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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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Ja, rufen sie, man hatte auch einmal ohne Columbus.Amerika
entdeckt! Es war ja vorhanden, wie jetzt die Eisenbahnen in England
und Amerika vorhanden waren! -- Freilich, und zur Antwort darauf
ist die Geschichte mit dem El des Columbus erfunden worden.
'

Selbst als der Entschluß gefaßt und die erste Hand ans Werk ge¬
legt war zur Bahn nach Dresden, selbst da noch galt sein Entwickeln
eines großen Eisenbahnnetzes für Chimäre eines unter Beschränkung recht
verdienstlichen aber doch sehr überspannten Kopfes, und jetzt da ihn am
Fuße der Tyroler Berge, welche er so gern besiegen wollte für seine
Schienen zur Bahn nach Ostindien, ein frühzeitiger Tod in's Grab
wirft, jetzt schon ist dies Listsche Eisenbahnnetz von aller Welt als eine
Nothwendigkeit, als das Fundament einer neuen Geschichtsepoche aner¬
kannt, ja in den Hauptlinien beinahe fertig.

In Paris begegnete ich ihm zum zweiten Male. Er wohnte da
oben, wo sich die <s?labt gegen den Montmartre erhebt, in einem jener
stillen Straßen, wo auch Heine damals, fern vom Geräusche, seine furcht¬
baren Pfeile schmiedete. Heine's Straße hieß die "der Märtyrer", List's
Straße die "von Navarino". Dort im Frieden einer lieblichen Familie,
welche aus dem Schwabenlande stammte, aber in Amerika angewachsen
war, in England gelebt, in Deutschland die alte und neue Heimath gar
ungern wieder verloren hatte, mitten unter sanften Frauenbildern lebte
der innerlich so vulkanisch bewegte Mann und entwickelte den Besuchern
die neuen Pläne seines immerdar kreisenden Geistes. Er hatte den König
Ludwig Philipp gesprochen und diesem eine Reform der französischen
Nationalökonomie vorgeschlagen, er war mit den Ministern in Verbindung
und rühmte besonders Thiers als einen der wenigen Franzosen, welcher
Spekulation verstünde; aber er war nicht in seinem Fahrwasser. Der
alte Schwabe' hatte die Heimath, hatte das Vaterland keinen Augenblick
vergessen, und es machte ihm lähmende Mühe, den Franzosen eine Form
zuzurichten, welche doch auf Deutschland nicht nur keinen Nachtheil,
sondern sogar Vortheil bringen könnte. "Und man kann nicht zweien
Herren dienen," sagte er ärgerlich, "und ich möchte heim, und daheim
geht's doch gar so träg aus der Stelle, und es ist kein anderer Anknü¬
pfungspunkt aufzufinden, als ein literarischer, und wenn man an diesem
sich hineinschwenken will in den Mittelpunkt Deutschlands, so fällt man
unter die Zöpfe, welche unter Wissenschaft nichts verstehen, als von
Station zu Station regelmäßig Eingelerntes."

Er schrieb damals an seiner Nationalökonomie, die er Cotta ange¬
tragen, und war diesmal auch für uns der etwas überspannt aussehen¬
den Meinung, daß er mit diesem Buche eine tiefe politische Reform er¬
zwingen werde, wenn Eotta das Buch richtig betreibe.

Wenige Jahre darauf waren unsere Zweifel beschämt. Man mag
dem List'schen Systeme zustimmen und mit ihm durch Dick und Dünn
gehen wie ich, oder man mag ihm Opposition machen -- auf der einen
wie auf der andern Seite muß man einräumen, daß die Ausbreitung
dieses Systems eine riefe Bewegung hervorgebracht hat und von jetzt
noch unabsehbaren Folgen für unser Vaterland geworden ist. Die Eng-


Ja, rufen sie, man hatte auch einmal ohne Columbus.Amerika
entdeckt! Es war ja vorhanden, wie jetzt die Eisenbahnen in England
und Amerika vorhanden waren! — Freilich, und zur Antwort darauf
ist die Geschichte mit dem El des Columbus erfunden worden.
'

Selbst als der Entschluß gefaßt und die erste Hand ans Werk ge¬
legt war zur Bahn nach Dresden, selbst da noch galt sein Entwickeln
eines großen Eisenbahnnetzes für Chimäre eines unter Beschränkung recht
verdienstlichen aber doch sehr überspannten Kopfes, und jetzt da ihn am
Fuße der Tyroler Berge, welche er so gern besiegen wollte für seine
Schienen zur Bahn nach Ostindien, ein frühzeitiger Tod in's Grab
wirft, jetzt schon ist dies Listsche Eisenbahnnetz von aller Welt als eine
Nothwendigkeit, als das Fundament einer neuen Geschichtsepoche aner¬
kannt, ja in den Hauptlinien beinahe fertig.

