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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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durchdrungenen Nationalität wäre. Der Dichter für diese erhabene
Sendung fehlte, aber nicht das Talent dazu, denn durch eine Ironie
des Schicksals keimte es eben in dein thcilnahmslvsen Oesterreich em¬
por, mitten unter erdrückende"! Bureaustaub nud ohne Spur politi¬
schen Bewußtseins. Im Jahre 1817, zwei Jahre vor den Karlsbader
Beschlüssen, trat Franz Grillparzer auf, mit einem Drama, das, ein
Nachzügler der "Schuld", die selbst eine dramatische Schuld zu nen¬
nen, nicht an den Geist, der damals in Deutschland herrschte, sondern
nur an den Geist der Schicksalötragödie anknüpfte.

Grillparzer hat durch die "Ahn fr an" seinem deutschen Ruhm un¬
endlich viel geschadet und sich den Weg zu einer Anerkennung erschwert,
die über die der Thcaterdireetorcn, wenn sie eben die volle Cassa zäh¬
len, hinausgeht. Denn dadurch, daß dieses Stück mit so großem Glück
über die sämmtlichen deutschen Bühnen ging und das Publieum in
Masse zu der unverständigen Begeisterung brachte, mit der Kinder ei¬
ner grauenhaften Gespenstergeschichte lauschen, ließ es keine von Grill-
parzer's spätern meisterhaften Schöpfungen, was Bühnenwirksamkeit
betrifft, neben sich aufkommen, und die deutsche Kritik glaubte deshalb
mit Grillparzer fertig zu sein, wenn sie ihre Lanzen gegen die Blößen
jener Schicksalstragöbie gerichtet hatte. Trotzdem ist die "Ahnfrau"
das Werk eines dramatischen Genies, von überschäumender Jugend-
kraft gezeugt, und wenn eS auch statt tragischer Schrecken nur jene
hervorbringt, die der Theatercostnmeur mit mehr oder minder Geschick-
lichkeit in seiner Gewalt hat, bleibt es doch von einem Zauber poeti¬
scher Schönheiten umflossen, der eS um so tiefer bedauern läßt, daß
sich so reiche Gewänder um die Gestalt eines unsinnigen Popanzes
breiten.

Nun mochte Grillparzer verlegen sein um den Stoff für seine fer¬
nern Gebilde und wandte sich verlangend dem Urquell der Geschichte
zu. Als hätte sein Genius ungeduldig das Feld nicht erwarten kön¬
nen, auf welchem er sein Flügelroß besteigen darf, wählte er gleich ei¬
nes der ersten, daS ihm Klio bieten konnte, die griechische Geschichte.
Es gibt jedoch wieder Zeugniß davon, wie sehr der Mangel eines po¬
litisch durchgebildeten Volksgeistes in Oesterreich auch seine künstleri¬
schen Talente nach unfruchtbaren Richtungen drängt, daß die Geschichte
Griechenlands, des ersten Staats, in welchem die Menschheit zum Be¬
wußtsein ihrer selbst gekommen, in welchem der erste frische Morgen
des Abendlandes anbrach, während sich über das Morgenland schon
der erstarrende Abend des Todes gebreitet hatte, daß Griechenland, in


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durchdrungenen Nationalität wäre. Der Dichter für diese erhabene
Sendung fehlte, aber nicht das Talent dazu, denn durch eine Ironie
des Schicksals keimte es eben in dein thcilnahmslvsen Oesterreich em¬
por, mitten unter erdrückende»! Bureaustaub nud ohne Spur politi¬
schen Bewußtseins. Im Jahre 1817, zwei Jahre vor den Karlsbader
Beschlüssen, trat Franz Grillparzer auf, mit einem Drama, das, ein
Nachzügler der „Schuld", die selbst eine dramatische Schuld zu nen¬
nen, nicht an den Geist, der damals in Deutschland herrschte, sondern
nur an den Geist der Schicksalötragödie anknüpfte.

Grillparzer hat durch die „Ahn fr an" seinem deutschen Ruhm un¬
endlich viel geschadet und sich den Weg zu einer Anerkennung erschwert,
die über die der Thcaterdireetorcn, wenn sie eben die volle Cassa zäh¬
len, hinausgeht. Denn dadurch, daß dieses Stück mit so großem Glück
über die sämmtlichen deutschen Bühnen ging und das Publieum in
Masse zu der unverständigen Begeisterung brachte, mit der Kinder ei¬
ner grauenhaften Gespenstergeschichte lauschen, ließ es keine von Grill-
parzer's spätern meisterhaften Schöpfungen, was Bühnenwirksamkeit
betrifft, neben sich aufkommen, und die deutsche Kritik glaubte deshalb
mit Grillparzer fertig zu sein, wenn sie ihre Lanzen gegen die Blößen
jener Schicksalstragöbie gerichtet hatte. Trotzdem ist die „Ahnfrau"
das Werk eines dramatischen Genies, von überschäumender Jugend-
kraft gezeugt, und wenn eS auch statt tragischer Schrecken nur jene
hervorbringt, die der Theatercostnmeur mit mehr oder minder Geschick-
lichkeit in seiner Gewalt hat, bleibt es doch von einem Zauber poeti¬
scher Schönheiten umflossen, der eS um so tiefer bedauern läßt, daß
sich so reiche Gewänder um die Gestalt eines unsinnigen Popanzes
breiten.

Nun mochte Grillparzer verlegen sein um den Stoff für seine fer¬
nern Gebilde und wandte sich verlangend dem Urquell der Geschichte
zu. Als hätte sein Genius ungeduldig das Feld nicht erwarten kön¬
nen, auf welchem er sein Flügelroß besteigen darf, wählte er gleich ei¬
nes der ersten, daS ihm Klio bieten konnte, die griechische Geschichte.
Es gibt jedoch wieder Zeugniß davon, wie sehr der Mangel eines po¬
litisch durchgebildeten Volksgeistes in Oesterreich auch seine künstleri¬
schen Talente nach unfruchtbaren Richtungen drängt, daß die Geschichte
Griechenlands, des ersten Staats, in welchem die Menschheit zum Be¬
wußtsein ihrer selbst gekommen, in welchem der erste frische Morgen
des Abendlandes anbrach, während sich über das Morgenland schon
der erstarrende Abend des Todes gebreitet hatte, daß Griechenland, in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/183>, abgerufen am 26.08.2024.