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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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Verfassung ausdrücklich gelassen, obschon in der Besitzergreifungsacte
vom 8. Juli 1816 nicht undeutlich darauf hingedeutet ward, daß seiner
Zeit wohl eine Aenderung erfolgen könne. Schon auf dein eisten
Landtag von 1820 wurde von deu Kammern beschlossen, dem ganzen
.Großherzogthum ein Gesetzbuch zu verleihen und dieser Beschluß so¬
gar in der Verfassungsurkunde berücksichtigt. 183" ward besonders
diese Sache wieder in Anregung gebracht und 1839 ward der Ent¬
wurf des Strafgesetzbuches den Kammern vorgelegt, welcher 1849 von
denselben auch angenommen wurde. Der zehnte Landtag war nun
hauptsächlich dazu berufen, den Entwurf des Civilgesetzbuchs zu prüfen.
In Hinsicht dessen hatte man in Rheinhessen keinen Argwohn. Man
glaubte, die Regierung und mit ihr die Gesetzgebungscommission huldige
wenigstens in der Weise dem Fortschritt, daß sie die anerkannt bessern
Institutionen der französischen Gesetzgebung, für welche sich Gelehrte und
Volk längst offen ausgesprochen hatten, in ihr Werk verflechten wür¬
den, wie dies in indirecter Weise selbst versprochen worden war. Aber
wie ein Donnerschlag siel plötzlich die Nachricht in das rheinhessische
Volk, daß der Entwurf des neuen Civilgesetzbuchs das Princip der Civil¬
ehe verwerfe! Man war starr vor Erstaunen und Bestürzung, aber
man blieb ruhig, man erholte sich wieder von dem ersten Schrecken.
Denn, sagten sich die Rheinhessen, der Ausschußbericht wird sich sicher¬
lich für die Civilehe aussprechen und in unserer Kammer sitzen aufge¬
klärte Männer genug, so daß die beireffenden Artikel des Gesetzes un¬
möglich durchgehen können. Die erste Voraussetzung war richtig: der
Ausschuß sprach sich, mit Ausnahme einer Stimme, für das Princip
der Civilehe aus -- aber die zweite nicht! Bald verbreitete sich über¬
all hin das Gerücht, die Majorität der Kammer sei gegen den Aus¬
schußbericht; ja, der landständische Regierungscommissär, Ministerial-
rath Breitenbach, erklärte, die Staatsregierung würde auf dein
Entwurf bestehen und durchaus nicht nachgeben. Da ward es den
Rheinhessen wirklich bange. Von allen Wahlbezirken kamen Adressen,
mit taufenden von Unterschriften bedeckt, an die Deputaten, welche diese er¬
nährten, an des Volkes Wunsch und Glück standhaft zu denken ; ja,
es wurden sogar Petitionen an den Großherzog gesandt, diese aber,
als durch die Verfassungsurkunde streng verboten, zurückgewiesen. Die
Kammerverhandlungen begannen. Es war erfreulich zu sehen, wie
sich in denselben dem Ministerium und seinen Anhängern gegenüber
wieder zum ersten Male eine kräftige, wenn auch einseitige Opposition
geltend zu machen wußte. Mit allen Waffen der Wissenschaft, der


Verfassung ausdrücklich gelassen, obschon in der Besitzergreifungsacte
vom 8. Juli 1816 nicht undeutlich darauf hingedeutet ward, daß seiner
Zeit wohl eine Aenderung erfolgen könne. Schon auf dein eisten
Landtag von 1820 wurde von deu Kammern beschlossen, dem ganzen
.Großherzogthum ein Gesetzbuch zu verleihen und dieser Beschluß so¬
gar in der Verfassungsurkunde berücksichtigt. 183» ward besonders
diese Sache wieder in Anregung gebracht und 1839 ward der Ent¬
wurf des Strafgesetzbuches den Kammern vorgelegt, welcher 1849 von
denselben auch angenommen wurde. Der zehnte Landtag war nun
hauptsächlich dazu berufen, den Entwurf des Civilgesetzbuchs zu prüfen.
In Hinsicht dessen hatte man in Rheinhessen keinen Argwohn. Man
glaubte, die Regierung und mit ihr die Gesetzgebungscommission huldige
wenigstens in der Weise dem Fortschritt, daß sie die anerkannt bessern
Institutionen der französischen Gesetzgebung, für welche sich Gelehrte und
Volk längst offen ausgesprochen hatten, in ihr Werk verflechten wür¬
den, wie dies in indirecter Weise selbst versprochen worden war. Aber
wie ein Donnerschlag siel plötzlich die Nachricht in das rheinhessische
Volk, daß der Entwurf des neuen Civilgesetzbuchs das Princip der Civil¬
ehe verwerfe! Man war starr vor Erstaunen und Bestürzung, aber
man blieb ruhig, man erholte sich wieder von dem ersten Schrecken.
