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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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läßt er die philosophische Natur des Verfassers nie zu einer lebensvol¬
len concreten Fassung kommen. Zudem ist er auch in einer Periode
geschrieben, wo es überhaupt schaal und trift in unserer Literatur aus¬
sah, in den zwanziger Jahren nämlich, wenn wir nicht irren. Der
Kampf der Poesie mit der Abstraction ist stets ein rührendes Schauspiel,
und er wird ehrwürdig, wenn man ein ganzes reiches Leben daran setzt.

Wir weisen Hillebrand eines Theils wegen dieses literarhi¬
storischen Verdienstes, andern Theils wegen seiner nach allen Seiten
hin umfassenden liberalen Wissenschaftlichkeit, als "Professor wie er
sein soll", unter den Gießener Docenten die erste Stelle an. Doch freuen
wir uns, dieser Schilderung eines verdienten Veteranen die eines jün¬
geren Docenten anreihen zu können, welcher seit einigen Jahren den
früher so sterilen Boden der Ludoviciana mit modernen Elementen be¬
fruchtet; was Hillebrand's gelehrter Besonnenheit nie recht zusagen
wollte. Lebendig, und mit fast französischer Rapidität der Gedanken
und des Vortrage, nach allen Seiten hin anregend, sucht Moritz Car¬
riere, ein bekannter Literat, in seinen philosophischen und ästhetischen
Vorrrägen, die Bande des Gießener gelehrten und ungelehrten Chine-
senthumö so viel als möglich zu lockern. Er ist weniger gründlich,
als anregend, aber voll der vielseitigsten Kenntnisse in allen Fächern
(in der Logik entnimmt er seine Beispiele meist den Naturwissenschaf¬
ten), zu deren Studium er die jungen Leute anregt, indem er ihnen
die interessantesten und prägnantesten Punkte derselben lebendig vor
Augen zu führen weiß. Dabei besitzt sein Vortrag die Wärme der
Ueberzeugung. Ein solcher Docent fehlte Gießen. Man nennt Car¬
riere ungründlich, und bedenkt gar nicht, daß die besten, die nützlich¬
sten Docenten höchst selten solche Meerwunder von Gelehrsamkeit, solche
mumienhafte Conglomerare von versteinerten Citaten sind, welche sich
eher für Geld sehen, als hören lassen sollten! Ca^ritZre's Verdienste
bei der Universität sind jedoch bis jetzt noch wenig anerkannt worden.
Man hat seine auf Hegel basirende Richtung für halben Wahnsinn
aufgeschrien z man hat sich alle jene Umtriebe gegen ihn erlaubt, wo¬
durch die höhere deutsche Universitätspedanterie aus -uno Zopf ihren
Neid gegen Geistesfrische und feurigen Ueberzeugungseifer von jeher aus¬
zulassen Pflegte.'

Gießen hat noch zwei andere philosophische Pnvatdocenten, Schil¬
ling und Crönlcinz doch ist der Letztere kürzlich zum Redacteur der
Freiburger Zeitung berufen worden. Der Erstere zeichnet sich durch
einen schönen Vortrag und eine, wir möchten sagen, zu große Grund-


läßt er die philosophische Natur des Verfassers nie zu einer lebensvol¬
len concreten Fassung kommen. Zudem ist er auch in einer Periode
geschrieben, wo es überhaupt schaal und trift in unserer Literatur aus¬
sah, in den zwanziger Jahren nämlich, wenn wir nicht irren. Der
Kampf der Poesie mit der Abstraction ist stets ein rührendes Schauspiel,
und er wird ehrwürdig, wenn man ein ganzes reiches Leben daran setzt.