In Paris begegnete ich ihm zum zweiten Male. Er wohnte da
oben, wo sich die <s?labt gegen den Montmartre erhebt, in einem jener
stillen Straßen, wo auch Heine damals, fern vom Geräusche, seine furcht¬
baren Pfeile schmiedete. Heine's Straße hieß die „der Märtyrer", List's
Straße die „von Navarino". Dort im Frieden einer lieblichen Familie,
welche aus dem Schwabenlande stammte, aber in Amerika angewachsen
war, in England gelebt, in Deutschland die alte und neue Heimath gar
ungern wieder verloren hatte, mitten unter sanften Frauenbildern lebte
der innerlich so vulkanisch bewegte Mann und entwickelte den Besuchern
die neuen Pläne seines immerdar kreisenden Geistes. Er hatte den König
Ludwig Philipp gesprochen und diesem eine Reform der französischen
Nationalökonomie vorgeschlagen, er war mit den Ministern in Verbindung
und rühmte besonders Thiers als einen der wenigen Franzosen, welcher
Spekulation verstünde; aber er war nicht in seinem Fahrwasser. Der
alte Schwabe' hatte die Heimath, hatte das Vaterland keinen Augenblick
vergessen, und es machte ihm lähmende Mühe, den Franzosen eine Form
zuzurichten, welche doch auf Deutschland nicht nur keinen Nachtheil,
sondern sogar Vortheil bringen könnte. „Und man kann nicht zweien
Herren dienen," sagte er ärgerlich, „und ich möchte heim, und daheim
geht's doch gar so träg aus der Stelle, und es ist kein anderer Anknü¬
pfungspunkt aufzufinden, als ein literarischer, und wenn man an diesem
sich hineinschwenken will in den Mittelpunkt Deutschlands, so fällt man
unter die Zöpfe, welche unter Wissenschaft nichts verstehen, als von
Station zu Station regelmäßig Eingelerntes."

Er schrieb damals an seiner Nationalökonomie, die er Cotta ange¬
tragen, und war diesmal auch für uns der etwas überspannt aussehen¬
den Meinung, daß er mit diesem Buche eine tiefe politische Reform er¬
zwingen werde, wenn Eotta das Buch richtig betreibe.

Wenige Jahre darauf waren unsere Zweifel beschämt. Man mag
dem List'schen Systeme zustimmen und mit ihm durch Dick und Dünn
gehen wie ich, oder man mag ihm Opposition machen — auf der einen
wie auf der andern Seite muß man einräumen, daß die Ausbreitung
dieses Systems eine riefe Bewegung hervorgebracht hat und von jetzt
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[0443] Ja, rufen sie, man hatte auch einmal ohne Columbus.Amerika entdeckt! Es war ja vorhanden, wie jetzt die Eisenbahnen in England und Amerika vorhanden waren! — Freilich, und zur Antwort darauf ist die Geschichte mit dem El des Columbus erfunden worden. ' Selbst als der Entschluß gefaßt und die erste Hand ans Werk ge¬ legt war zur Bahn nach Dresden, selbst da noch galt sein Entwickeln eines großen Eisenbahnnetzes für Chimäre eines unter Beschränkung recht verdienstlichen aber doch sehr überspannten Kopfes, und jetzt da ihn am Fuße der Tyroler Berge, welche er so gern besiegen wollte für seine Schienen zur Bahn nach Ostindien, ein frühzeitiger Tod in's Grab wirft, jetzt schon ist dies Listsche Eisenbahnnetz von aller Welt als eine Nothwendigkeit, als das Fundament einer neuen Geschichtsepoche aner¬ kannt, ja in den Hauptlinien beinahe fertig. In Paris begegnete ich ihm zum zweiten Male. Er wohnte da oben, wo sich die <s?labt gegen den Montmartre erhebt, in einem jener stillen Straßen, wo auch Heine damals, fern vom Geräusche, seine furcht¬ baren Pfeile schmiedete. Heine's Straße hieß die „der Märtyrer", List's Straße die „von Navarino". Dort im Frieden einer lieblichen Familie, welche aus dem Schwabenlande stammte, aber in Amerika angewachsen war, in England gelebt, in Deutschland die alte und neue Heimath gar ungern wieder verloren hatte, mitten unter sanften Frauenbildern lebte der innerlich so vulkanisch bewegte Mann und entwickelte den Besuchern die neuen Pläne seines immerdar kreisenden Geistes. Er hatte den König Ludwig Philipp gesprochen und diesem eine Reform der französischen Nationalökonomie vorgeschlagen, er war mit den Ministern in Verbindung und rühmte besonders Thiers als einen der wenigen Franzosen, welcher Spekulation verstünde; aber er war nicht in seinem Fahrwasser. Der alte Schwabe' hatte die Heimath, hatte das Vaterland keinen Augenblick vergessen, und es machte ihm lähmende Mühe, den Franzosen eine Form zuzurichten, welche doch auf Deutschland nicht nur keinen Nachtheil, sondern sogar Vortheil bringen könnte. „Und man kann nicht zweien Herren dienen," sagte er ärgerlich, „und ich möchte heim, und daheim geht's doch gar so träg aus der Stelle, und es ist kein anderer Anknü¬ pfungspunkt aufzufinden, als ein literarischer, und wenn man an diesem sich hineinschwenken will in den Mittelpunkt Deutschlands, so fällt man unter die Zöpfe, welche unter Wissenschaft nichts verstehen, als von Station zu Station regelmäßig Eingelerntes." Er schrieb damals an seiner Nationalökonomie, die er Cotta ange¬ tragen, und war diesmal auch für uns der etwas überspannt aussehen¬ den Meinung, daß er mit diesem Buche eine tiefe politische Reform er¬ zwingen werde, wenn Eotta das Buch richtig betreibe. Wenige Jahre darauf waren unsere Zweifel beschämt. Man mag dem List'schen Systeme zustimmen und mit ihm durch Dick und Dünn gehen wie ich, oder man mag ihm Opposition machen — auf der einen wie auf der andern Seite muß man einräumen, daß die Ausbreitung dieses Systems eine riefe Bewegung hervorgebracht hat und von jetzt noch unabsehbaren Folgen für unser Vaterland geworden ist. Die Eng-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/443>, abgerufen am 23.07.2024.