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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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Das Erlernen dieser Sprachen soll in den untern Classen erledigt, und
soll dergestalt betrieben werden, daß fernerhin nicht mehr die gramma-
tische Tiftelei und die Sylbenstecherei der Lesarten die Hauptsache
bleibe, sondern daß die Fähigkeit erworben und geübt werde, ein latei¬
nisches und griechisches Buch kourant lesen und verstehen zu lernen.
Das specielle Eingehen und Deuten bleibe Denen überlassen, welche
diese philologische Aufgabe zu ihrer Lebensaufgabe machen wollen.

Ferner sollen die mathematischen Wissenschaften anders und prak¬
tischer gelehrt werden. Theils nicht mehr in der theoretischen Allge¬
meinheit, welche so gar wenig Erfolg zeigt) theils im Einzelnen sorg¬
fältiger und eindringlicher.

Ferner soll die deutsche Sprache und Literatur gründlicher gelehrt,
und es sollen die jetzt wichtigen europäischen Sprachen Französisch und
Englisch so gelehrt werden, daß der Gymnasiast sie lernt, was bisher
Von dem beiläufig gestatteten Französisch nicht gerühmt werden konnte.

Ich weiß nicht genau, ob in den Ncformvorschlägen auch die so
nöthige gründliche Besserung in den Disciplinen der Geschichte, Geo¬
graphie und Physik gefordert wird, verbürge überhaupt nicht, daß die
Reform natürlich so verlangt werde, wie ich hier ausgesprochen; aber
das Wesentliche ist so, und da soeben die Köchly'schen Vorschläge in
einer Broschüre erschienen, so kann ich auf diese verweisen. Mir ist
es in diesem Berichte nicht blos um Citirung der Vorschläge, sondern
um eine Belebung und Ausführung derselben zu thun. Da muß ich
denn zuerst mit Nachdruck darauf hinweisen, wie dieser Reformgedanke
bei der Philologenversammlung in Jena aufgenommen worden ist. Er
ist mit Spott aufgenommen worden, um das Kind beim rechten Na¬
men zu nennen. Ein erschreckendes Zeugniß, wie tief bestehende Cor-
porationen in sich verrotten können. Der Vorsitzende hat diese Lebens¬
frage mit einer witzigen Wendung abgemacht, und weil diese witzige
Wendung eine auch für uns populäre Angelegenheit -- offene Briefe
machen heute kein Glück -- in sich schloß, so hat man ihr zugejubelt,
und hat das, was einer solchen Versammlung die vollkommenste wirk¬
liche Belebung hätte sein können, burschikos und in Wahrheit gedan¬
kenlos beseitigt, um lieber Vorträge anzuhören, welche wenigstens eben
so gut durch den Druck ihre Bestimmung erreicht hätten. ES ist also
ganz so hergegangen, wie einst bei kirchlichen Concilien, welche so
lange hochmüthig und kastenmäßig die Reform abwiesen, bis sie ihnen
von außen her aufgezwungen wurden. Die Jena'sche Versammlung
hat sich hiermit bitterlich gerichtet, und ihre Nachfolgerinnen werden


Das Erlernen dieser Sprachen soll in den untern Classen erledigt, und
soll dergestalt betrieben werden, daß fernerhin nicht mehr die gramma-
tische Tiftelei und die Sylbenstecherei der Lesarten die Hauptsache
bleibe, sondern daß die Fähigkeit erworben und geübt werde, ein latei¬
nisches und griechisches Buch kourant lesen und verstehen zu lernen.
Das specielle Eingehen und Deuten bleibe Denen überlassen, welche
diese philologische Aufgabe zu ihrer Lebensaufgabe machen wollen.

Ferner sollen die mathematischen Wissenschaften anders und prak¬
tischer gelehrt werden. Theils nicht mehr in der theoretischen Allge¬
meinheit, welche so gar wenig Erfolg zeigt) theils im Einzelnen sorg¬
fältiger und eindringlicher.

Ferner soll die deutsche Sprache und Literatur gründlicher gelehrt,
und es sollen die jetzt wichtigen europäischen Sprachen Französisch und
Englisch so gelehrt werden, daß der Gymnasiast sie lernt, was bisher
Von dem beiläufig gestatteten Französisch nicht gerühmt werden konnte.

