Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

gleichen Gesetze auf die Höhe der christlichen Weltanschauung und der
deutschen Volksauffassung hinaufgehoben werde"".

Die Ursache dieser Zustände liegt in den Ausnahmsgesetzen, die
auf den Juden zu lasten scheinen und die ihnen in der That nur zur
Unterlage, zur Folie dienen. Die Gesetze schließen den Juden von ei¬
ner Menge Erwerbszweige, insbesondere von allen bürgerlichen Aem¬
tern, deren Zahl in Deutschland Legion ist, aus. Es gibt viele deut¬
sche Länder, wo der Jude nicht Schuster und nicht Schneider werden
darf, in allen aber darf er werden: Kaufmann und Banker, Künstler
und Schriftsteller.

Die Armen, sie sind gezwungen, Kaufmann, Banker, Künstler,
Schriftsteller zu werden; sonst dürfen sie nichts werden; nicht Schnei¬
der, nicht Ackerbauer, denn sie haben meist kein Zunft- und kein Ei¬
genthumsrecht; nicht Hofrath und nicht Büttel, denn sie sollen keine
"obrigkeitliche Gewalt über christliche Unterthanen" haben. Der christ¬
liche Unterthan wird Schuster lind Schneider, Hofrath und Büttel.
Mitunter freilich verläuft sich auch Einer unter die Kaufleute und
Banker, die Künstler und Schriftsteller. Aber sie sollen zusehen, daß
sie nicht Schiffbruch leiden.

Die Ausschließung zwingt nicht nur jeden tüchtigen Juden --
und es gibt deren scheinbar wenigstens um so mehr, als der Druck
überall erkräftigt, so lange er nicht zerdrückt -- Banker, Künstler oder
Schriftsteller zu werden, sondern bringt ihn auch in jeder Beziehung
in eine bevorzugte Lage. Als Juden, ausgeschlossen von den Christen,
haben sie ein Recht, eine Pflicht und das Bedürfniß, sich fester Einer
an den Andern anzuschließen. Der jüdische Banker, der in Gefahr
kommt, kann auf alle seine Glaubensgenossen rechnen; der christliche
steht in seinem Rechte auf eignen Füßen und fällt meist, sobalo er nur
wankt.

Der jüdische Künstler kann seiner Glaubensgenossen an der Bank,
auf der Börse und in der Presse stets sicher sein. Sie bilden überall
und vor Allem an der Presse, durch die Ausschließung ganz naturge¬
mäß ein geschlossenes Ganze, eine gezwungene Phalanx, gegen die der
Christ, den sein Recht vereinzelt, nicht ankann.

Ich habe angestanden, ehe ich diese grellen Farben, wie wahr sie
auch sind, aufzutragen mich entschloß. Ich stand an, zauderte und
frug mich: "Soll ich die Wahrheit sagen?" weil ich fürchtete, einem
Juden damit wehe thun zu können. Ich könnte die angedeuteten Zu¬
stände noch durch die schlagendsten Beispiele belegen. Aber ich habe


gleichen Gesetze auf die Höhe der christlichen Weltanschauung und der
deutschen Volksauffassung hinaufgehoben werde»».

Die Ursache dieser Zustände liegt in den Ausnahmsgesetzen, die
auf den Juden zu lasten scheinen und die ihnen in der That nur zur
Unterlage, zur Folie dienen. Die Gesetze schließen den Juden von ei¬
ner Menge Erwerbszweige, insbesondere von allen bürgerlichen Aem¬
tern, deren Zahl in Deutschland Legion ist, aus. Es gibt viele deut¬
sche Länder, wo der Jude nicht Schuster und nicht Schneider werden
darf, in allen aber darf er werden: Kaufmann und Banker, Künstler
und Schriftsteller.

Die Armen, sie sind gezwungen, Kaufmann, Banker, Künstler,
Schriftsteller zu werden; sonst dürfen sie nichts werden; nicht Schnei¬
der, nicht Ackerbauer, denn sie haben meist kein Zunft- und kein Ei¬
genthumsrecht; nicht Hofrath und nicht Büttel, denn sie sollen keine
„obrigkeitliche Gewalt über christliche Unterthanen" haben. Der christ¬
liche Unterthan wird Schuster lind Schneider, Hofrath und Büttel.
Mitunter freilich verläuft sich auch Einer unter die Kaufleute und
Banker, die Künstler und Schriftsteller. Aber sie sollen zusehen, daß
sie nicht Schiffbruch leiden.

