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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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em, zu componiren. Neider, Feinde und halbe Freunde, die ihn gern
los wären, bestärken ihn in dem unglücklichen Wahn, indem sie über¬
trieben loben und den Entzückten überreden, seine Symphonie in einem
öffentlichen Theater aufführen zu lassen. Der Plan gefällt, der Irre¬
geleitete scheut weder Mühe noch Kosten, er besticht den Director eines
Schauspielhauses, prahlende Affichen werden gedruckt und höhnisch la¬
chend sitzt der Chor der Neider und Spötter am Abend in den ParketS
und ersten Ranglogen; ein ungeduldiges, ein englisches, der Musik ab¬
holdes, rohes Publieum füllt vie Parterres und die höchsten Tribünen.
Die Gattin hatte sich unterdessen entschädigt; sie lernte einen Mann vou
ihrem Alter, bescheiden und voll feuriger Empfindung, kennen; er ist
ein Britte; er hat aus Neigung Medicin studirt und will nach West¬
indien gehen, um die Naturwissenschaften durch Beobachtung und Ent¬
deckung zu bereichern. Beide finden sich, lieben sich -- heftig, leiden¬
schaftlich, tugendhaft. Der Abend der Aufführung des Musikstückes
ist zum Rendezvous bestimmt. Der Geliebte kommt, wirst sich ihr zu
Füßen, faßt ihre Hand und küßt sie stürmisch -- da wird die Thüre
aufgerissen und der Gemahl tritt verstört mit wilder, sinnloser Geberde
ein. Er hatte die Leitung der Symphonie selbst übernommen, Alles geht
im Anfang leidlich; das Parterre gähnt bei dem Durcheinander des
musikalischen Unsinnes; da wird im letzten Theil in den Logen des
Amphitheaters ein Zischen laut, und der Mob bedarf nur eines aristo-
kraktischen Winkes, um sich für seine bewiesene Geduld durch Pfeifen
und Stampfen zu entschädigen. Sinnlos stürzt der gedemüthigte Kapell¬
meister aus dem Hause und findet die Gattin fast in den Armen des
Freundes. Dieser Anblick verwirrt sein schwer bedrohtes Gehirn voll¬
ständig, er lacht wild auf und stürzt in Zuckungen zu Boden. Freund
und Gattin pflegen den Fieberkranken, sein hülfloser Zustand ist ihnen
heilig, und als die heftige Erregung nach wenigen Tagen von einem
heilsamen Schlaf besänftigt wird, verläßt der Freund das Haus und
der unglückliche Maestro erwacht in den Armen seines Weibes. Aber
seine Melancholie hat sich gesteigert, er kann kein fremdes Männerge-
Hcht mehr im Hause sehen, ohne außer sich zu gerathen, Musik aber
ist ihm vollends unerträglich, der leiseste Ton kann ihn in Nasen ver¬
setzen. Da räth der Freund, London zu verlassen und eine Reise auf
dem Continent zu machen, ein ewiger Wechsel soll das zerrüttete Ge¬
müth wieder ordnen und neu erschaffen. Alles geht anfangs glücklich,
man kommt hier an, läßt sich auf dem Lande nieder; der Freund bleibt
in der Stadt, an durch sein Erscheinen die alte Krankheit nicht wieder


em, zu componiren. Neider, Feinde und halbe Freunde, die ihn gern
los wären, bestärken ihn in dem unglücklichen Wahn, indem sie über¬
trieben loben und den Entzückten überreden, seine Symphonie in einem
öffentlichen Theater aufführen zu lassen. Der Plan gefällt, der Irre¬
geleitete scheut weder Mühe noch Kosten, er besticht den Director eines
Schauspielhauses, prahlende Affichen werden gedruckt und höhnisch la¬
chend sitzt der Chor der Neider und Spötter am Abend in den ParketS
und ersten Ranglogen; ein ungeduldiges, ein englisches, der Musik ab¬
holdes, rohes Publieum füllt vie Parterres und die höchsten Tribünen.
