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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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bestürzten sie. Es focht in List's Worten ein Genius, welcher leider ziem¬
lich unbekannt ist in unsern Zeitungen politischen Themas, trocken poli¬
tischen Themas, wie es das Feld der Nationalökonomie dem Herkommen
nach mit sich bringen soll. Nichts war trocken in List's Behandlung!
Und wenn man obenein weiß, daß er über hundert Gesichtspunkte nicht
sprach, absichtlich nicht sprach, weil er sparen gelernt hatte, um zu wir¬
ken, wenn man aus dem persönlichen Verkehr mit ihm erkannte, daß
grade die von ihm verschwiegenen Gesichtspunkte die ergiebigsten, die den
Patrioten wie den Mann des Fortschritts entzückendsten sind, dann hatte
man doppelt zu bewundern: die Fülle des Inhalts und die weise Be¬
schränkung in Dem, was eben zu äußern, was eben auszuführen war.--

Zweimal bin ich diesem ausgezeichneten Manne für längere Zeit
begegnet, und der Umgang mit ihm ist mir stets belebend gewesen wie
der Trank aus frischer Quelle, wie der Weg durch neue, bei jeder Wen¬
dung eigenthümliche Gegend. Nie hab' ich einen Mann gesehn, der in
höherem Grade anregend gewirkt hätte als List, nie einen Menschen ge¬
sehn, der im eigentlichsten Sinne des Wortes so schöpferisch gewesen
wäre als List. Man konnte ihn hinausstellen auf die dürre Haide, auf
die dürrste Haide, er wußte bald Mittel und Wege, etwas Gutes zu
bewirken, etwas Tüchtiges zu schaffen. Und nicht etwa Chimärisches,
Bodenloses, nein, im Kerne war Alles was er erfand und vorschlug
praktisch. Freilich mußte man's nicht zunächst dem platten Urtheile
praktischer Mittelmäßigkeit unterwerfen! Gold läßt sich nicht essen, Meer¬
wasser nicht trinken. Was er erfand, mußte dem alltäglichen Bedürfnisse
vermittelt werden. So war's, als ich ihm das erste Mal zu Anfang
der dreißiger Jahre in Leipzig begegnete, und er die große Eisenbahn
gründen wollte. Welche Verspottung, welche Verhöhnung erlebte er da!
Jetzt will sich Niemand mehr daran erinnern, aber ich weiß es noch wie
heute, daß er nur ein kleines Häuflein junger Brut, zu der ich selbst
gehörte, um sich vereinigen konnte, die seinen Entwickelungen offnes Ohr
und offnen Geist zubrachte, und die es unter die Leute hinaustrug, was
die Leute wie Mährchen aus tausend und einer Nacht lächelnd und
ungläubig anhörten. An der großen Wirthstafel des Hütel de Baviere,
welche jetzt durch Eisenbahnreisende verfünffacht ist an Umfang, war da¬
mals Niemand, der unsrer Empfehlung des Listschen Projectes geglaubt
hatte. Des Projectes, des Projectenmachers! so hieß es von Mund zu
Munde, wenn man sich die Mühe nahm, ein Wort darüber zu äußern.
Wenigstens drei Jahre waren nöthig, um List's Vorschläge dem Ver¬
ständnisse und dem Credite zu vermitteln, und ganz wi" es dem Colum-
bus erging, kamen hinterher die Ameriko's, die Vespuccio's ausbeutender
Gattung, welche dem eigentlichen Entdecker ein wenig Nuhm, ein wenig
Entschädigung gönnen mochten. Und freilich war er auch nicht ohne die
Unarten des Genie's, welches im Großen trachten und im Kleinen stören
mag. Aber was er damals in Leipzig mit unsäglicher Anstrengung, mit
Entfaltung all seiner überzeugenden Kräfte zu Stande brachte, es ist
nicht" mehr und nichts weniger als die Gründung der deutschen Ei¬
senbahn.


