen hierarchischen Tendenzen die letztere ihr Dasein verdankt! Ein
Gesetz aber, das die lebendigen Interessen der Gegenwart verkennt und
sie längst begraben sein sollenden Popanzen opfert, ist wahrlich keine
Gabe die den Dank eines treuen Volkes verdient.

,
Des hessischen Volkes Stimme hat sich schon theilweise gegen
den Beschluß seiner Kammer ausgesprochen. Auch die alten Provin¬
zen haben Adressen verbreitet, worin der in der Kammer geäußerte
Grund, sie seien es, welche die Civilehe nicht wollten, widerlegt wird.
Gewiß hätte die große Mehrzahl des hessischen Volks in gleichem
Sinne geredet, wem, sie auf der Stufe der Urtheilsfähigkeit über die¬
sen Gegenstand stünde. Selbst in der benachbarten Pfalz klang wieder
was Rheinhessen so mächtig bewegte; theilnehmende, zur Stanohaftig-
keit ermunternde Adressen sind von daher eingelaufen. Der Trost ist
übrigens bis jetzt noch den Rheinhessen geblieben, daß es noch Jahre
dauern wird, bis das neue Gesetz in Vollzug tritt, und Zeiten ändern


Wenn Gesetzgeber bei der Ausstellung neuer oder erneuter eherner
Tafeln die Ehe für ein kirchliches Institut ansehen, so ist deren Inter¬
pretation falsch und verwerflich. Die Ehe ist die Basis der Familie
und diese diejenige des Staates. Ihr Zweck ist kein religiöser, sondern
ein socialer und staatlicher, die gegenseitige Ergänzung der Gatten,
Erzeugung und Erziehung der Kinder. Mit der Kirche und ihren
Gliedern hat die Ehe, hat das Verhältniß der Familie, vernünftig be¬
trachtet, nicht das Mindeste zu schaffen; die kirchliche Trauung ist
nicht in dem alten germanischen Volksbewußtsein, wie hinreichende
Dokumente beweisen, begründet, sie ist bewiesenermaßen nichts, als ein
^l»it8N8 und .4l»uL>i8 non willt U8link Die Ehe war, ist und bleibt
nur ein organisches Rechtsverhältniß, welches den Staat, nicht aber
die Kirche etwas angeht. Kein Rechtslehrer kann diesen Satz um¬
stoßen; warum also ohne Noth durch Verwerfung der Civilehe den
Staat und seine Bürger einem beständigen Conflict mit der Kirche
aussetzen? Denn wie oft wird dieser vorkommen, hervorgerufen durch
Abneigung, verschiedne Glaubensmeinung, Fanatismus! Folgt denn
z. B. der katholische Geistliche den Befehlen des Staates, wenn diese
seinen römischen Instructionen zuwider laufen? Sollen wir Beispiele
citiren? Man nehme die erste beste Zeitung in die Hand. Und was
wird Alles aus diesen zerstückelten Verhältnissen noch hervorgehen.'
Nein, der Gesetzesentwurf, der in unseren Tagen das Princip der Ci¬
vilehe umstößt und das der kirchlichen Trauung gelten laßt, ist ein
Rückschritt, ein Rückschritt mit Siebenmeilenstiefeln in's Mittelalter,
dessen hierarchischen Tendenzen die letztere ihr Dasein verdankt! Ein
Gesetz aber, das die lebendigen Interessen der Gegenwart verkennt und
sie längst begraben sein sollenden Popanzen opfert, ist wahrlich keine
Gabe die den Dank eines treuen Volkes verdient.

,
Des hessischen Volkes Stimme hat sich schon theilweise gegen
den Beschluß seiner Kammer ausgesprochen. Auch die alten Provin¬
zen haben Adressen verbreitet, worin der in der Kammer geäußerte
Grund, sie seien es, welche die Civilehe nicht wollten, widerlegt wird.
Gewiß hätte die große Mehrzahl des hessischen Volks in gleichem
Sinne geredet, wem, sie auf der Stufe der Urtheilsfähigkeit über die¬
sen Gegenstand stünde. Selbst in der benachbarten Pfalz klang wieder
was Rheinhessen so mächtig bewegte; theilnehmende, zur Stanohaftig-
keit ermunternde Adressen sind von daher eingelaufen. Der Trost ist
übrigens bis jetzt noch den Rheinhessen geblieben, daß es noch Jahre
dauern wird, bis das neue Gesetz in Vollzug tritt, und Zeiten ändern


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[0503] Wenn Gesetzgeber bei der Ausstellung neuer oder erneuter eherner Tafeln die Ehe für ein kirchliches Institut ansehen, so ist deren Inter¬ pretation falsch und verwerflich. Die Ehe ist die Basis der Familie und diese diejenige des Staates. Ihr Zweck ist kein religiöser, sondern ein socialer und staatlicher, die gegenseitige Ergänzung der Gatten, Erzeugung und Erziehung der Kinder. Mit der Kirche und ihren Gliedern hat die Ehe, hat das Verhältniß der Familie, vernünftig be¬ trachtet, nicht das Mindeste zu schaffen; die kirchliche Trauung ist nicht in dem alten germanischen Volksbewußtsein, wie hinreichende Dokumente beweisen, begründet, sie ist bewiesenermaßen nichts, als ein ^l»it8N8 und .4l»uL>i8 non willt U8link Die Ehe war, ist und bleibt nur ein organisches Rechtsverhältniß, welches den Staat, nicht aber die Kirche etwas angeht. Kein Rechtslehrer kann diesen Satz um¬ stoßen; warum also ohne Noth durch Verwerfung der Civilehe den Staat und seine Bürger einem beständigen Conflict mit der Kirche aussetzen? Denn wie oft wird dieser vorkommen, hervorgerufen durch Abneigung, verschiedne Glaubensmeinung, Fanatismus! Folgt denn z. B. der katholische Geistliche den Befehlen des Staates, wenn diese seinen römischen Instructionen zuwider laufen? Sollen wir Beispiele citiren? Man nehme die erste beste Zeitung in die Hand. Und was wird Alles aus diesen zerstückelten Verhältnissen noch hervorgehen.' Nein, der Gesetzesentwurf, der in unseren Tagen das Princip der Ci¬ vilehe umstößt und das der kirchlichen Trauung gelten laßt, ist ein Rückschritt, ein Rückschritt mit Siebenmeilenstiefeln in's Mittelalter, dessen hierarchischen Tendenzen die letztere ihr Dasein verdankt! Ein Gesetz aber, das die lebendigen Interessen der Gegenwart verkennt und sie längst begraben sein sollenden Popanzen opfert, ist wahrlich keine Gabe die den Dank eines treuen Volkes verdient. , Des hessischen Volkes Stimme hat sich schon theilweise gegen den Beschluß seiner Kammer ausgesprochen. Auch die alten Provin¬ zen haben Adressen verbreitet, worin der in der Kammer geäußerte Grund, sie seien es, welche die Civilehe nicht wollten, widerlegt wird. Gewiß hätte die große Mehrzahl des hessischen Volks in gleichem Sinne geredet, wem, sie auf der Stufe der Urtheilsfähigkeit über die¬ sen Gegenstand stünde. Selbst in der benachbarten Pfalz klang wieder was Rheinhessen so mächtig bewegte; theilnehmende, zur Stanohaftig- keit ermunternde Adressen sind von daher eingelaufen. Der Trost ist übrigens bis jetzt noch den Rheinhessen geblieben, daß es noch Jahre dauern wird, bis das neue Gesetz in Vollzug tritt, und Zeiten ändern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/503>, abgerufen am 23.07.2024.