Die Ausschließung zwingt nicht nur jeden tüchtigen Juden —
und es gibt deren scheinbar wenigstens um so mehr, als der Druck
überall erkräftigt, so lange er nicht zerdrückt — Banker, Künstler oder
Schriftsteller zu werden, sondern bringt ihn auch in jeder Beziehung
in eine bevorzugte Lage. Als Juden, ausgeschlossen von den Christen,
haben sie ein Recht, eine Pflicht und das Bedürfniß, sich fester Einer
an den Andern anzuschließen. Der jüdische Banker, der in Gefahr
kommt, kann auf alle seine Glaubensgenossen rechnen; der christliche
steht in seinem Rechte auf eignen Füßen und fällt meist, sobalo er nur
wankt.

Der jüdische Künstler kann seiner Glaubensgenossen an der Bank,
auf der Börse und in der Presse stets sicher sein. Sie bilden überall
und vor Allem an der Presse, durch die Ausschließung ganz naturge¬
mäß ein geschlossenes Ganze, eine gezwungene Phalanx, gegen die der
Christ, den sein Recht vereinzelt, nicht ankann.

Ich habe angestanden, ehe ich diese grellen Farben, wie wahr sie
auch sind, aufzutragen mich entschloß. Ich stand an, zauderte und
frug mich: „Soll ich die Wahrheit sagen?" weil ich fürchtete, einem
Juden damit wehe thun zu können. Ich könnte die angedeuteten Zu¬
stände noch durch die schlagendsten Beispiele belegen. Aber ich habe