Die Gattin hatte sich unterdessen entschädigt; sie lernte einen Mann vou
ihrem Alter, bescheiden und voll feuriger Empfindung, kennen; er ist
ein Britte; er hat aus Neigung Medicin studirt und will nach West¬
indien gehen, um die Naturwissenschaften durch Beobachtung und Ent¬
deckung zu bereichern. Beide finden sich, lieben sich — heftig, leiden¬
schaftlich, tugendhaft. Der Abend der Aufführung des Musikstückes
ist zum Rendezvous bestimmt. Der Geliebte kommt, wirst sich ihr zu
Füßen, faßt ihre Hand und küßt sie stürmisch — da wird die Thüre
aufgerissen und der Gemahl tritt verstört mit wilder, sinnloser Geberde
ein. Er hatte die Leitung der Symphonie selbst übernommen, Alles geht
im Anfang leidlich; das Parterre gähnt bei dem Durcheinander des
musikalischen Unsinnes; da wird im letzten Theil in den Logen des
Amphitheaters ein Zischen laut, und der Mob bedarf nur eines aristo-
kraktischen Winkes, um sich für seine bewiesene Geduld durch Pfeifen
und Stampfen zu entschädigen. Sinnlos stürzt der gedemüthigte Kapell¬
meister aus dem Hause und findet die Gattin fast in den Armen des
Freundes. Dieser Anblick verwirrt sein schwer bedrohtes Gehirn voll¬
ständig, er lacht wild auf und stürzt in Zuckungen zu Boden. Freund
und Gattin pflegen den Fieberkranken, sein hülfloser Zustand ist ihnen
heilig, und als die heftige Erregung nach wenigen Tagen von einem
heilsamen Schlaf besänftigt wird, verläßt der Freund das Haus und
der unglückliche Maestro erwacht in den Armen seines Weibes. Aber
seine Melancholie hat sich gesteigert, er kann kein fremdes Männerge-
Hcht mehr im Hause sehen, ohne außer sich zu gerathen, Musik aber
ist ihm vollends unerträglich, der leiseste Ton kann ihn in Nasen ver¬
setzen. Da räth der Freund, London zu verlassen und eine Reise auf
dem Continent zu machen, ein ewiger Wechsel soll das zerrüttete Ge¬
müth wieder ordnen und neu erschaffen. Alles geht anfangs glücklich,
man kommt hier an, läßt sich auf dem Lande nieder; der Freund bleibt
in der Stadt, an durch sein Erscheinen die alte Krankheit nicht wieder


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[0374] em, zu componiren. Neider, Feinde und halbe Freunde, die ihn gern los wären, bestärken ihn in dem unglücklichen Wahn, indem sie über¬ trieben loben und den Entzückten überreden, seine Symphonie in einem öffentlichen Theater aufführen zu lassen. Der Plan gefällt, der Irre¬ geleitete scheut weder Mühe noch Kosten, er besticht den Director eines Schauspielhauses, prahlende Affichen werden gedruckt und höhnisch la¬ chend sitzt der Chor der Neider und Spötter am Abend in den ParketS und ersten Ranglogen; ein ungeduldiges, ein englisches, der Musik ab¬ holdes, rohes Publieum füllt vie Parterres und die höchsten Tribünen. Die Gattin hatte sich unterdessen entschädigt; sie lernte einen Mann vou ihrem Alter, bescheiden und voll feuriger Empfindung, kennen; er ist ein Britte; er hat aus Neigung Medicin studirt und will nach West¬ indien gehen, um die Naturwissenschaften durch Beobachtung und Ent¬ deckung zu bereichern. Beide finden sich, lieben sich — heftig, leiden¬ schaftlich, tugendhaft. Der Abend der Aufführung des Musikstückes ist zum Rendezvous bestimmt. Der Geliebte kommt, wirst sich ihr zu Füßen, faßt ihre Hand und küßt sie stürmisch — da wird die Thüre aufgerissen und der Gemahl tritt verstört mit wilder, sinnloser Geberde ein. Er hatte die Leitung der Symphonie selbst übernommen, Alles geht im Anfang leidlich; das Parterre gähnt bei dem Durcheinander des musikalischen Unsinnes; da wird im letzten Theil in den Logen des Amphitheaters ein Zischen laut, und der Mob bedarf nur eines aristo- kraktischen Winkes, um sich für seine bewiesene Geduld durch Pfeifen und Stampfen zu entschädigen. Sinnlos stürzt der gedemüthigte Kapell¬ meister aus dem Hause und findet die Gattin fast in den Armen des Freundes. Dieser Anblick verwirrt sein schwer bedrohtes Gehirn voll¬ ständig, er lacht wild auf und stürzt in Zuckungen zu Boden. Freund und Gattin pflegen den Fieberkranken, sein hülfloser Zustand ist ihnen heilig, und als die heftige Erregung nach wenigen Tagen von einem heilsamen Schlaf besänftigt wird, verläßt der Freund das Haus und der unglückliche Maestro erwacht in den Armen seines Weibes. Aber seine Melancholie hat sich gesteigert, er kann kein fremdes Männerge- Hcht mehr im Hause sehen, ohne außer sich zu gerathen, Musik aber ist ihm vollends unerträglich, der leiseste Ton kann ihn in Nasen ver¬ setzen. Da räth der Freund, London zu verlassen und eine Reise auf dem Continent zu machen, ein ewiger Wechsel soll das zerrüttete Ge¬ müth wieder ordnen und neu erschaffen. Alles geht anfangs glücklich, man kommt hier an, läßt sich auf dem Lande nieder; der Freund bleibt in der Stadt, an durch sein Erscheinen die alte Krankheit nicht wieder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/374>, abgerufen am 15.01.2025.