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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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Philologie verlöschen sähe! Wir wollen von dem, was bisher unser
Ruhm und Gewinn war, nichts aufgeben und verlieren, wir wollen
die alten Güter treu bewahren, nur neue hinzufügen.

Bisher ist auch nur in diesem richtigen Sinne die deutsche Phi¬
lologie bearbeitet worden, von bewährten Kennern und Freunden der
altclassischen. Den löblichen Arbeiten Delbrück's, Göschel's, H o ff-
meister's und vieler Andern, die wir gebührend anerkennen, gesellt
sich nun das vorliegende -- von Heinrich Vieh off unternommene
Werk. Goethe's Dichtungen vor andern gestatten und begehren, daß
begleitende Commentare ihnen sich anschließen. Auch hat schon eine
ganze Literatur sich um diese Werke hergelagert und wächst von Jahr
zu Jahr. Doch sind die lyrischen Gedichte Goethe's bisher weniger
bedacht worden und hier zuerst unternimmt ein Commentar sie in ihrer
Gesammtheit zu umfassen. Der Ausleger hat die Hülfsmittel, die sich
ihm -- nicht immer ausreichend -- darboten, fleißig benutzt; es liegt
in der Natur der Sache, daß bei solchen Arbeiten immer ein weites
Feld der Berichtigungen und Ergänzungen offen bleibt; die Fülle des
Lebens glüht hier innerlich und äußerlich so reich und tief, daß noch
in späten Zeiten neue Funken herauösprühen werden. Was bei den
vorhandenen Hülfsmitteln möglich war, ist geleistet worden; das zur
Aufhellung äußerer Umstände und Beziehungen Dienliche ist aus Le¬
bensnachrichten .und literarischer Kenntniß fleißig zusammengebracht;
wo eS den geistigen Inhalt und dessen Deutung galt, ist aus den
Tiefen der Forschung das Nöthige zu Tage gefördert worden. Als
Proben, wie beiden Richtungen hier entsprochen wird, dürfen wir die
den Gedichtet! "Prometheus" und "Ilmenau" gewidmeten Erklärungen
beispielsweise nennen.

Von dem Reichthums, der in den Goethescher Schriften liegt,
hier ausführlich zu reden, ist nicht unser Zweck. Jeder, der diese Ge¬
webe anfaßt, wird bald gewahr, daß ihre Fäden aus der weiten Welt
zusammenlaufen, in die weite Welt wieder hinausreichen. Oft schlie¬
ßen wenige Zeilen große Fernsichten auf; der Name Merck, kaum ge¬
kannt und schon der Vergessenheit anheimfallend, ist durch Goethe's
treues Gedenken zu neuem Leben erwacht, und die dankenswerthen
Bücher von Karl Wagner und Adolf Stahr sind gleichsam als
Commentar jener Stellen in Goethe's "Wahrheit und Dichtung" rühm¬
lich an das Licht getreten. Aber wie auch das Kleinste oft stille Le¬
benskeime birgt, welche der Commentar berufen ist zu erwecken und zu


Philologie verlöschen sähe! Wir wollen von dem, was bisher unser
Ruhm und Gewinn war, nichts aufgeben und verlieren, wir wollen
die alten Güter treu bewahren, nur neue hinzufügen.

Bisher ist auch nur in diesem richtigen Sinne die deutsche Phi¬
lologie bearbeitet worden, von bewährten Kennern und Freunden der
altclassischen. Den löblichen Arbeiten Delbrück's, Göschel's, H o ff-
meister's und vieler Andern, die wir gebührend anerkennen, gesellt
sich nun das vorliegende — von Heinrich Vieh off unternommene
Werk. Goethe's Dichtungen vor andern gestatten und begehren, daß
begleitende Commentare ihnen sich anschließen. Auch hat schon eine
ganze Literatur sich um diese Werke hergelagert und wächst von Jahr
zu Jahr. Doch sind die lyrischen Gedichte Goethe's bisher weniger
bedacht worden und hier zuerst unternimmt ein Commentar sie in ihrer
Gesammtheit zu umfassen. Der Ausleger hat die Hülfsmittel, die sich
ihm — nicht immer ausreichend — darboten, fleißig benutzt; es liegt
in der Natur der Sache, daß bei solchen Arbeiten immer ein weites
Feld der Berichtigungen und Ergänzungen offen bleibt; die Fülle des
Lebens glüht hier innerlich und äußerlich so reich und tief, daß noch
in späten Zeiten neue Funken herauösprühen werden. Was bei den
vorhandenen Hülfsmitteln möglich war, ist geleistet worden; das zur
Aufhellung äußerer Umstände und Beziehungen Dienliche ist aus Le¬
bensnachrichten .und literarischer Kenntniß fleißig zusammengebracht;
wo eS den geistigen Inhalt und dessen Deutung galt, ist aus den
Tiefen der Forschung das Nöthige zu Tage gefördert worden. Als
Proben, wie beiden Richtungen hier entsprochen wird, dürfen wir die
den Gedichtet! „Prometheus" und „Ilmenau" gewidmeten Erklärungen
beispielsweise nennen.

