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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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Verstandesschärfe, der Logik, der Erfahrung, der Rhetorik kämpften die
rheinhessischen Abgeordneten und einige ziemlich freisinnige der alten
Provinzen für die Civilehe, wie denn überhaupt die größere Intelligenz
sich auf ihrer Seite zeigte. Sie hoben hervor, welchen Segen dieses
Institut den Rheinlanden, Frankreich, den Niederlanden gewährt habe;
sie bewiesen, daß die Ehe historisch, moralisch und ökonomisch niemals
ein kirchlicher Act sein könne, noch im Alterthume gewesen, sondern die
kirchliche Trauung nur in Folge hierarchischer Anmaßung üblich ge¬
worden sei; daß die Civilehe jedem Uebergriff des Fanatismus hinsicht¬
lich der gemischten Ehen und somit religiösen Zwisten vorbeuge; sie
belegten ihre Behauptungen mit allen möglichen, unwiderlegbaren
Gründen und Autoritäten -- umsonst! Nicht minder stellten sie auf
das Ueberzeugendste den Widerspruch, welchen der Gesetzesentwurf in
sich birgt, in'S vollste Licht. Derselbe bestimmt ttämlich zuerst, daß die
kirchliche Trauung die allein gesetzmäßige sei, fügt aber in einem
Supplement hinzu, daß im Falle der Verweigerung von Seiten der
Geistlichen, die Brautpaare rechtskräftig vor dem Bürgermeister
getraut werden könnten. Ist das Consequenz? Hebt nicht diese Aus¬
nahme den Werth des ganzen Geseyes auf? Denn wenn im Aus¬
nahmsfalle die Civilehe von dem Gesetz sanctionirt wird, warum sollte
sie nicht ohne Ausnahme ebenso gültig sein? Genug, Alles ward ver¬
sucht und gethan, um der Rheinprovinz eine ihrer theuersten Institu¬
tionen zu erhalten -- umsonst I Alles scheiterte an der Hartnäckigkeit
der Regierung, re"n. ihres Commissairs (welcher freilich nur mit mat¬
ten Gründen seine gelehrten und gewandten Gegner zu widerlegen
wußte) und an der philisterhaften Schlendnansliebe des übrigen Theils
der Kammer, welcher durchweg "schon vor der Discussion sein Votum
im Sacke hatte." Die zwei Artikel des neuen Gesetzes, welche die
kirchliche Trauung als Norm, die Civilehe nur als Ausnahme statuiren,
wurden mit einer Majorität von elf Stimmen angenommen. Für die
Civilehe stimmten, außer den zwölf rheinhessischen, noch sechs Abge¬
ordnete der andern Provinzen. Nach diesem betrübenden Resultat stellte
der rheinhessische Abgeordnete Kilian das Amendement, der Provinz
Rheinhessen wenigstens möchte wie bisher das Institut der Civilehe
gelassen werden, aber auch dieses fiel mit dreißig gegen siebzehn Stimmen
durch; das mit Recht, denn wenn man dem Lande ein Gesetzbuch ge¬
ben will, so soll man ihm auch ein Gesetz geben. Freilich hätte die¬
ses in Rücksicht auf die Ehe anders ausfallen müssen.


Verstandesschärfe, der Logik, der Erfahrung, der Rhetorik kämpften die
rheinhessischen Abgeordneten und einige ziemlich freisinnige der alten
Provinzen für die Civilehe, wie denn überhaupt die größere Intelligenz
sich auf ihrer Seite zeigte. Sie hoben hervor, welchen Segen dieses
Institut den Rheinlanden, Frankreich, den Niederlanden gewährt habe;
sie bewiesen, daß die Ehe historisch, moralisch und ökonomisch niemals
ein kirchlicher Act sein könne, noch im Alterthume gewesen, sondern die
kirchliche Trauung nur in Folge hierarchischer Anmaßung üblich ge¬
worden sei; daß die Civilehe jedem Uebergriff des Fanatismus hinsicht¬
lich der gemischten Ehen und somit religiösen Zwisten vorbeuge; sie
belegten ihre Behauptungen mit allen möglichen, unwiderlegbaren
Gründen und Autoritäten — umsonst! Nicht minder stellten sie auf
das Ueberzeugendste den Widerspruch, welchen der Gesetzesentwurf in
sich birgt, in'S vollste Licht. Derselbe bestimmt ttämlich zuerst, daß die
kirchliche Trauung die allein gesetzmäßige sei, fügt aber in einem
Supplement hinzu, daß im Falle der Verweigerung von Seiten der
Geistlichen, die Brautpaare rechtskräftig vor dem Bürgermeister
getraut werden könnten. Ist das Consequenz? Hebt nicht diese Aus¬
nahme den Werth des ganzen Geseyes auf? Denn wenn im Aus¬
