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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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gegen die andere und trägt wesentlich zur Formung charakteristischer
Gruppirungen bei. Der Reiz dieser Novelle liegt überhaupt nicht in
der nackten Erfindung ihrer Fabel, sondern weit mehr in der Ent¬
wickelung dieser Erfindung Dasselbe gilt noch in höherem Grade von
der zweiten Erzählung "die Heimath", ja es offenbart sich in ihr noch
ein tiefer poetisches Element; allein technisch ist sie minder gelungen, als
jene. Streng genommen gibt sie nur eine Apotheose der ersten Liebe.
In ihren Ausführungen zeigen sich mancherlei Hinneigungen zum
Geschlecht der Dorfgeschichten oder doch zum idyllischen Element.
"Das Probejahr" und "Sarah", zwei elegante Skizzen, erscheinen
aus augenblicklicher Anregung entstanden und für diese berechnet.
"Erwin", des zweiten Bandes erste Erzählung, ist nicht so gesund
und frisch als die übrigen, obgleich wieder einzeln- Gestalten -- aber
Nebenfiguren -- vortrefflich angelegt und ausgeführt auftreten. Im
Allgemeinen entwickeln sich jedoch hier die Charaktere der Auftreten¬
den zu wenig vor den Augen des Lesers an den Begegnissen ihres
Lebens, werden vielmehr diesen fertig und abgeschlossen gegenübergestellt.
Die "Maske" fand bereits oben ihre Beurtheilung. "Der Dämon"
ist eine vortrefflich angelegte Seelenschilderung; minder bedeutend er¬
A. B. scheint die Schlußskizze "der Neuling".


II.
Aus Kopenhagen.

Das dänische Königsgesetz. -- Preßverhältnissc. -- Gegen die Deutschen.
-- Die Bauernopposition. -- Constitutionel oder absolut? -- scandinavische
Gesellschaft; ihre Hoffnungen und Hindernisse.

Kopenhagen ist eine schöne Stadt, es ist dasselbe für das kleinere
Dänemark, was das größere Paris für das größere Frankreich ist;
es ist Mittelpunkt alles Lebens, obgleich es an der nördlichsten Grenze,
am Sunde liegt. Es ist hier auch ein recht regsames öffentliches
Leben, was man auswärts kaum glauben wird, wenn man an das
dänische Königsgesetz denkt, die absolutistischste aller Staatsverfassungen.
Aber dies absolutistische Grundgesetz ist schon längst durchlöchert, es
ist längst nicht halb mehr gültig, obgleich man noch immer nicht weiß,
es ganz los zu werden und ein anderes mit der Bildung des Volks,
mit den Bedürfnissen der Zeit harmonirendes an die Stelle zu setzen.
Das größte Loch wurde darin gerissen, als 1771 der deutsche Arzt
und Philosoph Struensee als geheimer Eabinetsminister des geistes¬
schwachen Christian Vit. vollständige Preßfreiheit proclamirte. Freilich
hat man diese Preßfreiheit spater auf ein sehr Geringes reducirt, aber
sie hat doch außerordentlich viel gewirkt und wirkt, soweit sie noch be¬
steht, fortwährend sehr bedeutend. Man kann noch immer ohne Cen¬
sur über innere Angelegenheiten schreiben, während freilich die dänische


gegen die andere und trägt wesentlich zur Formung charakteristischer
Gruppirungen bei. Der Reiz dieser Novelle liegt überhaupt nicht in
der nackten Erfindung ihrer Fabel, sondern weit mehr in der Ent¬
wickelung dieser Erfindung Dasselbe gilt noch in höherem Grade von
der zweiten Erzählung „die Heimath", ja es offenbart sich in ihr noch
ein tiefer poetisches Element; allein technisch ist sie minder gelungen, als
jene. Streng genommen gibt sie nur eine Apotheose der ersten Liebe.
In ihren Ausführungen zeigen sich mancherlei Hinneigungen zum
Geschlecht der Dorfgeschichten oder doch zum idyllischen Element.
„Das Probejahr" und „Sarah", zwei elegante Skizzen, erscheinen
aus augenblicklicher Anregung entstanden und für diese berechnet.
„Erwin", des zweiten Bandes erste Erzählung, ist nicht so gesund
und frisch als die übrigen, obgleich wieder einzeln- Gestalten — aber
Nebenfiguren — vortrefflich angelegt und ausgeführt auftreten. Im
Allgemeinen entwickeln sich jedoch hier die Charaktere der Auftreten¬
den zu wenig vor den Augen des Lesers an den Begegnissen ihres
Lebens, werden vielmehr diesen fertig und abgeschlossen gegenübergestellt.
Die „Maske" fand bereits oben ihre Beurtheilung. „Der Dämon"
ist eine vortrefflich angelegte Seelenschilderung; minder bedeutend er¬
A. B. scheint die Schlußskizze „der Neuling".


II.
Aus Kopenhagen.

Das dänische Königsgesetz. — Preßverhältnissc. — Gegen die Deutschen.
— Die Bauernopposition. — Constitutionel oder absolut? — scandinavische
Gesellschaft; ihre Hoffnungen und Hindernisse.

Kopenhagen ist eine schöne Stadt, es ist dasselbe für das kleinere
Dänemark, was das größere Paris für das größere Frankreich ist;
es ist Mittelpunkt alles Lebens, obgleich es an der nördlichsten Grenze,
am Sunde liegt. Es ist hier auch ein recht regsames öffentliches
Leben, was man auswärts kaum glauben wird, wenn man an das
dänische Königsgesetz denkt, die absolutistischste aller Staatsverfassungen.
Aber dies absolutistische Grundgesetz ist schon längst durchlöchert, es
ist längst nicht halb mehr gültig, obgleich man noch immer nicht weiß,
es ganz los zu werden und ein anderes mit der Bildung des Volks,
mit den Bedürfnissen der Zeit harmonirendes an die Stelle zu setzen.
Das größte Loch wurde darin gerissen, als 1771 der deutsche Arzt
und Philosoph Struensee als geheimer Eabinetsminister des geistes¬
schwachen Christian Vit. vollständige Preßfreiheit proclamirte. Freilich
hat man diese Preßfreiheit spater auf ein sehr Geringes reducirt, aber
sie hat doch außerordentlich viel gewirkt und wirkt, soweit sie noch be¬
steht, fortwährend sehr bedeutend. Man kann noch immer ohne Cen¬
sur über innere Angelegenheiten schreiben, während freilich die dänische


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/80>, abgerufen am 27.11.2024.