Ich weiß nicht genau, ob in den Ncformvorschlägen auch die so
nöthige gründliche Besserung in den Disciplinen der Geschichte, Geo¬
graphie und Physik gefordert wird, verbürge überhaupt nicht, daß die
Reform natürlich so verlangt werde, wie ich hier ausgesprochen; aber
das Wesentliche ist so, und da soeben die Köchly'schen Vorschläge in
einer Broschüre erschienen, so kann ich auf diese verweisen. Mir ist
es in diesem Berichte nicht blos um Citirung der Vorschläge, sondern
um eine Belebung und Ausführung derselben zu thun. Da muß ich
denn zuerst mit Nachdruck darauf hinweisen, wie dieser Reformgedanke
bei der Philologenversammlung in Jena aufgenommen worden ist. Er
ist mit Spott aufgenommen worden, um das Kind beim rechten Na¬
men zu nennen. Ein erschreckendes Zeugniß, wie tief bestehende Cor-
porationen in sich verrotten können. Der Vorsitzende hat diese Lebens¬
frage mit einer witzigen Wendung abgemacht, und weil diese witzige
Wendung eine auch für uns populäre Angelegenheit — offene Briefe
machen heute kein Glück — in sich schloß, so hat man ihr zugejubelt,
und hat das, was einer solchen Versammlung die vollkommenste wirk¬
liche Belebung hätte sein können, burschikos und in Wahrheit gedan¬
kenlos beseitigt, um lieber Vorträge anzuhören, welche wenigstens eben
so gut durch den Druck ihre Bestimmung erreicht hätten. ES ist also
ganz so hergegangen, wie einst bei kirchlichen Concilien, welche so
lange hochmüthig und kastenmäßig die Reform abwiesen, bis sie ihnen
von außen her aufgezwungen wurden. Die Jena'sche Versammlung
hat sich hiermit bitterlich gerichtet, und ihre Nachfolgerinnen werden


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[0201] Das Erlernen dieser Sprachen soll in den untern Classen erledigt, und soll dergestalt betrieben werden, daß fernerhin nicht mehr die gramma- tische Tiftelei und die Sylbenstecherei der Lesarten die Hauptsache bleibe, sondern daß die Fähigkeit erworben und geübt werde, ein latei¬ nisches und griechisches Buch kourant lesen und verstehen zu lernen. Das specielle Eingehen und Deuten bleibe Denen überlassen, welche diese philologische Aufgabe zu ihrer Lebensaufgabe machen wollen. Ferner sollen die mathematischen Wissenschaften anders und prak¬ tischer gelehrt werden. Theils nicht mehr in der theoretischen Allge¬ meinheit, welche so gar wenig Erfolg zeigt) theils im Einzelnen sorg¬ fältiger und eindringlicher. Ferner soll die deutsche Sprache und Literatur gründlicher gelehrt, und es sollen die jetzt wichtigen europäischen Sprachen Französisch und Englisch so gelehrt werden, daß der Gymnasiast sie lernt, was bisher Von dem beiläufig gestatteten Französisch nicht gerühmt werden konnte. Ich weiß nicht genau, ob in den Ncformvorschlägen auch die so nöthige gründliche Besserung in den Disciplinen der Geschichte, Geo¬ graphie und Physik gefordert wird, verbürge überhaupt nicht, daß die Reform natürlich so verlangt werde, wie ich hier ausgesprochen; aber das Wesentliche ist so, und da soeben die Köchly'schen Vorschläge in einer Broschüre erschienen, so kann ich auf diese verweisen. Mir ist es in diesem Berichte nicht blos um Citirung der Vorschläge, sondern um eine Belebung und Ausführung derselben zu thun. Da muß ich denn zuerst mit Nachdruck darauf hinweisen, wie dieser Reformgedanke bei der Philologenversammlung in Jena aufgenommen worden ist. Er ist mit Spott aufgenommen worden, um das Kind beim rechten Na¬ men zu nennen. Ein erschreckendes Zeugniß, wie tief bestehende Cor- porationen in sich verrotten können. Der Vorsitzende hat diese Lebens¬ frage mit einer witzigen Wendung abgemacht, und weil diese witzige Wendung eine auch für uns populäre Angelegenheit — offene Briefe machen heute kein Glück — in sich schloß, so hat man ihr zugejubelt, und hat das, was einer solchen Versammlung die vollkommenste wirk¬ liche Belebung hätte sein können, burschikos und in Wahrheit gedan¬ kenlos beseitigt, um lieber Vorträge anzuhören, welche wenigstens eben so gut durch den Druck ihre Bestimmung erreicht hätten. ES ist also ganz so hergegangen, wie einst bei kirchlichen Concilien, welche so lange hochmüthig und kastenmäßig die Reform abwiesen, bis sie ihnen von außen her aufgezwungen wurden. Die Jena'sche Versammlung hat sich hiermit bitterlich gerichtet, und ihre Nachfolgerinnen werden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/201>, abgerufen am 26.08.2024.