Wir weisen Hillebrand eines Theils wegen dieses literarhi¬
storischen Verdienstes, andern Theils wegen seiner nach allen Seiten
hin umfassenden liberalen Wissenschaftlichkeit, als „Professor wie er
sein soll", unter den Gießener Docenten die erste Stelle an. Doch freuen
wir uns, dieser Schilderung eines verdienten Veteranen die eines jün¬
geren Docenten anreihen zu können, welcher seit einigen Jahren den
früher so sterilen Boden der Ludoviciana mit modernen Elementen be¬
fruchtet; was Hillebrand's gelehrter Besonnenheit nie recht zusagen
wollte. Lebendig, und mit fast französischer Rapidität der Gedanken
und des Vortrage, nach allen Seiten hin anregend, sucht Moritz Car¬
riere, ein bekannter Literat, in seinen philosophischen und ästhetischen
Vorrrägen, die Bande des Gießener gelehrten und ungelehrten Chine-
senthumö so viel als möglich zu lockern. Er ist weniger gründlich,
als anregend, aber voll der vielseitigsten Kenntnisse in allen Fächern
(in der Logik entnimmt er seine Beispiele meist den Naturwissenschaf¬
ten), zu deren Studium er die jungen Leute anregt, indem er ihnen
die interessantesten und prägnantesten Punkte derselben lebendig vor
Augen zu führen weiß. Dabei besitzt sein Vortrag die Wärme der
Ueberzeugung. Ein solcher Docent fehlte Gießen. Man nennt Car¬
riere ungründlich, und bedenkt gar nicht, daß die besten, die nützlich¬
sten Docenten höchst selten solche Meerwunder von Gelehrsamkeit, solche
mumienhafte Conglomerare von versteinerten Citaten sind, welche sich
eher für Geld sehen, als hören lassen sollten! Ca^ritZre's Verdienste
bei der Universität sind jedoch bis jetzt noch wenig anerkannt worden.
Man hat seine auf Hegel basirende Richtung für halben Wahnsinn
aufgeschrien z man hat sich alle jene Umtriebe gegen ihn erlaubt, wo¬
durch die höhere deutsche Universitätspedanterie aus -uno Zopf ihren
Neid gegen Geistesfrische und feurigen Ueberzeugungseifer von jeher aus¬
zulassen Pflegte.'

Gießen hat noch zwei andere philosophische Pnvatdocenten, Schil¬
ling und Crönlcinz doch ist der Letztere kürzlich zum Redacteur der
Freiburger Zeitung berufen worden. Der Erstere zeichnet sich durch
einen schönen Vortrag und eine, wir möchten sagen, zu große Grund-


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[0139] läßt er die philosophische Natur des Verfassers nie zu einer lebensvol¬ len concreten Fassung kommen. Zudem ist er auch in einer Periode geschrieben, wo es überhaupt schaal und trift in unserer Literatur aus¬ sah, in den zwanziger Jahren nämlich, wenn wir nicht irren. Der Kampf der Poesie mit der Abstraction ist stets ein rührendes Schauspiel, und er wird ehrwürdig, wenn man ein ganzes reiches Leben daran setzt. Wir weisen Hillebrand eines Theils wegen dieses literarhi¬ storischen Verdienstes, andern Theils wegen seiner nach allen Seiten hin umfassenden liberalen Wissenschaftlichkeit, als „Professor wie er sein soll", unter den Gießener Docenten die erste Stelle an. Doch freuen wir uns, dieser Schilderung eines verdienten Veteranen die eines jün¬ geren Docenten anreihen zu können, welcher seit einigen Jahren den früher so sterilen Boden der Ludoviciana mit modernen Elementen be¬ fruchtet; was Hillebrand's gelehrter Besonnenheit nie recht zusagen wollte. Lebendig, und mit fast französischer Rapidität der Gedanken und des Vortrage, nach allen Seiten hin anregend, sucht Moritz Car¬ riere, ein bekannter Literat, in seinen philosophischen und ästhetischen Vorrrägen, die Bande des Gießener gelehrten und ungelehrten Chine- senthumö so viel als möglich zu lockern. Er ist weniger gründlich, als anregend, aber voll der vielseitigsten Kenntnisse in allen Fächern (in der Logik entnimmt er seine Beispiele meist den Naturwissenschaf¬ ten), zu deren Studium er die jungen Leute anregt, indem er ihnen die interessantesten und prägnantesten Punkte derselben lebendig vor Augen zu führen weiß. Dabei besitzt sein Vortrag die Wärme der Ueberzeugung. Ein solcher Docent fehlte Gießen. Man nennt Car¬ riere ungründlich, und bedenkt gar nicht, daß die besten, die nützlich¬ sten Docenten höchst selten solche Meerwunder von Gelehrsamkeit, solche mumienhafte Conglomerare von versteinerten Citaten sind, welche sich eher für Geld sehen, als hören lassen sollten! Ca^ritZre's Verdienste bei der Universität sind jedoch bis jetzt noch wenig anerkannt worden. Man hat seine auf Hegel basirende Richtung für halben Wahnsinn aufgeschrien z man hat sich alle jene Umtriebe gegen ihn erlaubt, wo¬ durch die höhere deutsche Universitätspedanterie aus -uno Zopf ihren Neid gegen Geistesfrische und feurigen Ueberzeugungseifer von jeher aus¬ zulassen Pflegte.' Gießen hat noch zwei andere philosophische Pnvatdocenten, Schil¬ ling und Crönlcinz doch ist der Letztere kürzlich zum Redacteur der Freiburger Zeitung berufen worden. Der Erstere zeichnet sich durch einen schönen Vortrag und eine, wir möchten sagen, zu große Grund-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/139>, abgerufen am 03.07.2024.