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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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bereuend eiNzuregistriren haben, was im Bereich ihrer Kaste von au¬
ßen her ohne ihr Zuthun geändert und gebessert worden ist.

Zweitens muß ich auf ein Grundübel aufmerksam machen, was
bis jetzt nur nebenher oder gar nicht berührt worden ist. Die Gym¬
nasiallehrer sind principiell nur Gelehrte und viel zu wenig Lehrer.
Ihre pädagogische Vorbildung wird viel zu sehr als Nebensache an¬
gesehen und sollte doch die Hauptsache sein. Die begabtesten Kinder
des Landes werden ihnen in der wichtigsten und einzigen Entwickelungs¬
zeit dieser Kinder anvertraut, und es ist mehr oder minder gutes Glück,
ob diese Lehrer, denen man das Wichtigste anvertraut, denn auch leh¬
ren können. Bei ihrer Anstellung ist die Hauptfrage, ob sie das Er¬
forderliche wissen, nicht aber, ob sie ihre Wissenschaft in der ihnen be¬
vorstehenden Laufbahn verwerthen, das heißt, mit Talent übertragen
können. So ist der verkehrte Ruhm entstanden, daß der Gymnasial¬
lehrer in der abstraften Wissenschaft ganz wie der Universitätslehrer
sich auszeichne durch Programme und Schriften, statt daß er seinen
Ruhm darin suche, in der Eindringlichkeit und Wirkung seines Unter¬
richts sich auszuzeichnen. Daher die befremdliche und betrübliche Er¬
scheinung, daß so oft die durch Gelehrsamkeit glänzenden Gymnasial¬
lehrer für den Gymnasiasten die unergiebigsten Lehrer sind. Sie sind
eben keine richtigen Gymnasiallehrer. Das Talent zum Lehren muß
eben das Hauptmoment des Eramens sein bei denjenigen, welchen wir
unsere Kinder für so lange Zeit anvertrauen.

Hierin muß ein Grundpfeiler der Reform aufgebaut werden.

Wie wäre es denn sonst auch möglich, daß folgende Zustände
und Resultate bestehen könnten: Der Gymnasialcnrsus umfaßt sechs
bis neun Jahre. Fragen Sie in Leipzig nach, und man wird Ihnen
neun Jahre als Gymnastalzeit nennen. Welch' ein Zeitraum! Und
was ist das Resultat? Was kann und weiß der Jüngling, welcher
zur Universität entlassen wird? Lateinisch und Griechisch weiß er, aber
er kann es nicht. Legen Sie ihm ein Buch vor, das ihm nicht "er-
ponirt" worden ist, und verlangen Sie, daß er Ihnen ein Capitel aus
Eicero oder Plato vortrage. Sie werden erleben, daß der dürftigste
Wortsinn ihm unüberwindlich zu schaffen gibt und daß er durchaus
nicht im Stande ist, irgend einen Autor, er müßte denn trockne Daten
trocken darstellen, geläufig zu lesen. Was würden Sie zu dem Lehrer
sagen, der Ihren Sohn nur halb so lang in einer Sprache täglich un¬
terrichtet und ihn nicht so weit gebracht hätte, ein Buch in dieser
Sprache geläufig zu lesen! Ist dies nicht ein Zeugniß, daß ungern-


bereuend eiNzuregistriren haben, was im Bereich ihrer Kaste von au¬
ßen her ohne ihr Zuthun geändert und gebessert worden ist.

Zweitens muß ich auf ein Grundübel aufmerksam machen, was
bis jetzt nur nebenher oder gar nicht berührt worden ist. Die Gym¬
nasiallehrer sind principiell nur Gelehrte und viel zu wenig Lehrer.
Ihre pädagogische Vorbildung wird viel zu sehr als Nebensache an¬
gesehen und sollte doch die Hauptsache sein. Die begabtesten Kinder
des Landes werden ihnen in der wichtigsten und einzigen Entwickelungs¬
zeit dieser Kinder anvertraut, und es ist mehr oder minder gutes Glück,
ob diese Lehrer, denen man das Wichtigste anvertraut, denn auch leh¬
ren können. Bei ihrer Anstellung ist die Hauptfrage, ob sie das Er¬
forderliche wissen, nicht aber, ob sie ihre Wissenschaft in der ihnen be¬
vorstehenden Laufbahn verwerthen, das heißt, mit Talent übertragen
können. So ist der verkehrte Ruhm entstanden, daß der Gymnasial¬
lehrer in der abstraften Wissenschaft ganz wie der Universitätslehrer
sich auszeichne durch Programme und Schriften, statt daß er seinen
Ruhm darin suche, in der Eindringlichkeit und Wirkung seines Unter¬
richts sich auszuzeichnen. Daher die befremdliche und betrübliche Er¬
scheinung, daß so oft die durch Gelehrsamkeit glänzenden Gymnasial¬
lehrer für den Gymnasiasten die unergiebigsten Lehrer sind. Sie sind
eben keine richtigen Gymnasiallehrer. Das Talent zum Lehren muß
eben das Hauptmoment des Eramens sein bei denjenigen, welchen wir
unsere Kinder für so lange Zeit anvertrauen.

Hierin muß ein Grundpfeiler der Reform aufgebaut werden.

Wie wäre es denn sonst auch möglich, daß folgende Zustände
und Resultate bestehen könnten: Der Gymnasialcnrsus umfaßt sechs
bis neun Jahre. Fragen Sie in Leipzig nach, und man wird Ihnen
neun Jahre als Gymnastalzeit nennen. Welch' ein Zeitraum! Und
was ist das Resultat? Was kann und weiß der Jüngling, welcher
zur Universität entlassen wird? Lateinisch und Griechisch weiß er, aber
er kann es nicht. Legen Sie ihm ein Buch vor, das ihm nicht „er-
ponirt" worden ist, und verlangen Sie, daß er Ihnen ein Capitel aus
Eicero oder Plato vortrage. Sie werden erleben, daß der dürftigste
Wortsinn ihm unüberwindlich zu schaffen gibt und daß er durchaus
nicht im Stande ist, irgend einen Autor, er müßte denn trockne Daten
trocken darstellen, geläufig zu lesen. Was würden Sie zu dem Lehrer
sagen, der Ihren Sohn nur halb so lang in einer Sprache täglich un¬
terrichtet und ihn nicht so weit gebracht hätte, ein Buch in dieser
Sprache geläufig zu lesen! Ist dies nicht ein Zeugniß, daß ungern-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/202>, abgerufen am 26.08.2024.