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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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mit Liebe und Bewunderung, in welche sich das Bedauern mischt, den
herrlichen Genius nicht nach seinem Verdienst gewürdigt zu sehen. So
innig wir jene liebende Bewunderung theilen, können wir doch in der
Vernachlässigung von Seite der dentschen Kritik nur die nothwendige
Consequenz einer Stellung erkennen, zu welcher sich Grillparzer mit
Verrath an seinem erhabenen Berufe lebenslänglich verurtheilt hat.

Als die Befreiungskriege zu Ende waren und das deutsche Volk
von seinen materiellen Drangsalen erlöset, nun zu einer höher" Be¬
freiung hätte schreiten und sich mit dem Bewußtsein seiner Mündigkeit
und nationalen Selbständigkeit hätte erfüllen sollen, als Schiller längst
todr war und Goeche den bedeutendsten Theil seiner dramatischen Wirk¬
samkeit geschlossen hatte, damals hätte das deutsche Volk des großen
Dramatikers bedurft, der zur Erhebung seines Selbstgefühls nach in¬
nen mitgeholfen hätte, wie die unmittelbar vorangegangenen Freiheits¬
dichter der Jahre 1813 und 1814 es nach außen gethan hatten.
Die Wachtfeuer des Bivouaks geben eine schlechte Theaterbeleuchtung
ab, das Volk, das den Vorhang einer neuen deutschen Zeit gewaltsam
aufriß und eben selbst ein großes Schauspiel aufführte, konnte nicht
Muße finden, sich geduldig vor den Vorhang eines Schauspielhauses
hinzusetzen; hier mußten noch die Lieder eines Körner, Schenkendorf,
Rückert ausreichen, die auf dem Marsch zu singen waren und den
Muth einer jugendlichen Brust noch in dem Moment anfeuern konn¬
ten, als diese Brust schon von der Tvdeskugel berührt wurde. Aber
das Volk kehrte vom Schlachtfelde heim, die versprochenen Früchte sei¬
ner Thateir zu ernten. Der Friede sollte nicht gleichbedeutend mit
Ruhe, sondern der Beginn einer neuen Volksthätigkeit sein, die sich
noch wtrkungsreicher als gegen den äußern Feind gegen den innern
gerichtet hätte, der in Gestalt verrosteter Institutionen und mittelalter¬
licher Zustände störend und zerstörend fortwucherte. Damals wäre es
an der Zeit gewesen, die Bühne zu einer Tribune deö erwachten, be¬
geisterungstrunkenen Volks zu erheben, ihm die Gebilde seiner Geschichte
mit Shakspear's Griffel heraufzubeschwören und wie jeder Dichter ein
Seher, aus der Vergangenheit lehrend und warnend die Zukunft zu
deuten. In Wechselwirkung hätten sich der Geist deö Volks und seine
Bühne aneinander aufgerichtet, und Deutschland besäße heute vielleicht
ein Theater, das nicht, ohne Herz für die Nation, den Kopf nur von
französischen Vaudevilles angefüllt hätte und sich nicht blos nach dem
Rhythmus italienischer Opernmelodien auf den Beinen erhalten würde,
sondern der bestimmte kernhafte Ausdruck einer von politischem Ernst


mit Liebe und Bewunderung, in welche sich das Bedauern mischt, den
herrlichen Genius nicht nach seinem Verdienst gewürdigt zu sehen. So
innig wir jene liebende Bewunderung theilen, können wir doch in der
Vernachlässigung von Seite der dentschen Kritik nur die nothwendige
Consequenz einer Stellung erkennen, zu welcher sich Grillparzer mit
Verrath an seinem erhabenen Berufe lebenslänglich verurtheilt hat.

Als die Befreiungskriege zu Ende waren und das deutsche Volk
von seinen materiellen Drangsalen erlöset, nun zu einer höher» Be¬
freiung hätte schreiten und sich mit dem Bewußtsein seiner Mündigkeit
und nationalen Selbständigkeit hätte erfüllen sollen, als Schiller längst
todr war und Goeche den bedeutendsten Theil seiner dramatischen Wirk¬
samkeit geschlossen hatte, damals hätte das deutsche Volk des großen
Dramatikers bedurft, der zur Erhebung seines Selbstgefühls nach in¬
nen mitgeholfen hätte, wie die unmittelbar vorangegangenen Freiheits¬
dichter der Jahre 1813 und 1814 es nach außen gethan hatten.
Die Wachtfeuer des Bivouaks geben eine schlechte Theaterbeleuchtung
ab, das Volk, das den Vorhang einer neuen deutschen Zeit gewaltsam
aufriß und eben selbst ein großes Schauspiel aufführte, konnte nicht
Muße finden, sich geduldig vor den Vorhang eines Schauspielhauses
hinzusetzen; hier mußten noch die Lieder eines Körner, Schenkendorf,
Rückert ausreichen, die auf dem Marsch zu singen waren und den
Muth einer jugendlichen Brust noch in dem Moment anfeuern konn¬
ten, als diese Brust schon von der Tvdeskugel berührt wurde. Aber
das Volk kehrte vom Schlachtfelde heim, die versprochenen Früchte sei¬
ner Thateir zu ernten. Der Friede sollte nicht gleichbedeutend mit
Ruhe, sondern der Beginn einer neuen Volksthätigkeit sein, die sich
noch wtrkungsreicher als gegen den äußern Feind gegen den innern
gerichtet hätte, der in Gestalt verrosteter Institutionen und mittelalter¬
licher Zustände störend und zerstörend fortwucherte. Damals wäre es
an der Zeit gewesen, die Bühne zu einer Tribune deö erwachten, be¬
geisterungstrunkenen Volks zu erheben, ihm die Gebilde seiner Geschichte
mit Shakspear's Griffel heraufzubeschwören und wie jeder Dichter ein
Seher, aus der Vergangenheit lehrend und warnend die Zukunft zu
deuten. In Wechselwirkung hätten sich der Geist deö Volks und seine
Bühne aneinander aufgerichtet, und Deutschland besäße heute vielleicht
ein Theater, das nicht, ohne Herz für die Nation, den Kopf nur von
französischen Vaudevilles angefüllt hätte und sich nicht blos nach dem
Rhythmus italienischer Opernmelodien auf den Beinen erhalten würde,
sondern der bestimmte kernhafte Ausdruck einer von politischem Ernst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/182>, abgerufen am 26.08.2024.