Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.lungen, weder üblich, noch sichtbar -- wie kann der Schwabe über Eine Wurzel des Volkes aber sind seine Institutionen, die Gesetze, lungen, weder üblich, noch sichtbar — wie kann der Schwabe über Eine Wurzel des Volkes aber sind seine Institutionen, die Gesetze, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0500" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/184082"/> <p xml:id="ID_1414" prev="#ID_1413"> lungen, weder üblich, noch sichtbar — wie kann der Schwabe über<lb/> die lebendigen Sympathien eines ihm fast fremden, hessischen Volks¬<lb/> stammes reden? Dergleichen Wahlmißgriffe ließen sich noch eine Menge<lb/> bezeichnen. So u. A. hörten wir in der ersten Discussion über Civil¬<lb/> ehe und kirchliche Trauung einen Redner von Moral, Tugend, Reli¬<lb/> giosität in pomphaften Worten reden, und wir hätten lachen müsse»,<lb/> wenn uns das Weinen nicht näher gewesen wäre. Derselbe Mann<lb/> hat nicht allein schwere Beschuldigungen hinsichtlich seiner einstigen<lb/> Function als Untersuchungsrichter im Prozeß Weidig's und Con-<lb/> sorten hinnehmen müssen, sondern es ward ihm auch von zweien<lb/> der berühmtesten Aerzte Darmstadts nachgewiesen, bewiesen, daß er<lb/> während jener Zeit — Jo^U/it« ,1it:tu! —> dem Säuferwahnsinn ver¬<lb/> fallen war. Gereicht solcher Vertreter seinem Wahlbezirke, oder der<lb/> Kammer, etwa zur Ehre? Können seine schönen Worte einigen Ein¬<lb/> druck machen, wenn man seines Lebens gedenkt? Doch läßt sich auch<lb/> wiederum nicht leugnen, daß die Hessen-darmstädtische zweite Kammer<lb/> zu ihren Mitgliedern manche tüchtige, besonnene, allgemein und wissen¬<lb/> schaftlich gebildete, ja geistreiche Männer zählt. Doch ist die Anzahl<lb/> derselben nicht groß im Vergleich zu Denjenigen, welche sich nicht über<lb/> das Niveau deö Gewöhnlichen erheben. Ob aber in einem Einzigen<lb/> das große Gefühl des gemeinsamen deutscheu Vaterlandes, seiner heilig¬<lb/> sten Angelegenheiten und Wünsche ächt und recht lebt und webt, das<lb/> müssen wir sehr bezweifeln. Denn dann müßte, wie in Baden, eine<lb/> scharf ausgeprägte Opposition vorhanden sein, welche, wenn sie auch<lb/> nur zuerst das Oertliche, speciell Heimathliche, in'ö Auge faßte, doch<lb/> auf dessen Basis manches dem großen Vaterlande Ersprießliche auf<lb/> der Bahn des Fortschritts zu leisten versuchte. Aber nein! Höchstens<lb/> ein Zank über das Budget, höchstens einmal ein starker Ausruf über<lb/> des Ministeriums eigenmächtiges Schalten bewegen die friedlichen Räume<lb/> der hessischen Ständeversammlung. Es muß an den Wurzeln deö<lb/> Volkes gerüttelt werden, ehe es einmal zu einem hitzigen Gefechte<lb/> kommt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1415" next="#ID_1416"> Eine Wurzel des Volkes aber sind seine Institutionen, die Gesetze,<lb/> auf welche es fußt, weil es sie achtet, sie für sich angemessen hält, sie<lb/> liebgewonnen hat. Reißt man diese eine Wurzel aus, so leidet und<lb/> schwankt der ganze Stamm. Rheinhessen, zur Zeit des rheinischen<lb/> Bundes zu dem Departement Donnersberg gehörend, ist seit dreißig<lb/> Jahren dem Großherzogthum Hessen einverleibt. Es wurde dieser<lb/> Provinz die längst eingeführte französische Gesetzgebung und Gerichts-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0500]
lungen, weder üblich, noch sichtbar — wie kann der Schwabe über
die lebendigen Sympathien eines ihm fast fremden, hessischen Volks¬
stammes reden? Dergleichen Wahlmißgriffe ließen sich noch eine Menge
bezeichnen. So u. A. hörten wir in der ersten Discussion über Civil¬
ehe und kirchliche Trauung einen Redner von Moral, Tugend, Reli¬
giosität in pomphaften Worten reden, und wir hätten lachen müsse»,
wenn uns das Weinen nicht näher gewesen wäre. Derselbe Mann
hat nicht allein schwere Beschuldigungen hinsichtlich seiner einstigen
Function als Untersuchungsrichter im Prozeß Weidig's und Con-
sorten hinnehmen müssen, sondern es ward ihm auch von zweien
der berühmtesten Aerzte Darmstadts nachgewiesen, bewiesen, daß er
während jener Zeit — Jo^U/it« ,1it:tu! —> dem Säuferwahnsinn ver¬
fallen war. Gereicht solcher Vertreter seinem Wahlbezirke, oder der
Kammer, etwa zur Ehre? Können seine schönen Worte einigen Ein¬
druck machen, wenn man seines Lebens gedenkt? Doch läßt sich auch
wiederum nicht leugnen, daß die Hessen-darmstädtische zweite Kammer
zu ihren Mitgliedern manche tüchtige, besonnene, allgemein und wissen¬
schaftlich gebildete, ja geistreiche Männer zählt. Doch ist die Anzahl
derselben nicht groß im Vergleich zu Denjenigen, welche sich nicht über
das Niveau deö Gewöhnlichen erheben. Ob aber in einem Einzigen
das große Gefühl des gemeinsamen deutscheu Vaterlandes, seiner heilig¬
sten Angelegenheiten und Wünsche ächt und recht lebt und webt, das
müssen wir sehr bezweifeln. Denn dann müßte, wie in Baden, eine
scharf ausgeprägte Opposition vorhanden sein, welche, wenn sie auch
nur zuerst das Oertliche, speciell Heimathliche, in'ö Auge faßte, doch
auf dessen Basis manches dem großen Vaterlande Ersprießliche auf
der Bahn des Fortschritts zu leisten versuchte. Aber nein! Höchstens
ein Zank über das Budget, höchstens einmal ein starker Ausruf über
des Ministeriums eigenmächtiges Schalten bewegen die friedlichen Räume
der hessischen Ständeversammlung. Es muß an den Wurzeln deö
Volkes gerüttelt werden, ehe es einmal zu einem hitzigen Gefechte
kommt.
Eine Wurzel des Volkes aber sind seine Institutionen, die Gesetze,
auf welche es fußt, weil es sie achtet, sie für sich angemessen hält, sie
liebgewonnen hat. Reißt man diese eine Wurzel aus, so leidet und
schwankt der ganze Stamm. Rheinhessen, zur Zeit des rheinischen
Bundes zu dem Departement Donnersberg gehörend, ist seit dreißig
Jahren dem Großherzogthum Hessen einverleibt. Es wurde dieser
Provinz die längst eingeführte französische Gesetzgebung und Gerichts-
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