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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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schon, ob ich das Anerbieten annehmen sollte, da fiel mir eine Anzeige
in einer Zeitung in die Hand, zufolge welcher in Espenwalde Schau¬
spieler gesucht wurden. Das schien mir ein Wink des Schicksals --
ich richtete meinen Marsch nach Espenwalde. Ach, ich wußte nicht,
wohin ich ging- Dieser Ort lag noch zwei und eine halbe Tagereise
-- für einen Fußgänger -- von Ellerhausen -- und mitten in einem
öden Gebirge, in einer der unwirthbarsten Gegenden Deutschlands.
Am dritten Tage kam ich in die Berge. Von Straßen war da keine
Rede, bergauf, bergab zog sich über kahle Berge ein breiter Weg,
wenn man das einen Weg nennen kann, wo in der Breite einer Vier¬
telstunde Radspuren zweirädriger Karren eine Richtung andeuten. Ich
ging vier Stunden, ohne einen Menschen, ohne ein Haus zu sehen,
selbst Thiere kamen mir nicht zu Gesicht. Mich überfiel eine förmliche
Bangigkeit. Allein in der gräßlichen Oede, von dem Bergsteigen er¬
müder, von der drückenden Sonnenhitze erschöpft, verlor ich allen Muth;
hundert Meilen von der Heimat!) entfernt, im Umkreise von vielen
Stunden keinen Menschen wissend, der mich kannte, dabei ohne alle
Mittel, kam ich mir so unglücklich vor, mein Gemüth war so nieder¬
gedrückt, daß ich nichts mehr hoffte. Plötzlich erblickte ich, auf dem
Gipfel eines Berges angekommen, eine Pappelreihe, ein Chausseehaus
-- und der Anblick dieser ersten Spur von Cultur wirkte in meiner
niedergedrückten Stimmung so mächtig, daß mir die Thränen aus den
Augen stürzten. Mir war, als liefe ich nach harter Lebensfahrt in den
Hafen der bergenden Heimach ein. -- Ich kam nach Espenwalde und
spielte schon am andern Abend meine Antrittsrolle. Dieses Städtchen
lag fern von allem Verkehr und aller Berührung mit der Welt. Meine
Wohnung war sehr billig -- sie kostete einen Thaler monatlich --
bot mir aber nichts, als einen mit Laub gefüllten Bettsack mit baum¬
wollner Decke, einen hölzernen Tisch und Stuhl. Die Cultur war so
weit zurück, daß die gewöhnliche Bequemlichkeit wohnlicher Gemächer
in Espenwalde zu den Luxusartikeln gehörte. Und doch hatten wir
einen der schönsten Säle zur Bühne. In einer großen, gewaltigen
Abtei -- ein deutscher Kaiser hatte sich einst darein zurückgezogen --
war uns das Refektorium eingeräumt worden, ein Saal von so großer
Ausdehnung, daß man wohl sehen konnte, die alten Mönche predigten
gern von Entsagung, übten sie aber selbst nicht. Die Gesellschaft be¬
stand aus kaum acht Personen und war jämmerlich -- und doch habe
ich da sechs nicht unangenehme Wochen verlebt. Die Umgegend war
herrlich und bot die prachtvollsten Spaziergänge -- Zeit hatten wir


Ärcnzbotti,. IV. 1S"S.

schon, ob ich das Anerbieten annehmen sollte, da fiel mir eine Anzeige
in einer Zeitung in die Hand, zufolge welcher in Espenwalde Schau¬
spieler gesucht wurden. Das schien mir ein Wink des Schicksals —
ich richtete meinen Marsch nach Espenwalde. Ach, ich wußte nicht,
wohin ich ging- Dieser Ort lag noch zwei und eine halbe Tagereise
— für einen Fußgänger — von Ellerhausen — und mitten in einem
öden Gebirge, in einer der unwirthbarsten Gegenden Deutschlands.
Am dritten Tage kam ich in die Berge. Von Straßen war da keine
Rede, bergauf, bergab zog sich über kahle Berge ein breiter Weg,
wenn man das einen Weg nennen kann, wo in der Breite einer Vier¬
telstunde Radspuren zweirädriger Karren eine Richtung andeuten. Ich
ging vier Stunden, ohne einen Menschen, ohne ein Haus zu sehen,
selbst Thiere kamen mir nicht zu Gesicht. Mich überfiel eine förmliche
Bangigkeit. Allein in der gräßlichen Oede, von dem Bergsteigen er¬
müder, von der drückenden Sonnenhitze erschöpft, verlor ich allen Muth;
hundert Meilen von der Heimat!) entfernt, im Umkreise von vielen
Stunden keinen Menschen wissend, der mich kannte, dabei ohne alle
Mittel, kam ich mir so unglücklich vor, mein Gemüth war so nieder¬
gedrückt, daß ich nichts mehr hoffte. Plötzlich erblickte ich, auf dem
Gipfel eines Berges angekommen, eine Pappelreihe, ein Chausseehaus
— und der Anblick dieser ersten Spur von Cultur wirkte in meiner
niedergedrückten Stimmung so mächtig, daß mir die Thränen aus den
Augen stürzten. Mir war, als liefe ich nach harter Lebensfahrt in den
Hafen der bergenden Heimach ein. — Ich kam nach Espenwalde und
spielte schon am andern Abend meine Antrittsrolle. Dieses Städtchen
lag fern von allem Verkehr und aller Berührung mit der Welt. Meine
Wohnung war sehr billig — sie kostete einen Thaler monatlich —
bot mir aber nichts, als einen mit Laub gefüllten Bettsack mit baum¬
wollner Decke, einen hölzernen Tisch und Stuhl. Die Cultur war so
weit zurück, daß die gewöhnliche Bequemlichkeit wohnlicher Gemächer
in Espenwalde zu den Luxusartikeln gehörte. Und doch hatten wir
einen der schönsten Säle zur Bühne. In einer großen, gewaltigen
Abtei — ein deutscher Kaiser hatte sich einst darein zurückgezogen —
war uns das Refektorium eingeräumt worden, ein Saal von so großer
Ausdehnung, daß man wohl sehen konnte, die alten Mönche predigten
gern von Entsagung, übten sie aber selbst nicht. Die Gesellschaft be¬
stand aus kaum acht Personen und war jämmerlich — und doch habe
ich da sechs nicht unangenehme Wochen verlebt. Die Umgegend war
herrlich und bot die prachtvollsten Spaziergänge — Zeit hatten wir


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/469>, abgerufen am 23.07.2024.