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0296" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/183878"/>
            <p xml:id="ID_822" prev="#ID_821"> gleichen Gesetze auf die Höhe der christlichen Weltanschauung und der<lb/>
deutschen Volksauffassung hinaufgehoben werde»».</p><lb/>
            <p xml:id="ID_823"> Die Ursache dieser Zustände liegt in den Ausnahmsgesetzen, die<lb/>
auf den Juden zu lasten scheinen und die ihnen in der That nur zur<lb/>
Unterlage, zur Folie dienen. Die Gesetze schließen den Juden von ei¬<lb/>
ner Menge Erwerbszweige, insbesondere von allen bürgerlichen Aem¬<lb/>
tern, deren Zahl in Deutschland Legion ist, aus. Es gibt viele deut¬<lb/>
sche Länder, wo der Jude nicht Schuster und nicht Schneider werden<lb/>
darf, in allen aber darf er werden: Kaufmann und Banker, Künstler<lb/>
und Schriftsteller.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_824"> Die Armen, sie sind gezwungen, Kaufmann, Banker, Künstler,<lb/>
Schriftsteller zu werden; sonst dürfen sie nichts werden; nicht Schnei¬<lb/>
der, nicht Ackerbauer, denn sie haben meist kein Zunft- und kein Ei¬<lb/>
genthumsrecht; nicht Hofrath und nicht Büttel, denn sie sollen keine<lb/>
&#x201E;obrigkeitliche Gewalt über christliche Unterthanen" haben. Der christ¬<lb/>
liche Unterthan wird Schuster lind Schneider, Hofrath und Büttel.<lb/>
Mitunter freilich verläuft sich auch Einer unter die Kaufleute und<lb/>
Banker, die Künstler und Schriftsteller. Aber sie sollen zusehen, daß<lb/>
sie nicht Schiffbruch leiden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_825"> Die Ausschließung zwingt nicht nur jeden tüchtigen Juden &#x2014;<lb/>
und es gibt deren scheinbar wenigstens um so mehr, als der Druck<lb/>
überall erkräftigt, so lange er nicht zerdrückt &#x2014; Banker, Künstler oder<lb/>
Schriftsteller zu werden, sondern bringt ihn auch in jeder Beziehung<lb/>
in eine bevorzugte Lage. Als Juden, ausgeschlossen von den Christen,<lb/>
haben sie ein Recht, eine Pflicht und das Bedürfniß, sich fester Einer<lb/>
an den Andern anzuschließen. Der jüdische Banker, der in Gefahr<lb/>
kommt, kann auf alle seine Glaubensgenossen rechnen; der christliche<lb/>
steht in seinem Rechte auf eignen Füßen und fällt meist, sobalo er nur<lb/>
wankt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_826"> Der jüdische Künstler kann seiner Glaubensgenossen an der Bank,<lb/>
auf der Börse und in der Presse stets sicher sein. Sie bilden überall<lb/>
und vor Allem an der Presse, durch die Ausschließung ganz naturge¬<lb/>
mäß ein geschlossenes Ganze, eine gezwungene Phalanx, gegen die der<lb/>
Christ, den sein Recht vereinzelt, nicht ankann.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_827" next="#ID_828"> Ich habe angestanden, ehe ich diese grellen Farben, wie wahr sie<lb/>
auch sind, aufzutragen mich entschloß. Ich stand an, zauderte und<lb/>
frug mich: &#x201E;Soll ich die Wahrheit sagen?" weil ich fürchtete, einem<lb/>
Juden damit wehe thun zu können. Ich könnte die angedeuteten Zu¬<lb/>
stände noch durch die schlagendsten Beispiele belegen.  Aber ich habe</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0296] gleichen Gesetze auf die Höhe der christlichen Weltanschauung und der deutschen Volksauffassung hinaufgehoben werde»». Die Ursache dieser Zustände liegt in den Ausnahmsgesetzen, die auf den Juden zu lasten scheinen und die ihnen in der That nur zur Unterlage, zur Folie dienen. Die Gesetze schließen den Juden von ei¬ ner Menge Erwerbszweige, insbesondere von allen bürgerlichen Aem¬ tern, deren Zahl in Deutschland Legion ist, aus. Es gibt viele deut¬ sche Länder, wo der Jude nicht Schuster und nicht Schneider werden darf, in allen aber darf er werden: Kaufmann und Banker, Künstler und Schriftsteller. Die Armen, sie sind gezwungen, Kaufmann, Banker, Künstler, Schriftsteller zu werden; sonst dürfen sie nichts werden; nicht Schnei¬ der, nicht Ackerbauer, denn sie haben meist kein Zunft- und kein Ei¬ genthumsrecht; nicht Hofrath und nicht Büttel, denn sie sollen keine „obrigkeitliche Gewalt über christliche Unterthanen" haben. Der christ¬ liche Unterthan wird Schuster lind Schneider, Hofrath und Büttel. Mitunter freilich verläuft sich auch Einer unter die Kaufleute und Banker, die Künstler und Schriftsteller. Aber sie sollen zusehen, daß sie nicht Schiffbruch leiden. Die Ausschließung zwingt nicht nur jeden tüchtigen Juden — und es gibt deren scheinbar wenigstens um so mehr, als der Druck überall erkräftigt, so lange er nicht zerdrückt — Banker, Künstler oder Schriftsteller zu werden, sondern bringt ihn auch in jeder Beziehung in eine bevorzugte Lage. Als Juden, ausgeschlossen von den Christen, haben sie ein Recht, eine Pflicht und das Bedürfniß, sich fester Einer an den Andern anzuschließen. Der jüdische Banker, der in Gefahr kommt, kann auf alle seine Glaubensgenossen rechnen; der christliche steht in seinem Rechte auf eignen Füßen und fällt meist, sobalo er nur wankt. Der jüdische Künstler kann seiner Glaubensgenossen an der Bank, auf der Börse und in der Presse stets sicher sein. Sie bilden überall und vor Allem an der Presse, durch die Ausschließung ganz naturge¬ mäß ein geschlossenes Ganze, eine gezwungene Phalanx, gegen die der Christ, den sein Recht vereinzelt, nicht ankann. Ich habe angestanden, ehe ich diese grellen Farben, wie wahr sie auch sind, aufzutragen mich entschloß. Ich stand an, zauderte und frug mich: „Soll ich die Wahrheit sagen?" weil ich fürchtete, einem Juden damit wehe thun zu können. Ich könnte die angedeuteten Zu¬ stände noch durch die schlagendsten Beispiele belegen. Aber ich habe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/296
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/296>, abgerufen am 23.07.2024.