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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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nicht Lust, irgend Jemanden persönlich zu verletzen, am wenigsten aber
einen Juden. Ja, jeder Jude muß als solcher, als Ausgeschlossener,
als Paria für jeden christlichen Ehrenmann eine geheiligte Person sein,
auf der der Strahlenschimmer des unverdienten Unrechts, des unbe¬
fugten Drucks der nichtverschuldeten Hintansetzung ruht. Die Aus¬
schließung der Juden von Gesammtheit und Gesammtpflicht wird in
unserer Zeit, bei den Gefühlen und der Denkart des neunzehnten Jahr¬
hunderts -- ein Vorrecht für jeden einzelnen Juden und den ganzen
Stamm. Die Sohne des neunzehnten Jahrhunderts schämen sich des
Unrechts ihrer Väter, und in diesem Schamgefühl liegt die unbeding¬
teste moralische Emancipation aller Juden. Und diese moralische Eman¬
cipation wird dann nothwendig bei der gesetzlichen und politischen Zu¬
rücksetzung zu einem persönlichen Vorzug für jeden einzelnen Juden.
Das ist die natürliche Folge des Widerspruches zwischen Gesetz und
Zeitgeist. -- Die Ausschließung der Juden von dem Gesammtrechte
zwingt sie, sich in die höchsten, die besten, die ergiebigsten Stellungen
der Gesellschaft hineinzudrängen. Sie wird für alle Juden unter sich
zu einem unsichtbaren Freundschafts- und Verbindungsmittel, sie wird
für alle Christen, den Juden gegenüber, ein Mittel zur Ausschließung
von den Stellungen, die die Juden einzunehmen gezwungen sind. Sie
wird für die Juden, den Christen gegenüber, zu einem Schritte, der sie
überall schützt, wo sonst Anmaßung, vorlautes Wesen und unbefugte
Keckheit, alle die gräßlichen Folgen langjähriger Sclaveret und Aus¬
schließung, in ihre natürlichen Grenzen zurückgewiesen werden würden.

Und deswegen verlangen wir Christen: "Gleiche Rechte ohne alle
"Ausnahme sür die Juden, und somit Emancipation der Christen von
"dem auf uns lastenden Drucke des Judenthums."




Grenzboten. lV. Is"".4"

nicht Lust, irgend Jemanden persönlich zu verletzen, am wenigsten aber
einen Juden. Ja, jeder Jude muß als solcher, als Ausgeschlossener,
als Paria für jeden christlichen Ehrenmann eine geheiligte Person sein,
auf der der Strahlenschimmer des unverdienten Unrechts, des unbe¬
fugten Drucks der nichtverschuldeten Hintansetzung ruht. Die Aus¬
schließung der Juden von Gesammtheit und Gesammtpflicht wird in
unserer Zeit, bei den Gefühlen und der Denkart des neunzehnten Jahr¬
hunderts — ein Vorrecht für jeden einzelnen Juden und den ganzen
Stamm. Die Sohne des neunzehnten Jahrhunderts schämen sich des
Unrechts ihrer Väter, und in diesem Schamgefühl liegt die unbeding¬
teste moralische Emancipation aller Juden. Und diese moralische Eman¬
cipation wird dann nothwendig bei der gesetzlichen und politischen Zu¬
rücksetzung zu einem persönlichen Vorzug für jeden einzelnen Juden.
Das ist die natürliche Folge des Widerspruches zwischen Gesetz und
Zeitgeist. — Die Ausschließung der Juden von dem Gesammtrechte
zwingt sie, sich in die höchsten, die besten, die ergiebigsten Stellungen
der Gesellschaft hineinzudrängen. Sie wird für alle Juden unter sich
zu einem unsichtbaren Freundschafts- und Verbindungsmittel, sie wird
für alle Christen, den Juden gegenüber, ein Mittel zur Ausschließung
von den Stellungen, die die Juden einzunehmen gezwungen sind. Sie
wird für die Juden, den Christen gegenüber, zu einem Schritte, der sie
überall schützt, wo sonst Anmaßung, vorlautes Wesen und unbefugte
Keckheit, alle die gräßlichen Folgen langjähriger Sclaveret und Aus¬
schließung, in ihre natürlichen Grenzen zurückgewiesen werden würden.

Und deswegen verlangen wir Christen: „Gleiche Rechte ohne alle
„Ausnahme sür die Juden, und somit Emancipation der Christen von
„dem auf uns lastenden Drucke des Judenthums."




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[0297] nicht Lust, irgend Jemanden persönlich zu verletzen, am wenigsten aber einen Juden. Ja, jeder Jude muß als solcher, als Ausgeschlossener, als Paria für jeden christlichen Ehrenmann eine geheiligte Person sein, auf der der Strahlenschimmer des unverdienten Unrechts, des unbe¬ fugten Drucks der nichtverschuldeten Hintansetzung ruht. Die Aus¬ schließung der Juden von Gesammtheit und Gesammtpflicht wird in unserer Zeit, bei den Gefühlen und der Denkart des neunzehnten Jahr¬ hunderts — ein Vorrecht für jeden einzelnen Juden und den ganzen Stamm. Die Sohne des neunzehnten Jahrhunderts schämen sich des Unrechts ihrer Väter, und in diesem Schamgefühl liegt die unbeding¬ teste moralische Emancipation aller Juden. Und diese moralische Eman¬ cipation wird dann nothwendig bei der gesetzlichen und politischen Zu¬ rücksetzung zu einem persönlichen Vorzug für jeden einzelnen Juden. Das ist die natürliche Folge des Widerspruches zwischen Gesetz und Zeitgeist. — Die Ausschließung der Juden von dem Gesammtrechte zwingt sie, sich in die höchsten, die besten, die ergiebigsten Stellungen der Gesellschaft hineinzudrängen. Sie wird für alle Juden unter sich zu einem unsichtbaren Freundschafts- und Verbindungsmittel, sie wird für alle Christen, den Juden gegenüber, ein Mittel zur Ausschließung von den Stellungen, die die Juden einzunehmen gezwungen sind. Sie wird für die Juden, den Christen gegenüber, zu einem Schritte, der sie überall schützt, wo sonst Anmaßung, vorlautes Wesen und unbefugte Keckheit, alle die gräßlichen Folgen langjähriger Sclaveret und Aus¬ schließung, in ihre natürlichen Grenzen zurückgewiesen werden würden. Und deswegen verlangen wir Christen: „Gleiche Rechte ohne alle „Ausnahme sür die Juden, und somit Emancipation der Christen von „dem auf uns lastenden Drucke des Judenthums." Grenzboten. lV. Is»«.4»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/297>, abgerufen am 26.08.2024.