bestürzten sie. Es focht in List's Worten ein Genius, welcher leider ziem¬
lich unbekannt ist in unsern Zeitungen politischen Themas, trocken poli¬
tischen Themas, wie es das Feld der Nationalökonomie dem Herkommen
nach mit sich bringen soll. Nichts war trocken in List's Behandlung!
Und wenn man obenein weiß, daß er über hundert Gesichtspunkte nicht
sprach, absichtlich nicht sprach, weil er sparen gelernt hatte, um zu wir¬
ken, wenn man aus dem persönlichen Verkehr mit ihm erkannte, daß
grade die von ihm verschwiegenen Gesichtspunkte die ergiebigsten, die den
Patrioten wie den Mann des Fortschritts entzückendsten sind, dann hatte
man doppelt zu bewundern: die Fülle des Inhalts und die weise Be¬
schränkung in Dem, was eben zu äußern, was eben auszuführen war.—

Zweimal bin ich diesem ausgezeichneten Manne für längere Zeit
begegnet, und der Umgang mit ihm ist mir stets belebend gewesen wie
der Trank aus frischer Quelle, wie der Weg durch neue, bei jeder Wen¬
dung eigenthümliche Gegend. Nie hab' ich einen Mann gesehn, der in
höherem Grade anregend gewirkt hätte als List, nie einen Menschen ge¬
sehn, der im eigentlichsten Sinne des Wortes so schöpferisch gewesen
wäre als List. Man konnte ihn hinausstellen auf die dürre Haide, auf
die dürrste Haide, er wußte bald Mittel und Wege, etwas Gutes zu
bewirken, etwas Tüchtiges zu schaffen. Und nicht etwa Chimärisches,
Bodenloses, nein, im Kerne war Alles was er erfand und vorschlug
praktisch. Freilich mußte man's nicht zunächst dem platten Urtheile
praktischer Mittelmäßigkeit unterwerfen! Gold läßt sich nicht essen, Meer¬
wasser nicht trinken. Was er erfand, mußte dem alltäglichen Bedürfnisse
vermittelt werden. So war's, als ich ihm das erste Mal zu Anfang
der dreißiger Jahre in Leipzig begegnete, und er die große Eisenbahn
gründen wollte. Welche Verspottung, welche Verhöhnung erlebte er da!
Jetzt will sich Niemand mehr daran erinnern, aber ich weiß es noch wie
heute, daß er nur ein kleines Häuflein junger Brut, zu der ich selbst
gehörte, um sich vereinigen konnte, die seinen Entwickelungen offnes Ohr
und offnen Geist zubrachte, und die es unter die Leute hinaustrug, was
die Leute wie Mährchen aus tausend und einer Nacht lächelnd und
ungläubig anhörten. An der großen Wirthstafel des Hütel de Baviere,
welche jetzt durch Eisenbahnreisende verfünffacht ist an Umfang, war da¬
mals Niemand, der unsrer Empfehlung des Listschen Projectes geglaubt
hatte. Des Projectes, des Projectenmachers! so hieß es von Mund zu
Munde, wenn man sich die Mühe nahm, ein Wort darüber zu äußern.
Wenigstens drei Jahre waren nöthig, um List's Vorschläge dem Ver¬
ständnisse und dem Credite zu vermitteln, und ganz wi« es dem Colum-
bus erging, kamen hinterher die Ameriko's, die Vespuccio's ausbeutender
Gattung, welche dem eigentlichen Entdecker ein wenig Nuhm, ein wenig
Entschädigung gönnen mochten. Und freilich war er auch nicht ohne die
Unarten des Genie's, welches im Großen trachten und im Kleinen stören
mag. Aber was er damals in Leipzig mit unsäglicher Anstrengung, mit
Entfaltung all seiner überzeugenden Kräfte zu Stande brachte, es ist
nicht« mehr und nichts weniger als die Gründung der deutschen Ei¬
senbahn.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/442>, abgerufen am 26.08.2024.