nahmsfalle die Civilehe von dem Gesetz sanctionirt wird, warum sollte
sie nicht ohne Ausnahme ebenso gültig sein? Genug, Alles ward ver¬
sucht und gethan, um der Rheinprovinz eine ihrer theuersten Institu¬
tionen zu erhalten — umsonst I Alles scheiterte an der Hartnäckigkeit
der Regierung, re«n. ihres Commissairs (welcher freilich nur mit mat¬
ten Gründen seine gelehrten und gewandten Gegner zu widerlegen
wußte) und an der philisterhaften Schlendnansliebe des übrigen Theils
der Kammer, welcher durchweg „schon vor der Discussion sein Votum
im Sacke hatte." Die zwei Artikel des neuen Gesetzes, welche die
kirchliche Trauung als Norm, die Civilehe nur als Ausnahme statuiren,
wurden mit einer Majorität von elf Stimmen angenommen. Für die
Civilehe stimmten, außer den zwölf rheinhessischen, noch sechs Abge¬
ordnete der andern Provinzen. Nach diesem betrübenden Resultat stellte
der rheinhessische Abgeordnete Kilian das Amendement, der Provinz
Rheinhessen wenigstens möchte wie bisher das Institut der Civilehe
gelassen werden, aber auch dieses fiel mit dreißig gegen siebzehn Stimmen
durch; das mit Recht, denn wenn man dem Lande ein Gesetzbuch ge¬
ben will, so soll man ihm auch ein Gesetz geben. Freilich hätte die¬
ses in Rücksicht auf die Ehe anders ausfallen müssen.


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[0502] Verstandesschärfe, der Logik, der Erfahrung, der Rhetorik kämpften die rheinhessischen Abgeordneten und einige ziemlich freisinnige der alten Provinzen für die Civilehe, wie denn überhaupt die größere Intelligenz sich auf ihrer Seite zeigte. Sie hoben hervor, welchen Segen dieses Institut den Rheinlanden, Frankreich, den Niederlanden gewährt habe; sie bewiesen, daß die Ehe historisch, moralisch und ökonomisch niemals ein kirchlicher Act sein könne, noch im Alterthume gewesen, sondern die kirchliche Trauung nur in Folge hierarchischer Anmaßung üblich ge¬ worden sei; daß die Civilehe jedem Uebergriff des Fanatismus hinsicht¬ lich der gemischten Ehen und somit religiösen Zwisten vorbeuge; sie belegten ihre Behauptungen mit allen möglichen, unwiderlegbaren Gründen und Autoritäten — umsonst! Nicht minder stellten sie auf das Ueberzeugendste den Widerspruch, welchen der Gesetzesentwurf in sich birgt, in'S vollste Licht. Derselbe bestimmt ttämlich zuerst, daß die kirchliche Trauung die allein gesetzmäßige sei, fügt aber in einem Supplement hinzu, daß im Falle der Verweigerung von Seiten der Geistlichen, die Brautpaare rechtskräftig vor dem Bürgermeister getraut werden könnten. Ist das Consequenz? Hebt nicht diese Aus¬ nahme den Werth des ganzen Geseyes auf? Denn wenn im Aus¬ nahmsfalle die Civilehe von dem Gesetz sanctionirt wird, warum sollte sie nicht ohne Ausnahme ebenso gültig sein? Genug, Alles ward ver¬ sucht und gethan, um der Rheinprovinz eine ihrer theuersten Institu¬ tionen zu erhalten — umsonst I Alles scheiterte an der Hartnäckigkeit der Regierung, re«n. ihres Commissairs (welcher freilich nur mit mat¬ ten Gründen seine gelehrten und gewandten Gegner zu widerlegen wußte) und an der philisterhaften Schlendnansliebe des übrigen Theils der Kammer, welcher durchweg „schon vor der Discussion sein Votum im Sacke hatte." Die zwei Artikel des neuen Gesetzes, welche die kirchliche Trauung als Norm, die Civilehe nur als Ausnahme statuiren, wurden mit einer Majorität von elf Stimmen angenommen. Für die Civilehe stimmten, außer den zwölf rheinhessischen, noch sechs Abge¬ ordnete der andern Provinzen. Nach diesem betrübenden Resultat stellte der rheinhessische Abgeordnete Kilian das Amendement, der Provinz Rheinhessen wenigstens möchte wie bisher das Institut der Civilehe gelassen werden, aber auch dieses fiel mit dreißig gegen siebzehn Stimmen durch; das mit Recht, denn wenn man dem Lande ein Gesetzbuch ge¬ ben will, so soll man ihm auch ein Gesetz geben. Freilich hätte die¬ ses in Rücksicht auf die Ehe anders ausfallen müssen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/502>, abgerufen am 23.07.2024.