Von dem Reichthums, der in den Goethescher Schriften liegt,
hier ausführlich zu reden, ist nicht unser Zweck. Jeder, der diese Ge¬
webe anfaßt, wird bald gewahr, daß ihre Fäden aus der weiten Welt
zusammenlaufen, in die weite Welt wieder hinausreichen. Oft schlie¬
ßen wenige Zeilen große Fernsichten auf; der Name Merck, kaum ge¬
kannt und schon der Vergessenheit anheimfallend, ist durch Goethe's
treues Gedenken zu neuem Leben erwacht, und die dankenswerthen
Bücher von Karl Wagner und Adolf Stahr sind gleichsam als
Commentar jener Stellen in Goethe's „Wahrheit und Dichtung" rühm¬
lich an das Licht getreten. Aber wie auch das Kleinste oft stille Le¬
benskeime birgt, welche der Commentar berufen ist zu erwecken und zu


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[0212] Philologie verlöschen sähe! Wir wollen von dem, was bisher unser Ruhm und Gewinn war, nichts aufgeben und verlieren, wir wollen die alten Güter treu bewahren, nur neue hinzufügen. Bisher ist auch nur in diesem richtigen Sinne die deutsche Phi¬ lologie bearbeitet worden, von bewährten Kennern und Freunden der altclassischen. Den löblichen Arbeiten Delbrück's, Göschel's, H o ff- meister's und vieler Andern, die wir gebührend anerkennen, gesellt sich nun das vorliegende — von Heinrich Vieh off unternommene Werk. Goethe's Dichtungen vor andern gestatten und begehren, daß begleitende Commentare ihnen sich anschließen. Auch hat schon eine ganze Literatur sich um diese Werke hergelagert und wächst von Jahr zu Jahr. Doch sind die lyrischen Gedichte Goethe's bisher weniger bedacht worden und hier zuerst unternimmt ein Commentar sie in ihrer Gesammtheit zu umfassen. Der Ausleger hat die Hülfsmittel, die sich ihm — nicht immer ausreichend — darboten, fleißig benutzt; es liegt in der Natur der Sache, daß bei solchen Arbeiten immer ein weites Feld der Berichtigungen und Ergänzungen offen bleibt; die Fülle des Lebens glüht hier innerlich und äußerlich so reich und tief, daß noch in späten Zeiten neue Funken herauösprühen werden. Was bei den vorhandenen Hülfsmitteln möglich war, ist geleistet worden; das zur Aufhellung äußerer Umstände und Beziehungen Dienliche ist aus Le¬ bensnachrichten .und literarischer Kenntniß fleißig zusammengebracht; wo eS den geistigen Inhalt und dessen Deutung galt, ist aus den Tiefen der Forschung das Nöthige zu Tage gefördert worden. Als Proben, wie beiden Richtungen hier entsprochen wird, dürfen wir die den Gedichtet! „Prometheus" und „Ilmenau" gewidmeten Erklärungen beispielsweise nennen. Von dem Reichthums, der in den Goethescher Schriften liegt, hier ausführlich zu reden, ist nicht unser Zweck. Jeder, der diese Ge¬ webe anfaßt, wird bald gewahr, daß ihre Fäden aus der weiten Welt zusammenlaufen, in die weite Welt wieder hinausreichen. Oft schlie¬ ßen wenige Zeilen große Fernsichten auf; der Name Merck, kaum ge¬ kannt und schon der Vergessenheit anheimfallend, ist durch Goethe's treues Gedenken zu neuem Leben erwacht, und die dankenswerthen Bücher von Karl Wagner und Adolf Stahr sind gleichsam als Commentar jener Stellen in Goethe's „Wahrheit und Dichtung" rühm¬ lich an das Licht getreten. Aber wie auch das Kleinste oft stille Le¬ benskeime birgt, welche der Commentar berufen ist zu erwecken und zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/212>, abgerufen am 03.07.2024.