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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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dies die Verfassungsurkunde mit Worten darstellt. Wir verweisen nur
auf die Ereignisse von 1833. Damals hatte Darmstadts Landtag eine
Opposition, welche an Geist, Gesinnung, Rechtsgefühl und Willens¬
kraft mit jeder der berühmtesten wetteifern konnte. Aber man wußte
sie nicht ohne Schlauheit zu decimiren. Mitglieder derselben, Staats-
diener, wurden in Ruhestand gesetzt) deu nicht ganz sichern, aus An¬
gestellten gewählten, Abgeordneten des sechsten Landtags der Urlaub
verweigert lind alle Zeitungen unterdrückt, welche die Interessen der
linken Seite mehr oder minder scharf vertraten. Dadurch namentlich
ward der Ausfluß der lebendigen Quelle in das Volk gedämmt, und
wie mißlich es für eine Opposition ist, wenn sie der Stütze der öffent¬
lichen Organe entbehren muß, lehrt hinreichend die Geschichte aller
deutschen Ständekammern. So kam es denn, daß in der zweiten Kam¬
mer der heff.-darmstädtischen Stände die Opposition immer schwächer,
immer limiter ward, bis sie endlich sich ganz unterwarf, mit den Ja-
Herren zusammenschmolz und nun die Lnndstandfchaft den "erfreulichen
Zustand der Uncmimität" repräsentirte.

Daraus wird klar werden, daß die Bestandtheile der jetzigen zweiten
Kammer eben nicht sehr heterogener Natur sind. Die Mehrzahl der
Abgeordneten gehört dem Beamtenstande an, muß also von vornherein
ihre subjective Meinung mit derjenigen einer Regierung in Einklang
zu bringen suchen, welche sie besoldet, ihre Eristenz bedingt, sie pensio^-
iliren oder nicht avanciren lassen kann. Das ist schon ein <?asu"
ttblüiuus! Nur eine sehr geringe Zahl unabhängiger Bürger, Guts¬
besitzer, nur ein Mitglied des zum Deputirtenamt berufensten Standes,
der Advocatenschaft, befinden sich unter der diesmaligen Zahl der Stände.
Den reactionär oder wenigstens in stabilen Sinne geleiteten Wahlen
ist es allein zuzuschreiben, daß Männer als Abgeordnete gewählt sind,
welche zu diesem wichtigen Amte durchaus nicht passen. Hat man
doch sogar einen Stockschwaben, der kaum vierzig Jahre alt sein kann
und welcher als Oekonomierath in's Land berufen, als solcher dem
Namen nach seit wenigen Jahren fungirt und von selbstgemachten
Rufe zehrt, in die Kammer gebracht! Welchen Eindruck macht es nun
auf den Landbewohner, der von der Gallerte herab seine Volksvertreter
einmal sehen und hören will, wenn er plötzlich unter bekannten Tönen
ein fremdes, radebrechendes Idiom in stockenden Sätzen vernimmt, das
selbst den Kammermitgliedern, geschweige denn den Bauern unterstände
kleb ist! Wie kann ein solcher "Ausländer" -- denn daß die Deutschen
Brüder genannt werden, ist heutzutage, zumal in den Kammerverhand-


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dies die Verfassungsurkunde mit Worten darstellt. Wir verweisen nur
auf die Ereignisse von 1833. Damals hatte Darmstadts Landtag eine
Opposition, welche an Geist, Gesinnung, Rechtsgefühl und Willens¬
kraft mit jeder der berühmtesten wetteifern konnte. Aber man wußte
sie nicht ohne Schlauheit zu decimiren. Mitglieder derselben, Staats-
diener, wurden in Ruhestand gesetzt) deu nicht ganz sichern, aus An¬
gestellten gewählten, Abgeordneten des sechsten Landtags der Urlaub
verweigert lind alle Zeitungen unterdrückt, welche die Interessen der
linken Seite mehr oder minder scharf vertraten. Dadurch namentlich
ward der Ausfluß der lebendigen Quelle in das Volk gedämmt, und
wie mißlich es für eine Opposition ist, wenn sie der Stütze der öffent¬
lichen Organe entbehren muß, lehrt hinreichend die Geschichte aller
deutschen Ständekammern. So kam es denn, daß in der zweiten Kam¬
mer der heff.-darmstädtischen Stände die Opposition immer schwächer,
immer limiter ward, bis sie endlich sich ganz unterwarf, mit den Ja-
Herren zusammenschmolz und nun die Lnndstandfchaft den „erfreulichen
Zustand der Uncmimität" repräsentirte.

Daraus wird klar werden, daß die Bestandtheile der jetzigen zweiten
Kammer eben nicht sehr heterogener Natur sind. Die Mehrzahl der
Abgeordneten gehört dem Beamtenstande an, muß also von vornherein
ihre subjective Meinung mit derjenigen einer Regierung in Einklang
zu bringen suchen, welche sie besoldet, ihre Eristenz bedingt, sie pensio^-
iliren oder nicht avanciren lassen kann. Das ist schon ein <?asu»
ttblüiuus! Nur eine sehr geringe Zahl unabhängiger Bürger, Guts¬
besitzer, nur ein Mitglied des zum Deputirtenamt berufensten Standes,
der Advocatenschaft, befinden sich unter der diesmaligen Zahl der Stände.
Den reactionär oder wenigstens in stabilen Sinne geleiteten Wahlen
ist es allein zuzuschreiben, daß Männer als Abgeordnete gewählt sind,
welche zu diesem wichtigen Amte durchaus nicht passen. Hat man
doch sogar einen Stockschwaben, der kaum vierzig Jahre alt sein kann
und welcher als Oekonomierath in's Land berufen, als solcher dem
Namen nach seit wenigen Jahren fungirt und von selbstgemachten
Rufe zehrt, in die Kammer gebracht! Welchen Eindruck macht es nun
auf den Landbewohner, der von der Gallerte herab seine Volksvertreter
einmal sehen und hören will, wenn er plötzlich unter bekannten Tönen
ein fremdes, radebrechendes Idiom in stockenden Sätzen vernimmt, das
selbst den Kammermitgliedern, geschweige denn den Bauern unterstände
kleb ist! Wie kann ein solcher „Ausländer" — denn daß die Deutschen
Brüder genannt werden, ist heutzutage, zumal in den Kammerverhand-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/499>, abgerufen am 23.07.2024.