Denn, sagten sich die Rheinhessen, der Ausschußbericht wird sich sicher¬
lich für die Civilehe aussprechen und in unserer Kammer sitzen aufge¬
klärte Männer genug, so daß die beireffenden Artikel des Gesetzes un¬
möglich durchgehen können. Die erste Voraussetzung war richtig: der
Ausschuß sprach sich, mit Ausnahme einer Stimme, für das Princip
der Civilehe aus — aber die zweite nicht! Bald verbreitete sich über¬
all hin das Gerücht, die Majorität der Kammer sei gegen den Aus¬
schußbericht; ja, der landständische Regierungscommissär, Ministerial-
rath Breitenbach, erklärte, die Staatsregierung würde auf dein
Entwurf bestehen und durchaus nicht nachgeben. Da ward es den
Rheinhessen wirklich bange. Von allen Wahlbezirken kamen Adressen,
mit taufenden von Unterschriften bedeckt, an die Deputaten, welche diese er¬
nährten, an des Volkes Wunsch und Glück standhaft zu denken ; ja,
es wurden sogar Petitionen an den Großherzog gesandt, diese aber,
als durch die Verfassungsurkunde streng verboten, zurückgewiesen. Die
Kammerverhandlungen begannen. Es war erfreulich zu sehen, wie
sich in denselben dem Ministerium und seinen Anhängern gegenüber
wieder zum ersten Male eine kräftige, wenn auch einseitige Opposition
geltend zu machen wußte. Mit allen Waffen der Wissenschaft, der


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[0501] Verfassung ausdrücklich gelassen, obschon in der Besitzergreifungsacte vom 8. Juli 1816 nicht undeutlich darauf hingedeutet ward, daß seiner Zeit wohl eine Aenderung erfolgen könne. Schon auf dein eisten Landtag von 1820 wurde von deu Kammern beschlossen, dem ganzen .Großherzogthum ein Gesetzbuch zu verleihen und dieser Beschluß so¬ gar in der Verfassungsurkunde berücksichtigt. 183» ward besonders diese Sache wieder in Anregung gebracht und 1839 ward der Ent¬ wurf des Strafgesetzbuches den Kammern vorgelegt, welcher 1849 von denselben auch angenommen wurde. Der zehnte Landtag war nun hauptsächlich dazu berufen, den Entwurf des Civilgesetzbuchs zu prüfen. In Hinsicht dessen hatte man in Rheinhessen keinen Argwohn. Man glaubte, die Regierung und mit ihr die Gesetzgebungscommission huldige wenigstens in der Weise dem Fortschritt, daß sie die anerkannt bessern Institutionen der französischen Gesetzgebung, für welche sich Gelehrte und Volk längst offen ausgesprochen hatten, in ihr Werk verflechten wür¬ den, wie dies in indirecter Weise selbst versprochen worden war. Aber wie ein Donnerschlag siel plötzlich die Nachricht in das rheinhessische Volk, daß der Entwurf des neuen Civilgesetzbuchs das Princip der Civil¬ ehe verwerfe! Man war starr vor Erstaunen und Bestürzung, aber man blieb ruhig, man erholte sich wieder von dem ersten Schrecken. Denn, sagten sich die Rheinhessen, der Ausschußbericht wird sich sicher¬ lich für die Civilehe aussprechen und in unserer Kammer sitzen aufge¬ klärte Männer genug, so daß die beireffenden Artikel des Gesetzes un¬ möglich durchgehen können. Die erste Voraussetzung war richtig: der Ausschuß sprach sich, mit Ausnahme einer Stimme, für das Princip der Civilehe aus — aber die zweite nicht! Bald verbreitete sich über¬ all hin das Gerücht, die Majorität der Kammer sei gegen den Aus¬ schußbericht; ja, der landständische Regierungscommissär, Ministerial- rath Breitenbach, erklärte, die Staatsregierung würde auf dein Entwurf bestehen und durchaus nicht nachgeben. Da ward es den Rheinhessen wirklich bange. Von allen Wahlbezirken kamen Adressen, mit taufenden von Unterschriften bedeckt, an die Deputaten, welche diese er¬ nährten, an des Volkes Wunsch und Glück standhaft zu denken ; ja, es wurden sogar Petitionen an den Großherzog gesandt, diese aber, als durch die Verfassungsurkunde streng verboten, zurückgewiesen. Die Kammerverhandlungen begannen. Es war erfreulich zu sehen, wie sich in denselben dem Ministerium und seinen Anhängern gegenüber wieder zum ersten Male eine kräftige, wenn auch einseitige Opposition geltend zu machen wußte. Mit allen Waffen der Wissenschaft, der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/501>, abgerufen am 23.07.2024.