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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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trefflichen Docenten der Unverständlichkeit zieh (woran Wohl auch seine
bombastische Terminologie mit Schuld haben mochte), so möchten wir
ihm doch -- wenigstens in Bezug auf seine Vorlesungen -- keine allzu
schwindlige Tiefe schuld geben. Sein in vielen Beziehungen brillanter
Vortrag charakterisirt sich mehr durch das gemüthliche Conserviren des
gelehrten Eklektikers, als durch die aus einem Kerngedanken sprudelnde,
unwiderstehliche Consequenz des Systems. Seine Blüthezeit scheint
erst in unsern Tagen zu beginnen. Unsere ganze Zeit nimmt bekannt¬
lich jenen historisch-gelehrten Charakter an, welcher.der Individualität
und philosophischen Richtung eines Hillebrand ungleich mehr zu ent¬
sprechen scheint, als die frühere erclusive Anmaßung der Systeme. Die
Zeit, wo sich die Studiosen gebildeter Universitäten mit Hegel'schen
Stichwörtern duellirten, ist glücklicherweise vorüber; die Extreme be¬
ginnen sich nachgerade zu vermitteln, und diese besonnene Vermittlung
scheint von jeher Hillebrand's Sache gewesen zu sein. Sein Eklekti¬
cismus trifft in seinen Resultaten vielfach mit der Hegel'schen Schule
zusammen; aber er war zu stolz, zu geistreich, um sich von dem alt-
und junghegel'schen Taumel mit fortreißen zu lassen. Er mußte dar¬
um früher (als Hegel's Rival in Heidelberg und später auch in Gießen,
welches vor Liebig kein Ort war, in welchem ein Docent sich goldene
Sporen hätte verdienen können) -- er mußte darum früher in ein be¬
scheidenes Dunkel zurücktreten. Seinen philosophischen Schriften ge¬
bricht es zu sehr an dem Mark des frischen Gedankens. Wohlthuend aber
ist es zu sehen, wie er mit stets offner Receptivität, nirgends vornehm
herabsehend auf eine moderne Richtung (woran sich viele seiner College"
in und außerhalb Gießen ein Beispiel nehmen könnten!) in seiner Li¬
teraturgeschichte den Riesenkampf mit der Abstraction meist glücklich zu
bestehen und seine gediegene Gelehrsamkeit in ansprechender Form mit
einem so lebendigen Stoffe zu vermählen sucht. Diese Literatur--
geschichte tritt wahrhaft ergänzend zu Gervinus hinzu. Die Sprache
ist, trotz mancher abstracten Ungelenkigkeit, doch im Ganzen lebendig
und dem Gegenstande entsprechend: sie hat etwas Nestorisch-Ehrwür¬
diges, welches wir keineswegs mit einem ungewaschenen Recensenten
in den Blättern für literarische Unterhaltung, als "breites Geschwätz"
bezeichnen möchten. Wie wenig der treffliche Verfasser von jeher von
der Idee des Schönen durchglüht war, davon liefert auch der Umstand
einen schlagenden Beweis, daß er (der abstracte Denker) als junger
Mann Romane: "Paradies und Welt" u. a. in. geschrieben. Der
genannte Roman empfiehlt sich zwar durch ein reiches Gemüth, doch


trefflichen Docenten der Unverständlichkeit zieh (woran Wohl auch seine
bombastische Terminologie mit Schuld haben mochte), so möchten wir
ihm doch — wenigstens in Bezug auf seine Vorlesungen — keine allzu
schwindlige Tiefe schuld geben. Sein in vielen Beziehungen brillanter
Vortrag charakterisirt sich mehr durch das gemüthliche Conserviren des
gelehrten Eklektikers, als durch die aus einem Kerngedanken sprudelnde,
unwiderstehliche Consequenz des Systems. Seine Blüthezeit scheint
erst in unsern Tagen zu beginnen. Unsere ganze Zeit nimmt bekannt¬
lich jenen historisch-gelehrten Charakter an, welcher.der Individualität
und philosophischen Richtung eines Hillebrand ungleich mehr zu ent¬
sprechen scheint, als die frühere erclusive Anmaßung der Systeme. Die
Zeit, wo sich die Studiosen gebildeter Universitäten mit Hegel'schen
Stichwörtern duellirten, ist glücklicherweise vorüber; die Extreme be¬
ginnen sich nachgerade zu vermitteln, und diese besonnene Vermittlung
scheint von jeher Hillebrand's Sache gewesen zu sein. Sein Eklekti¬
cismus trifft in seinen Resultaten vielfach mit der Hegel'schen Schule
zusammen; aber er war zu stolz, zu geistreich, um sich von dem alt-
und junghegel'schen Taumel mit fortreißen zu lassen. Er mußte dar¬
um früher (als Hegel's Rival in Heidelberg und später auch in Gießen,
welches vor Liebig kein Ort war, in welchem ein Docent sich goldene
Sporen hätte verdienen können) — er mußte darum früher in ein be¬
scheidenes Dunkel zurücktreten. Seinen philosophischen Schriften ge¬
bricht es zu sehr an dem Mark des frischen Gedankens. Wohlthuend aber
ist es zu sehen, wie er mit stets offner Receptivität, nirgends vornehm
herabsehend auf eine moderne Richtung (woran sich viele seiner College»
in und außerhalb Gießen ein Beispiel nehmen könnten!) in seiner Li¬
teraturgeschichte den Riesenkampf mit der Abstraction meist glücklich zu
bestehen und seine gediegene Gelehrsamkeit in ansprechender Form mit
einem so lebendigen Stoffe zu vermählen sucht. Diese Literatur--
geschichte tritt wahrhaft ergänzend zu Gervinus hinzu. Die Sprache
ist, trotz mancher abstracten Ungelenkigkeit, doch im Ganzen lebendig
und dem Gegenstande entsprechend: sie hat etwas Nestorisch-Ehrwür¬
diges, welches wir keineswegs mit einem ungewaschenen Recensenten
in den Blättern für literarische Unterhaltung, als „breites Geschwätz"
bezeichnen möchten. Wie wenig der treffliche Verfasser von jeher von
der Idee des Schönen durchglüht war, davon liefert auch der Umstand
einen schlagenden Beweis, daß er (der abstracte Denker) als junger
Mann Romane: „Paradies und Welt" u. a. in. geschrieben. Der
genannte Roman empfiehlt sich zwar durch ein reiches Gemüth, doch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/138>, abgerufen am 03.07.2024.